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Überraschend gutes Ergebnis
Den Linken gelingt der Neuanfang

Ines Schwerdtner, Heidi Reichinnek und Jan van Aken (von links) reagieren reagieren am Wahlabend in Berlin am 23. Februar 2025 auf die ersten Hochrechnungen der deutschen Bundestagswahl.
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In Kürze:
  • Die Linke feiert laut Hochrechnungen ein überraschend starkes Wahlergebnis.
  • Die beiden neuen Parteichefs Ines Schwerdtner und Jan van Aken spielten nach dem Weggang von Sahra Wagenknecht eine wichtige Rolle beim Comeback der Partei.
  • Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek trug wohl auch dazu bei. Sie erlangte durch ihre Redegewandtheit und ihre Präsenz auf Tiktok und Instagram grosse Bekanntheit.

Um Punkt 18 Uhr brach Jubel aus auf der Wahlparty der Linken im Glashaus der Arena Berlin. 9 Prozent lautete die Prognose der ARD, das wäre noch vor wenigen Wochen undenkbar gewesen. Das wäre wohl auch vor wenigen Tagen noch undenkbar gewesen. Obwohl sich ein gutes Ergebnis nach den jüngsten Umfragen angedeutet hatte, war das doch eine Überraschung. Entsprechend war die Stimmung ausgelassen wie beim Karneval, als die Parteichefs Jan van Aken und Ines Schwerdtner sowie die eminent populäre Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek die Bühne betraten. «Links lebt», rief van Aken in den Jubel hinein, «und das wart ihr.»

Seit Tagen fieberte die Partei diesem Wahltag entgegen, im Wissen, ein gutes, womöglich ein sehr gutes Ergebnis einzufahren. Während bei den anderen Parteien die Prognosen der Institute weit auseinandergingen, lag die Linke in allen Umfragen stabil über der 5-Prozent-Hürde. Und nachdem Parteichef Jan van Aken vor zwei Wochen noch als arg optimistisch gegolten hatte, als er von einer Sieben vor dem Komma träumte, wiesen manche der letzten Umfragen vor der Wahl sogar eine Acht aus. Die erste Prognose am Wahlabend deutete an, dass die Partei womöglich selbst diese Umfragen übertreffen sollte.

Das mag zunächst nicht sonderlich aufregend klingen. Eine kleine Partei zieht mit einem einstelligen Ergebnis ins Parlament ein. Das ist jedoch bei näherem Hinsehen die spektakulärste Geschichte dieses Wahlkampfs und dieser Wahl. Wer dieses Ergebnis im vergangenen Herbst vorhergesagt hätte, wäre als Fantast bezeichnet worden. Die Linke derart stabil im Bundestag, das ist die Geschichte einer politischen Wiederauferstehung.

Schockstarre nach Wagenknechts Austritt

Im Januar des vergangenen Jahres hatte Sahra Wagenknecht die Partei verlassen, um ihr eigenes Bündnis zu gründen, das BSW. Vorangegangen war ein endloser, ein quälender Prozess voller Fragen: Geht sie? Geht sie nicht? Wie viele Leute gehen mit ihr? Wagenknecht war das bekannteste Gesicht der Linken. Würde die Partei ohne sie unsichtbar werden? Und was heisst das, wenn eine Partei unsichtbar wird? Verschwindet sie dann?

Zunächst fiel die Linke in eine Schockstarre. Sie war verletzt, sie rang nach Luft, sie suchte nach ihrer Identität. Und dann, ganz langsam, ganz allmählich, begriff sie, dass die vermeintliche Katastrophe vielleicht die grösste Chance sein könnte. Ein Neuanfang ohne Wagenknecht und ihre Leute, ein Neuanfang ohne Streit. Wagenknecht war ja, zugespitzt gesagt, immer gegen alles gewesen, sie hatte ihre eigene Partei in einem Buch aus dem Jahr 2021 mit Wonne verhöhnt und beschimpft, sie hatte sie lächerlich gemacht. Nun hatte sie ihre eigene Partei, und die Linken ordneten sich.

Sie wählten einen neuen Vorstand, Jan van Aken und Ines Schwerdtner. Die brachten erst mal Ruhe in den Laden. Sie vermittelten der Partei: Wir leben noch. Trotz der schweren Niederlagen bei den Landtagswahlen im Herbst, als es so aussah, als sei die Linke erledigt, als sei sie Geschichte. Als Spitzenkandidaten traten van Aken und Heidi Reichinnek an. Die war Chefin der Linken-Gruppe im Bundestag, also kein unbeschriebenes Blatt, aber bundesweit nicht sonderlich bekannt. Das hat sich innerhalb weniger Monate geändert.

Reichinneks Rede hallte nach – dank Tiktok und Instagram

Die Gründe für das Comeback der Linken sind vielfältig. Die beiden Parteichefs spielen eine Rolle, die Konzentration auf Themen wie Miet- und Heizkosten war wichtig, zudem gelang es der Partei, die sich in der Vergangenheit gern als Chor der tausend Stimmen präsentierte, als Einheit aufzutreten.

Vor allen Dingen aber war es die 36 Jahre alte Heidi Reichinnek, die den Wahlkampf als Gesicht der Partei prägte. Wo in der Vergangenheit Wagenknecht stand und alles besser wusste, tauchte nun Reichinnek auf und sprach auf den Punkt. Ihre Videos auf Tiktok und Instagram wurden virale Hits.

Heidi Reichinnek, Co-Chefin der Fraktion Die Linke, spricht auf dem Bundesparteitag der Partei in Halle/Saale, Deutschland, am 19. Oktober 2024. Ein Schild mit der Aufschrift ’Die Linke’ ist im Hintergrund sichtbar.

Besonderen Eindruck hinterliess ihr Auftritt im Bundestag, nachdem CDU-Chef Friedrich Merz einen Antrag zum Thema Migration mit den Stimmen der AfD durchs Parlament gebracht hatte. Sie sprach mit Leidenschaft, und sosehr Merz den Eindruck zu erwecken suchte, das gehe ihn alles nichts an, so sehr war in diesem Moment klar, dass diese Rede nachhallen würde. Die Linke hatte nicht nur wieder ein Gesicht. Sie hatte auch wieder eine deutlich vernehmbare Stimme.

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Bereits Anfang Januar hatten sie in der Partei mit Freude zur Kenntnis genommen, dass sie seit Wagenknechts Austritt zehntausend neue Mitglieder hinzugewonnen hatten. Doch das fand in den Umfragen zunächst keinen Widerhall. Bisweilen stand eine Drei vor dem Komma. Doch dann kam Bewegung in die Sache. Die Zahl der neuen Mitglieder stieg exponentiell, mittlerweile sind es nach Parteiangaben mehr als 80’000. Und auch in die Umfragen kam Bewegung. Während bei den anderen Parteien die Zahlen mehr oder weniger betoniert waren, ging es bei der Linken stetig nach oben. Als die ersten Umfragen vorhersagten, es könnte zu 5 Prozent reichen, wuchs die Hoffnung.

Ursprünglich hatte die Partei darauf gesetzt, drei Direktmandate zu gewinnen und dadurch in den Bundestag einzuziehen. Wenn eine Partei drei Direktmandate hat, zieht sie anteilig ihres Wahlergebnisses ins Parlament ein, wenngleich sie weniger als 5 Prozent erreicht. So hatte es die Linke im Jahr 2021 in den Bundestag geschafft.

In diesem Wahlkampf hatten Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow die «Mission Silberlocke» ausgerufen mit dem Ziel, die nötigen drei Mandate zu gewinnen. Als die Umfragen sich allmählich nordwärts der 6 Prozent bewegten, war klar, dass die Partei es auch ohne die Hilfe der drei Veteranen schaffen würde. Und im Verlauf des Sonntagabends wurde immer klarer, dass sie es mit Nachdruck, mit Verve und mit Wucht geschafft hat.