«Wichtigste Lohnrunde seit Jahren»Gewerkschaften wollen 5 Prozent mehr Lohn – obwohl Teuerung viel tiefer liegt
Mit den Gehaltserhöhungen sollen die Firmen ihre Angestellten für die kargen letzten Jahre entschädigen. Die Arbeitgeber erteilen den Forderungen eine Abfuhr.
Der Lohnherbst beginnt dieses Jahr schon im Juli: Die grössten Gewerkschaften des Landes haben am Freitag an einer gemeinsamen Medienkonferenz in Bern eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 5 Prozent gefordert.
Das ist ein hoher Wert angesichts der Erwartung des Bundes, dass die Teuerung über das ganze Jahr gesehen 2,3 Prozent betragen dürfte. Die Gewerkschaften begründen ihre Forderung mit dem Argument, dass den Arbeitnehmenden Lohnerhöhungen zustünden, die die Arbeitgeber in den vergangenen Jahren verweigert hätten.
Tatsächlich befindet sich der Schweizer Arbeitsmarkt in einer ungewohnten Situation: Die Reallöhne könnten 2023 das erste Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im dritten Jahr in Folge sinken, warnen die Gewerkschaften. Unter der Reallohnentwicklung versteht man das Wachstum oder Rückgang der effektiv ausbezahlten Löhne abzüglich der Teuerung.
Der Grund für die aktuelle Lage liegt an den globalen Entwicklungen der letzten Jahre: Erst drückte die kurze wirtschaftliche Abkühlung aufgrund der Pandemie auf die Lohnentwicklung. Danach führten unter anderem Lieferkettenprobleme und der Anstieg der Rohstoffpreise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zu einer hohen Teuerung.
Diese stieg vergangenes Jahr in der Schweiz vorübergehend auf über 3 Prozent. Im internationalen Vergleich war das zwar ein sehr tiefer Wert, doch hatte die Teuerung hierzulande zuletzt Anfang der 1990er-Jahre so hoch (und noch höher) gelegen.
«Die kommende Lohnrunde ist die wichtigste seit vielen Jahren. Es braucht eine Trendwende.»
Im Jahresdurchschnitt lag 2022 die Teuerung bei 2,8 Prozent. Obwohl die Gewerkschaften auch damals gegen 5 Prozent höhere Löhne forderten, stiegen diese absolut nur um 0,9 Prozent. Die Kaufkraft der Bevölkerung sank darum gegenüber dem Vorjahr um 1,9 Prozent.
Die Arbeitgeber dagegen hätten nicht gelitten, beklagt Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes SGB. Er verweist dazu unter anderem auf den Geschäftslageindikator der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Tatsächlich befindet sich dieser seit zwei Jahren auf hohem Niveau.
«Es braucht nun eine Trendwende», sagt Lampart darum. Die kommende Lohnrunde sei die wichtigste seit vielen Jahren, weswegen man die eigenen Forderungen dieses Mal aussergewöhnlich früh kommuniziere. Normalerweise geben die Gewerkschaften sie erst nach den Sommerferien bekannt. Damit, dass die Forderungen im Wahlkampfgetöse des Spätsommers untergehen würden, habe der Schritt dagegen nichts zu tun, so Lampart.
Entscheidend ist die wirtschaftliche Entwicklung
Der Arbeitgeberverband lehnte die Forderungen der Gewerkschaften in einem Statement klar ab. Er verweist darauf, dass die Arbeitnehmenden in den Jahren vor der Pandemie regelmässig Reallohnerhöhungen erhalten hätten.
Bei der Frage, wer dieses Mal die Oberhand gewinnt, wird die wirtschaftliche Entwicklung eine wichtige Rolle spielen. Tatsächlich gibt es Anzeichen einer konjunkturellen Abkühlung.
Sollte sich diese Tendenz fortsetzen und sich der Fachkräftemangel entspannen, hätten die Arbeitgeber die besseren Argumente. Allerdings könnte dies auch einen weiteren Rückgang der Teuerung nach sich ziehen – und so die Reallöhne steigen.
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