Neuer Bremser für die EnergiewendeGericht durchkreuzt Pläne der Axpo
Wasserstoff spielt für die Energie- und Klimawende eine Schlüsselrolle. Der Stromkonzern Axpo wollte in Glattfelden eine Produktionsanlage bauen. Doch nun haben Anwohner erfolgreich rekurriert.

Mit Wasserkraft aus dem Rhein Wasserstoff herstellen – für die Energiewende: Das wollte der Stromkonzern Axpo im zürcherischen Glattfelden in diesem Herbst starten. Es sollte der Beginn einer Kampagne werden: Bereits in den kommenden Jahren waren weitere Anlagen vorgesehen.
Doch nun haben die Pläne einen Dämpfer erhalten. Gegen das Projekt haben Anwohner Einsprache erhoben – mit Erfolg. Das zeigt der noch nicht veröffentlichte Entscheid des Baurekursgerichts des Kantons Zürich, der dieser Redaktion vorliegt. «Wir bedauern den Entscheid», sagt Guy Bühler, Leiter der Abteilung Wasserstoff der Axpo.
Die Axpo plante die Anlage einen Steinwurf entfernt vom Laufwasserkraftwerk Eglisau-Glattfelden. Der Stromkonzern sah dort grosse Vorteile: Dank der Nähe braucht es zum Beispiel keine zusätzlichen Stromleitungen, es entfallen so Netzgebühren, was die Produktionskosten um bis zu 30 Prozent senkt und das Projekt damit wirtschaftlicher macht. Die direkte Anbindung ans Kraftwerk stellt zudem eine CO₂-freie Produktion sicher, und bei Störungen in der Anlage sind Fachleute vor Ort. Ausserdem ist an diesem Standort der Wasserbedarf von rund 600 Litern pro Stunde abgedeckt. Wasser ist der Rohstoff, der mithilfe von Strom während der Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Hinzu kommt: Die Anlage wird nicht auf der grünen Wiese gebaut, sondern ersetzt ein bestehendes Materiallager des Laufwasserkraftwerks.
Die Axpo hatte sich zum Ziel gesetzt, 575 bis 700 Tonnen Wasserstoff pro Jahr zu produzieren – eine Menge, die ausreicht, um 80 bis 100 Brennstoffzellen-Lastwagen zu betreiben und so 6300 bis 7800 Tonnen CO₂ einzusparen. In den Brennstoffzellen reagieren Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser. Dabei fliesst elektrischer Strom für den Elektromotor der Lastwagen. «In der Schweiz ist der Wasserstoffmarkt heute noch überschaubar. Aber es gibt Ambitionen, und solche Projekte wie in Eglisau wären enorm wichtig, um die Technologie voranzutreiben», sagt Guy Bühler.

Das sahen auch die Behörden so. Der Gemeinderat Glattfelden gab grünes Licht, ebenso die Zürcher Baudirektion – in Form einer Ausnahmebewilligung, denn das Vorhaben war in der kantonalen Landwirtschaftszone geplant. Zwar sei hier die Produktion von Wasserstoff grundsätzlich auch innerhalb der Bauzone möglich, doch sei der gewählte Standort aus betriebswirtschaftlichen und technischen Gründen «erheblich vorteilhafter», befanden die Fachleute von Regierungsrat Martin Neukom (Grüne).
Das Gericht indes argumentierte, es seien keine «besonders wichtigen und objektiven Gründe ersichtlich», die eine solche Ausnahme rechtfertigen würden. Es gewichtete das öffentliche Interesse, Energie zu produzieren, weniger hoch als die «Durchsetzung des fundamentalen Trennungsgrundsatzes», wonach solche Anlagen nicht in eine Landwirtschaftszone gehören, sondern ins Siedlungsgebiet. Vergeblich führte die Axpo ins Feld, verschiedene andere Standorte geprüft zu haben. Das Gericht befand, die Abklärungen seien zu wenig genau erfolgt.
«Für die Umstellung auf eine CO₂-freie Energieversorgung müssen wir heute die Weichen stellen».
Der Fall erinnert an die zahlreichen Beschwerden gegen Windkraft und grosse Solaranlagen, die den Fortschritt in der Energiewende in den letzten Jahrzehnten blockiert haben. Solche Verzögerungen könnten nun auch den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur bremsen. ETH-Energieexperte Konstantinos Boulouchos warnte unlängst in einem Interview davor: «Mit der Umstellung auf eine CO₂-freie Energieversorgung bis 2050 kann man nicht erst 2040 beginnen, wir müssen heute die Weichen stellen.»
Wasserstoff war in der Schweizer Energie- und Klimapolitik bislang kein grosses Thema. Das ändert sich gerade. So schreibt das Bundesamt für Energie (BFE) in einem neuen Positionspapier, der Einsatz von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien spiele auf dem Weg zur Klimaneutralität eine «entscheidende Rolle». Wasserstoff werde vermutlich vor allem im Schwer-, Flug- und Schiffsverkehr eingesetzt und als Brennstoff für Prozesswärme in der Industrie. Aus Wasserstoff lassen sich mithilfe von CO₂ aus der Luft oder aus Kehrichtverbrennungsanlagen auch synthetische Treibstoffe wie Methan, Kerosin oder Methanol herstellen.
Die Schweizerische Akademie der Wissenschaften hat kürzlich in einem Bericht aufgezeigt, dass es grosse Mengen an Wasserstoff und synthetischem Treibstoff braucht, damit die Schweiz klimaneutral werden kann. «Die Herstellung synthetischer Treibstoffe ist unabdingbar, weil es für die Luftfahrt und den Schwerverkehr Treibstoff mit hoher Energiedichte braucht», schreiben die Energieexperten der Akademie. Batterien seien zu schwer, um Flugzeuge und schwere Lastwagen zu bewegen. Wasserstoff gilt aber auch als saisonaler Speicher, der überschüssigen elektrischen Strom der Solaranlagen im Sommer chemisch für den Winter speichert. Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe könnten dereinst Gaskraftwerke antreiben, die in der Schweiz als Reserveenergie vor allem für die potenziell kritischen Wintermonate vorgesehen sind.
Doch das ist noch Zukunftsmusik – und wird vor allem dann ein Thema, wenn erneuerbare Energien die Kernkraftwerke ersetzen müssen. Die Axpo will Wasserstoff vorerst für den Schwerverkehr produzieren. In Glattfelden war vorgesehen, dass die Firma Hydrospider AG den Wasserstoff per Lastwagen an die Tankstellen liefert. Derzeit gibt es in der Schweiz 47 Brennstoffzellen-Lastwagen. Der Förderverein H2 Mobilität plant, bis 2025 1600 Lastwagen mit Brennstoffzellen auf die Strasse zu bringen. Das Netz von Wasserstofftankstellen soll dafür deutlich dichter werden – von derzeit 11 auf rund 50 in zwei Jahren.
Die EU beabsichtigt derweil, in den nächsten Jahren Milliarden in den Aufbau des Wasserstoffmarktes zu investieren. Bereits hat sich eine Koalition grosser Fahrzeughersteller wie Daimler, Honda und Hyundai dazu verpflichtet, bis 2030 etwa 100’000 Brennstoffzellen-Lastwagen einzusetzen, um die «Dekarbonisierung des europäischen Verkehrssektors» zu unterstützen.
Die Wasserstoffherstellung hat damit längst eine politische Dimension erreicht. Und deshalb ist auch der Fall Glattfelden von besonderer Bedeutung. Schweizer Energieunternehmen haben bisher grosse Solar- und Windkraftanlagen vor allem im Ausland realisiert, weil in der Schweiz die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen fehlten, um innert nützlicher Frist Grossprojekte zu verwirklichen. Das könnte nun auch bei der Wasserstoffproduktion wieder passieren.
Braucht es also einen nationalen Masterplan Wasserstoff? In anderen Fällen hat das Parlament gehandelt. In der Herbstsession hat es eine – juristisch freilich umstrittene – Spezialregel für den beschleunigten Bau bestimmter grosser Solaranlagen und die Erhöhung der Grimselstaumauer geschaffen. Guy Bühler, Leiter Wasserstoff bei der Axpo, sagt: «Natürlich wäre das wünschenswert. Die entstehende Wasserstoffwirtschaft wird es in verschiedenen Bereichen mit Regularien zu tun bekommen, die nicht für sie gedacht waren – und die anzupassen sein werden.»
«Es braucht nun schnell Pilotprojekte, die reüssieren.»
Einen ersten Schritt hat der Ständerat in der Herbstsession gemacht: Die Betreiber von Wasserstoffanlagen sollen für den Transport des Stroms, den sie für die Produktion brauchen, nichts bezahlen, die Stromnetzgebühren entfallen also. Damit werden Standorte attraktiver, die nicht in unmittelbarer Nähe zu Laufwasserkraftwerken oder grossen Solaranlagen liegen und deshalb neue Stromleitungen benötigen. Das Geschäft kommt nun in den Nationalrat – wo es wohl gute Chancen hat, auch im bürgerlichen Lager. Nationalrat Christian Imark (SVP) etwa sagt: «Ich halte es für richtig, dass bei neuen, vielversprechenden Technologien in einer frühen Phase Hindernisse abgebaut werden, analog zum Verzicht der Schwerverkehrsabgabe LSVA bei Wasserstofflastwagen.» Auch Nationalrat Bastien Girod (Grüne) sagt: «Eine wirtschaftliche Erleichterung macht Sinn.»
Für die Axpo und andere Wasserstoffförderer sind das gute Nachrichten. Axpo-Experte Bühler sagt: «Will die Schweiz einen Wasserstoffmarkt aufbauen, braucht es nun schnell Pilotprojekte, die reüssieren.» Solche Erfolge würden andere Akteure der Wirtschaft motivieren, nachzuziehen. Seit 2019 gibt es eine Wasserstoffanlage beim Wasserkraftwerk Gösgen, in St. Gallen steht eine zweite kurz vor der Inbetriebnahme. Der Bund ist derzeit daran, bis frühstens Ende 2023 eine Wasserstoff-Roadmap zu erarbeiten, wie beim Bundesamt für Energie zu erfahren ist. Die Befreiung von der Mineralölsteuer und der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) habe zudem dazu geführt, dass die Firmen Hydrospider und H2 Energy sowie der Förderverein H2 Mobilität zusammen auf privatwirtschaftlicher Basis begannen, eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen.
Das Projekt in Glattfelden lässt die Axpo fallen, den Entscheid des Baurekursgerichts zieht der Stromkonzern nicht weiter – zu deutlich sei dieser ausgefallen. Die Axpo will nun anderswo Wasserstoffanlagen bauen. Den nächsten Anlauf plant sie im Kanton Aargau: beim Laufwasserkraftwerk Wildegg-Brugg.
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