Papablog: Die Sache mit den RegelnGrossmuttis geniale Gebote
Der Autor und seine Kinder bekommen das mit den Regeln irgendwie nicht geregelt. Warum eigentlich nicht?
«Ich verhandle nicht mit Terroristen», schnaube ich. Aber die Kleine, die sich seit zehn Minuten in der hintersten Ecke unter dem Bett versteckt, denkt noch lange nicht ans Aufgeben. «Mir chönd morn strähle», fordert sie erneut. Ach ja, es geht ums Kämmen ihrer Haare. «Mit dieser zotteligen Frisur gehst du nicht aus dem Haus», keife ich retour und – jetzt kommts: «Dann muss ich der Mami deiner Freundin leider sagen, dass du heute nicht zum Spielen kommen darfst.»
Wie ich sie hasse, diese drohenden «Wenn-dann»-Sätze. Wenn das, dann das. Wenn das nicht, dann das. Wenn das, dann das nicht. Wenn das nicht, dann das nicht. Aber als Erziehungsperson sprichst du in einem halben Jahr mehr Drohungen aus als ein sizilianischer Clan-Boss während seiner ganzen Karriere. Muss das sein?
Wow, Regeln!
Zwei Wochen zuvor: Ich hole die Kinder aus den Ferien bei den Grosseltern ab und staune mir einen gelben Affen auf den Kirchturm. Die Kids sitzen brav beim Znacht, essen widerstandslos alles, was Grossmutti auftischt, schmatzen dabei kaum und räumen nach dem Spaghetti-Massaker gar die Teller freiwillig ab. «Vorher haben wir noch die Haare gewaschen», säuselt Grossmutti und die Kinder nicken friedlich dazu. «Wir haben Regeln aufgestellt», ruft die Kleine begeistert, während Junior zum Furzen zwischenzeitlich kurz den Raum verlässt, was ihm alle Beteiligten hoch anrechnen. Wow, Regeln! «Aber bei uns zu Hause gibt es doch auch Regeln», japse ich, nachdem ich vor lauter Staunen wieder etwas zu mir gekommen bin. Die Kleine sitzt inzwischen mit einem vollgekritzelten Blatt Papier neben mir und strahlt mich an.
Es handelt sich um eine Art von zehn Geboten, die von den Jüngern Grossmuttis scheinbar einwandfrei eingehalten werden.
Grossmutti, gestählt von gefühlten tausend Jahren Kindergarten- und Schulstubenerfahrung, stellt mir einen Kaffee vor die Nase und holt aus. «Wir haben gleich am ersten Tag gemeinsam Regeln erarbeitet und es funktioniert bestens», sagt sie, während ich mich verschlucke und der Kaffee hälftig im Mund landet und hälftig durch meinen Bart auf den Tisch sickert. «Gute Idee», knirsche ich zurück – um nochmals zu betonen, dass mir das Wort «Regeln» durchaus nicht fremd sei. Ich werfe einen Blick auf dieses heilige Papier, mit dem die Kleine pausenlos vor meinem Gesicht rumwedelt. Es handelt sich dabei um eine Art von zehn Geboten, die von den Jüngern Grossmuttis scheinbar einwandfrei eingehalten und umgesetzt werden.
Ausgeklügeltes Bonussystem
Inhaltlich unterscheidet sich Grossmuttis Gesetztafel kaum von jenen Regeln, die ich seit Jahren nachhaltig zu etablieren versuche. Es geht ums Essen und alles, was dazu gehört, um den gewaltfreien Umgang unter Geschwistern, um hygienische Aspekte, ums Mitmachen und geduldig sein und – wie oben bereits angedeutet – ums korrekte Handling im Zusammenhang mit spontanen Geräuschen aus der unteren Körperhälfte.
Bei guter Führung winken Ausflüge in den Fischereipark, den lokalen Kleinzoo oder in den Spielwarenladen.
Nichts Neues also, wobei Grossmutti von einem ganz grossen Vorteil profitiert – dem Auswärtsbonus. Und Grossmuttis Hauptpreise sind auch wirklich sehr attraktiv. Jeden Abend wird abgerechnet, dann gibts Punkte für jede eingehaltene Regel. Bei guter Führung winken Ausflüge in den Fischereipark, den lokalen Kleinzoo oder in den Spielwarenladen. Ein ausgeklügeltes Bonussystem also, das die Kids bis in die zotteligen Haarspitzen motiviert. Grosseltern dürfen das.
Von wegen Heimvorteil
Nun, im Fussball gibts den Heimvorteil, in der Erziehung ist es exakt umgekehrt. In der eigenen Arena fühle ich mich als Erziehungsverantwortlicher hin und wieder als schwächster Protagonist. Trotzdem sehe ich mich nicht als Veranstalter der spanischen Weihnachtslotterie. Ich möchte eigentlich, dass die Regeln bei mir auch dann funktionieren, wenn kein funkelnagelneuer Ferrari Testarossa für fehlerfreies Zähneputzen auf dem Spiel steht.
Kinder brauchen Regeln und Grenzen, sagt man. Das stimmt. Wie wäre es aber, wenn ich ganz einfach mehr Geduld hätte? Und mehr Gelassenheit? Ok, vielleicht braucht es beides. Grossmuttis geniale Gebote hängen nun jedenfalls bei uns zu Hause im Kinderzimmer. Und wissen Sie was? Es funktioniert wunderbar – allerdings nach wie vor nur manchmal …
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