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Aus für «Apple Daily» in Hongkong
Er machte ein Revolverblatt zur Stimme der Demokratie

Ein Pfahl im Fleische der Chinesen: Verleger Jimmy Lai im Mai 2020 auf dem Weg zum Gericht. 
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Das wars. Der Hongkonger Verleger Jimmy Lai, einer der wildesten und furchtlosesten Selfmade-Milliardäre Asiens, sitzt seit letztem Sommer schon hinter Gittern. Nun gibt auch seine «Apple Daily» auf, nach 26 Jahren. Die letzte grosse publizistische Stimme für die Sache der Demokratie in Hongkong. Am Samstag, eine Minute vor Mitternacht spätestens, wird auch die Digitalausgabe von «Apple Daily» vom Netz genommen, das gaben am Mittwoch die Macher der Zeitung bekannt, die noch auf freiem Fuss sind. Hongkong wird dann noch ein Stück dunkler.

Welche Genugtuung dieser Moment sein muss für die KP Chinas und ihre Statthalter in Hongkong. Der 73-jährige Jimmy Lai, kein Dorn war das, nein: ein Pfahl in ihrem Fleische. Ein Geldsack ist er für sie, dieser einst mit zwölf Jahren als chinesisches Flüchtlingskind in Hongkong gestrandete Jimmy Lai. Allerdings keiner wie die anderen in der Stadt, die stets um die Gunst der Herrscher in Peking buhlen, um so ihre Geschäfte zu schmieren. Jimmy Lai war einer, der fluchte, stänkerte und sich mit jedem anlegte, der ihm nicht passte. Am liebsten mit Chinas Kommunisten, die einst seine Eltern ins Arbeitslager gesteckt hatten.

«Apple Daily» wurde sein grösster Coup

Sein Outing als KP-Widersacher hatte er ein paar Jahre nach dem Massaker an der Demokratiebewegung vom Platz des Himmlischen Friedens 1989. Jimmy Lai, damals war er noch Unternehmer, reich geworden mit Billigtextilien, stellte sich auf die Seite der Pekinger Studenten und schimpfte in einem Artikel Premier Li Peng ein «Schildkrötenei», auf Deutsch: einen Hurensohn. Seinem Geschäft half es nicht, dass er von nun an auf der schwarzen Liste Pekings stand. Jimmy Lai aber ärgerte die KP weiter: Er sattelte einfach um, verkaufte seinen Kleiderkonzern – und gründete ein kleines Medienimperium.

Zwischen Klatsch die mutigsten China-Kommentare der Stadt: Ein Verkäufer in Hongkong sortiert die letzten Exemplare von «Apple Daily». 

1995, zwei Jahre vor der Rückkehr der britischen Kronkolonie Hongkong ins chinesische Vaterland, rief er «Apple Daily» ins Leben. Der biblische Sündenfall, erzählte er, sei ihm dabei Inspiration gewesen: «Wenn Eva nicht in die verbotene Frucht gebissen hätte, dann gäbe es keine Sünde, kein Richtig und kein Falsch – und natürlich keine Nachrichten.»

«Apple Daily» wurde sein grösster Coup. Die Zeitung begann als denkwürdiges Revolverblatt, eine wüste Melange aus Verbrechen, Hurentests und Promiklatsch – und dazwischen von Anfang an die mutigsten China-Kommentare der Stadt. Von da an priesen die einen Jimmy Lai einen Rebellen gegen das Establishment, und die anderen nannten ihn einen Schmierfinken. «Wie ein Ausgestossener» werde er behandelt, sagte er ein paar Jahre nach Gründung der «Apple Daily» im Gespräch: «Wenn ich auf Beerdigungen gehe, dann stehen die Leute auf von meiner Bank. Auf Partys kehren sie mir den Rücken zu.»

«Apple Daily» wurde zur letzten grossen Stimme für Freiheit und Demokratie, wo andere Blätter einknickten.

Ein Boulevardblatt ist die Zeitung bis zum heutigen Tag geblieben, aber über die Jahre nahm das Politische immer grösseren Raum ein. «Apple Daily» wurde zur letzten grossen Stimme für Freiheit und Demokratie, wo andere Blätter einknickten. Für seine Berichterstattung über Liu Xia, die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, gewann «Apple Daily» 2019 den Menschenrechtspreis für die Hongkonger Presse.

Ihr zunehmend einsamer Kurs kostete die Zeitung immer wieder Anzeigenkunden. Im demokratischen Lager aber wuchs der Respekt für Jimmy Lai selbst, der stets in der vordersten Reihe marschierte bei Protesten und Demonstrationen. Die Verabschiedung des Nationalen Sicherheitsgesetzes im vergangenen Jahr dann bedeutete auch für Lai, dass das, was eben noch als Meinungsfreiheit gegolten hatte, mit einem Mal als «Verschwörung mit ausländischen Mächten» – letztlich als Landesverrat – eingestuft wurde.

Marschierte stets in der vordersten Reihe bei Protesten und Demonstrationen: Verleger Jimmy Lai wird von Polizisten abgeführt. 

Im August 2020 wurde Jimmy Lai wegen seiner Rolle bei den Demonstrationen festgenommen, im Dezember erhielt er den Pressefreiheitspreis von «Reporter ohne Grenzen». Vergangene Woche schliesslich stürmten Hunderte Polizisten Redaktion und Verlag, nahmen führende Mitarbeiter von «Apple Daily» fest, froren die Bankkonten ein: Die Zeitung kann ihre Angestellten nicht mehr bezahlen. Zum ersten Mal war das Nationale Sicherheitsgesetz gegen Journalisten eingesetzt worden.

Aber nein, sagte Hongkongs Sicherheitschef John Lee hinterher, ein Angriff auf die Meinungsfreiheit sei das keineswegs. Die Festgenommenen seien nämlich «keine normalen Journalisten», alle anderen täten gut daran, «sich von ihnen zu distanzieren». Am Dienstag wurde Regierungschefin Carrie Lam von Journalisten gefragt, was denn nun eigentlich noch als «normaler Journalismus» gelte im neuen Hongkong. Lam wich aus: «Ich denke, Sie sind selbst in einer besseren Situation, diese Frage zu beantworten.»