Interview zum Rahmenabkommen-EndeGeht uns jetzt der Strom aus?
Die Warnungen sind eindringlich: Die Versorgungssicherheit beim Strom in der Schweiz sei schon 2025 gefährdet. Wie akut das Problem wirklich ist, erklärt der Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen.
Die Strombranche ist in Aufruhr. Bis zuletzt hat sie darauf gehofft, dass ein Rahmenabkommen zustande kommt und der Weg frei ist für ein Stromabkommen. Nach dem Scheitern ist diese Hoffnung in weite Ferne gerückt. Branchenriese BKW und andere Akteure der Branche warnten davor, dass nun die Versorgungssicherheit gefährdet ist. (Lesen Sie hier und hier mehr dazu). Dazu haben wir mit Michael Frank, dem Direktor des Verbands der Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen, gesprochen.
Herr Frank, die Strombranche warnt vor unschönen Konsequenzen nach dem Rahmenabkommen-Aus. Kommt es schon bald zu Stromausfällen?
Nein. Kurzfristig haben wir keine Probleme. Aber die Schwierigkeiten nehmen definitiv zu. Ab 2025 müssen europäische Länder 70 Prozent ihrer Kapazität an der Grenze für den Handel zur Verfügung stellen. Damit sinkt die Kapazität für Importe. Und auf die lange Sicht müssen wir mehr Strom importieren, weil etwa die AKW abgeschaltet werden, wir gleichzeitig mehr Strom verbrauchen für die Elektrifizierung und der Ausbau der Erneuerbaren in der Schweiz nur schleppend vorankommt. Zudem werden ungeplante Stromflüsse in die Schweiz zunehmend schwieriger zu kontrollieren, was die Systemstabilität gefährdet.
Aber: Die EU nimmt doch nicht Blackouts in Kauf, nur um Macht zu demonstrieren, und gefährdet damit gleichzeitig die Stromsicherheit in den umliegenden Ländern.
Vorsätzlich will wohl niemand die Stromversorgung gefährden. Aber die EU nimmt zumindest Probleme in Kauf, womit letztlich eine Lose-lose-Situation entstehen kann.
Die Schweiz hat zudem einen Vorteil: Der Strom in Richtung Italien fliesst vor allem durch die Schweiz. Gefährdet die EU also den Stromfluss in der Schweiz, gefährdet sie Italien.
Klar will die EU Italien nicht abhängen. Aber: Hier stehen ideologische Gründe über sachlichen Lösungen, von denen alle profitieren würden.
Sie und die Branche warnen davor, dass die Gefahr steigt und dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Dazu eine Analogie: Wenn in einem Raum ein Legostein liegt, kann ich unbesorgt mit geschlossenen Augen rumlaufen. Nun liegen da plötzlich 10 Legosteine. Die Gefahr, draufzustehen, ist also gestiegen. Aber noch immer kann ich relativ unbesorgt rumlaufen.
Das Problem ist: Es werden zunehmend mehr und grössere Legosteine rumliegen, gerade aufgrund der laufenden Weiterentwicklungen der Regelungen in der EU. Ich würde nicht die Hand ins Feuer legen, dass wir 2035 immer noch unbesorgt in diesem Raum herumlaufen können, ohne dass wir auf einen Stein stehen werden. Was wir als Branche also tun: Wir weisen auf die Gefahren hin und dass es zunehmend schwieriger wird.
«Es wäre sinnvoll, das Stromabkommen aufzutrennen und Netzstabilität und Zugang zum Markt separat anzuschauen.»
Heute kann also niemand sagen, wie gross das Problem wirklich sein wird. Ist es nicht eher so: Die Stromwirtschaft sieht vor allem ein Problem, weil sie jetzt schon weniger mit Strom handeln kann, also wirtschaftlich weniger vom ständigen Auf-und Ab an den Strombörsen profitiert.
Es geht darum, das Stromsystem der Schweiz zu stabilisieren und die Versorgungssicherheit nicht unnötig zu gefährden. Deshalb wäre es sinnvoll, das Stromabkommen aufzutrennen und Netzstabilität und Zugang zum Markt separat anzuschauen. Hätten wir die Netzstabilität gewährleistet, wäre der fehlende Marktzugang zu verkraften. Mit einem Abkommen auf technischer Ebene, damit die Netzstabilität gewährleistet wäre, würden wir schon besser fahren als heute. Und die EU müsste eigentlich daran auch ein Interesse haben.
Die Schweiz hat einen weiteren Vorteil: Sie hat Wasserkraftwerke, die man zur Netzstabilisierung europaweit einsetzen kann. Da hat doch die EU ein Interesse daran.
Das Problem ist, dass wir diese Kapazität immer stärker für die Netzstabilität einsetzen müssen. Damit geht Versorgungsenergie verloren, die Ende Winter fehlen wird. Aber ja, eigentlich hätten hier alle Parteien ein Interesse daran, das Netz nicht nur europäisch zu verstehen, sondern auch so zu betreiben.
Es gäbe die Möglichkeit, dass die Schweiz Gaskraftwerke baut, um solche Stabilisierung erweitert anbieten zu können und so Verhandlungsmasse aufzubauen, um den Knoten beim Stromabkommen zu lösen.
Das ist eine Idee und die ist nicht neu. Und: In der Not frisst der Teufel Fliegen. Wenn der Ausbau der inländischen Erneuerbaren nicht vorangeht oder nicht ausreicht, dann müssen wir innert kürzester Zeit halt Gaskraftwerke bauen. Die haben aber den Nachteil, dass sie eine schlechte CO₂-Bilanz haben und teuer sind.
«Bisher konnten wir uns im europäischen Kontext mit Bastellösungen zu helfen wissen.»
Heisst also: Versorgungssicherheit können wir auch ohne Stromabkommen schaffen, aber es wird teuer.
Grundsätzlich muss dies möglich sein. Gerade die Massnahmen zur Gewährleistung der Netzstabilität der Swissgrid sind jedoch sehr teuer. Ein zusätzlicher und massiver Ausbau von erneuerbaren Energien, um die Importabhängigkeit zu verringern, wäre auch sehr teuer.
Wenn man der Strombranche so zuhört, klingt das alles sehr düster. Aber seien wir ehrlich: Wir und die EU werden am Ende doch nicht unsere Stromversorgung auf das Spiel setzen.
Es ist heute so, dass die Perspektive nicht gut ist. Bisher konnten wir uns im europäischen Kontext mit Bastellösungen zu helfen wissen. Aber für eine solch eminent wichtige Infrastruktur wie den Strom ist das keine gute Idee. Niemand will der Stromversorgung schaden. Aber darauf zu hoffen, dass es dann schon gut kommt, ist weder seriös noch gibt es uns die Sicherheit, die wir brauchen. Und: Die Branche kann das nicht im Alleingang lösen. Ich vertraue aber darauf, dass die Akteure beidseitig der Grenze ihre Verantwortung wahrnehmen werden.
Worauf setzen Sie denn die Hoffnung?
Die Politik funktioniert momentan irrational und nimmt Nachteile und unnötige Risiken in Kauf. Wir wünschen uns ein sachlicheres und weniger ideologisches Vorgehen. Experten, Übertragungsnetzbetreiber und andere technischen Gremien sind hingegen durchaus in der Lage, zumindest für die notwendige Netzstabilität Lösungen zu finden. Da bin ich überzeugt.
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