Diversity-Pläne der PharmabrancheMedikamente sollten auch für Frauen getestet werden – doch nun kommt Trump
Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf Wirkstoffe. Das sollte besser erforscht werden. Weil die Richtlinie «Diversity Action Plans» heisst, bremst die US-Regierung das Vorhaben.
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- Die US-Regierung hat Richtlinien für klinische Studien zur Diversity infrage gestellt.
- Frauen wurden wegen hormoneller Schwankungen historisch in klinischen Studien oft ausgeschlossen.
- Künstliche Intelligenz könnte helfen, die Diversität in klinischen Studien zu verbessern.
In der Pharmaforschung spielt es eine grosse Rolle, an wem ein neues Medikament getestet wird: Die Wirkung wie auch die Nebenwirkungen von Medikamenten sind bei Männern anders als bei Frauen. Je nach Ethnie fällt sie ebenfalls anders aus. Bislang wurden beim Test neuer Medikamente jedoch vor allem weisse Männer berücksichtigt.
Erst seit einigen Jahren ist die Industrie dabei, dies zu ändern – doch die neue US-Regierung könnte diese Pläne nun über den Haufen werfen. Denn sie heissen «Diversity Action Plans».
Die Website der US-Arzneimittelbehörde mit einem Entwurf für Diversity-Richtlinien für klinische Studien zum Test möglicher neuer Medikamente wurde drei Tage nach Amtsantritt von Präsident Donald Trump vom Netz genommen. Per Gerichtsbeschluss ist sie seit vergangener Woche wieder aufgeschaltet.
Die Trump-Regierung liess sie aber mit einer blauen Box versehen. «Jegliche Information auf dieser Seite, die Genderideologie unterstützt, ist äusserst unrichtig und von der biologischen Realität losgelöst, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, männliche und weibliche.»
Der Genderbegriff, an dem die neue US-Regierung Anstoss nimmt, hat im Fall der klinischen Forschung jedoch nichts mit Wokeness oder Geschlechtsidentitäten zu tun. Diversität ist in der Pharmaindustrie nicht nur ein Thema von Firmenkultur und der Einstellung neuer Mitarbeitender. Sondern es geht um ihre Medikamentenentwicklung.
Die beiden Schweizer Pharmakonzerne Roche und Novartis, die beide Medikamente in den USA entwickeln und seit einigen Jahren Diversitätsprogramme für ihre klinischen Studien haben, halten sich mit Kommentaren zu den Vorgängen zurück. «Wir prüfen natürlich die jüngsten Entwicklungen der US-Administration und wie sich diese auf unseren Ansatz künftig auswirken könnten», erklärt eine Novartis-Sprecherin.
Lebenswelt hat grossen Einfluss auf Wirksamkeit von Medikamenten
Die Ursache dafür, dass Männer, Frauen und verschiedene Ethnien auf Wirkstoffe unterschiedlich reagieren, liegt nur zum Teil in ihrem biologischen Geschlecht und ihrem verschiedenen Stoffwechsel. Sie liegt auch in ihrem sozialen Geschlecht, das mit dem Begriff Gender gemeint ist.
«Es ist sicher so, dass soziale Faktoren den grössten Anteil beim Resultat klinischer Studien ausmachen», betonte Nicole Richie 2023 in einem Wissenschafts-Podcast. Die Biologin leitet bei der Roche-Tochter Genentech in San Francisco den Bereich Gesundheitsgerechtigkeit und Bevölkerungswissenschaft. Bei der Wirkung von Medikamenten spielt nicht nur Genetik eine Rolle, sondern vor allem auch der Lebensstil, Stresslevel und kulturell geprägtes Verhalten.
Konkret heisst das: Die Ergebnisse, die bei männlichen, weissen Probanden bei Tests neuer Medikamente gemessen werden, sind nicht eins zu eins auf Frauen und andere ethnische Gruppen übertragbar, da ihre Lebenswelt eine andere ist.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte deswegen unter der Regierung von Joe Biden die Pharmafirmen angewiesen, Diversity-Pläne für ihre klinischen Studien einzuführen. Ursprünglich sollten dafür bis diesen Juni Richtlinien eingeführt werden.
Nach dem Wirbel um den Entwurf der Richtlinien herrscht bei den Konzernen Unsicherheit: Niemand kann sagen, wie genau es weitergeht und wie sie ihre Medikamententests mit Tausenden von Probanden künftig planen müssen.
Für die Pharmabranche ist das ein Problem. Es ist ohnehin schwierig, in einem engen Zeitfenster Teilnehmende für die entscheidende, dritte Testphase eines möglichen neuen Medikamentes zu finden: Sie müssen das richtige Krankheitsprofil aufweisen und dürfen nicht zu viele weitere Krankheiten oder andere Ausschlusskriterien haben.
In der Schweiz hat die Zulassungsbehörde Swissmedic letzten Sommer vom Bundesrat den Auftrag erhalten, zu prüfen, ob geschlechterspezifische Aspekte bei der Zulassung vermehrt beachtet werden sollen. Laut einem Swissmedic-Sprecher wird derzeit lediglich verlangt, dass angemessene demografische Unterschiede in der Dosis-Wirkungs-Beziehung untersucht werden.
Lange glaubte man, dass Hormone die Resultate verfälschen
Frauen wurden bei den klinischen Studien weltweit bislang nicht bewusst ausgeschlossen. «Ihre Unterrepräsentation liegt an historischen und regulatorischen Faktoren sowie an der Sorge, dass hormonelle Schwankungen die Ergebnisse beeinflussen könnten», sagt Petra Jantzer. Sie leitet beim IT-Dienstleister und Unternehmensberater Accenture die Abteilung für die weltweite Life-Science-Industrie und ist unter anderem auf das Diversity-Thema spezialisiert.
Traditionell wurden Männer oft als Standardprobanden betrachtet, mit der Annahme, dass die Ergebnisse gleichermassen auf Frauen anwendbar wären. Seit längerem weiss man aber, dass das nicht stimmt.
Künstliche Intelligenz (KI) kann die Rekrutierung von Frauen in klinischen Studien erleichtern. Für Pharmafirmen gibt es jedoch ein grundsätzliches Problem: Diversität macht die Resultate von Medikamentenstudien ungenauer. Denn die Resultate variieren bei den jeweiligen Untergruppen. Auch hierbei soll KI helfen können. «Um so wichtiger ist es, die optimale Patientengruppe – inklusive Frauen – auszuwählen und die richtigen Zielgrössen für das Studienresultat festzulegen», betont Jantzer.
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