Demonstrationen im KaukasusstaatJetzt wagen auch Georgiens Diplomaten den Machtkampf mit der Regierung
Auslandsvertreter gehen auf Distanz zu Tiflis und fordern die Rückkehr zu einem europäischen Kurs. Botschafter legen ihre Ämter nieder.
- Georgiens Botschafterin Tea Maisuradze trat aus Enttäuschung über einen EU-Entscheid zurück.
- Proteste in Georgien führen zu Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften und Verhaftungen.
- Über 150 georgische Diplomaten fordern die Rückkehr zur europäischen Integration.
- Georgiens Regierung zeigt keine Kompromissbereitschaft in der politischen Krise.
Im Mai hat sie noch Werbung für Georgien gemacht. Dass Georgien das Land der ersten Europäer sei, dass es dort die höchstgelegene Siedlung Europas gebe, das Dorf Uschguli. Tea Maisuradze, Botschafterin des Kaukasusstaats in Tschechien, sagte in einem Interview, dass Georgien in seiner langen Geschichte immer wieder die «europäische Wahl verteidigt hat». Und auch dies sagte sie: dass sie glücklich sei über die «weise Entscheidung» der Europäischen Union, Georgien den Status des Beitrittskandidaten zu geben. Jetzt ist alles anders.
Den Beitrittsstatus hat die EU im Juni ausgesetzt. Und Tea Maisuradze ist auch nicht mehr georgische Botschafterin. Am Montag teilte sie auf dem sozialen Netzwerk X ihren Rücktritt mit. Höflich, wie das die Art von Diplomatinnen und Diplomaten ist, schrieb sie von der grossen Ehre, seit fast zwei Jahrzehnten den nationalen Interessen zu dienen und die europäische Integration zu fördern. Und zu dieser Integration gebe es keine Alternative.
Ihre offensichtliche Enttäuschung ist damit dezent verpackt. Denn von dieser europäischen Integration ist in Georgien derzeit kaum noch etwas übrig. Vor einer Woche teilte der georgische Ministerpräsident Irakli Kobachidse mit, dass Tiflis bis Ende 2028 keine Beitrittsverhandlungen mehr mit der EU führen werde. Die georgische Verfassung sieht jedoch den Kurs der europäischen Integration vor, weshalb nun täglich Tausende Menschen im Land auf die Strasse gehen.
Aktivisten in Georgien werden von Sicherheitskräften geschlagen
Die Konfrontation ist härter geworden, Polizei und andere Sicherheitskräfte treiben Demonstrierende auseinander, setzen Wasserwerfer, Tränengas und Pyrotechnik ein. Georgische Medien berichten immer wieder, dass Aktivisten geschlagen würden, das Innenministerium wiederum spricht von verletzten Beamten. Mehr als 200 Menschen seien in den vergangenen Tagen festgenommen worden. Was der Regierung womöglich mehr zu schaffen machen könnte als Strassendemonstrationen, ist der zunehmende Widerstand in den Institutionen.
Der Rücktritt von Tea Maisuradze als Botschafterin ist nicht der erste im diplomatischen Korps Georgiens. Zuvor hatten schon die georgischen Botschafter in Bulgarien und den Niederlanden ihre Ämter abgegeben. Auch der Botschafter in den USA und der Chargé d’Affaires in Italien traten zurück, die georgische Botschafterin in Litauen ebenfalls. Etwa 150 Diplomatinnen und Diplomaten hatten bereits in der vergangenen Woche in einem offenen Brief das Ende der Beitrittsverhandlungen durch die georgische Regierung kritisiert und den Weg zurück auf den europäischen Kurs gefordert. Das alles ist eine erstaunliche Botschaft, denn Diplomaten sind in der Regel besonders loyal zum Staat. Aber sie halten die Regierungspartei Georgischer Traum für nicht loyal zur eigenen Verfassung.
Nach einem Bericht des Nachrichtenportals Jam News haben sich auch mehr als hundert Angestellte des georgischen Verteidigungsministeriums in einer Erklärung für eine Annäherung an Europa ausgesprochen. Sie verweisen auf Artikel 78 der Verfassung, der die Westbindung Georgiens vorsieht. Das Land ist seit vielen Jahren auch ein enger Partner der Nato, die Allianz hat die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, ohne Datum allerdings. Das hat in Tiflis immer wieder eher zu Frust und Ungeduld geführt, bisher aber nicht zu einer Abkehr. Doch auch das Verhältnis zwischen dem westlichen Militärbündnis und Georgien ist belastet. Die Nato hatte das in Kraft getretene Gesetz über «ausländische Einflussnahme» kritisiert, das im Volksmund «russisches Gesetz» genannt wird und bereits im Frühjahr eine grosse Protestwelle in Georgien ausgelöst hat.
Präsidentin Surabischwili sucht Hilfe im Westen
Im georgischen Bildungsministerium haben sich mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen den autoritären, antieuropäischen Regierungskurs ausgesprochen. Eine Reihe von Universitäten, vor allem private, haben sich dem Protest angeschlossen und sind bis auf weiteres geschlossen. Vereinzelt haben auch georgische Schulen ihre Bereitschaft zu einem Streik erklärt. Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Jugend verurteilte es am Dienstag als inakzeptabel, dass Minderjährige in «politische Aktivitäten hineingezogen» würden und der Unterricht gestört werde.
Doch ein Ausweg im Machtkampf ist bislang nicht in Sicht. Die georgische Führung hat noch keine Anzeichen für Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Das georgische Verfassungsgericht bestätigte am Dienstag zudem den umstrittenen Wahlsieg der Regierungspartei Georgischer Traum bei der Parlamentswahl am 26. Oktober. Es lehnte damit einen Antrag von Präsidentin Salome Surabischwili ab, das Wahlergebnis zu annullieren und die Abstimmung zu wiederholen. Auch die Oppositionsparteien bleiben bei ihrer Haltung, wonach die Wahl unfair gewesen sei. Im Parlament arbeitet die Regierungspartei in diesen Tagen deshalb allein.
Präsidentin Surabischwili rief in der georgischen Krise nun die westlichen Länder auf, ihrem Land zu helfen. Die baltischen Staaten verhängten am Montag Sanktionen gegen Mitglieder der georgischen Führung.
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