Faire Preise im Detailhandel«Gegenmacht» zu Coop und Migros: Bund soll EU-Regel übernehmen
Der Verein Faire Märkte Schweiz will Bauern helfen, die unter Preisdrückerei leiden. Doch Detailhändler rechtlich zu belangen, dürfte schwierig werden. Nun gibt es einen neuen Plan.
Das Ziel ist klar: Migros und Coop sollen Bauern für deren Produkte fair entschädigen. Nicht klar ist dagegen, ob der neue Verein Faire Märkte Schweiz dieses Ziel erreichen wird. Er plant, Fälle vor die Wettbewerbskommission des Bundes zu bringen. Peter Georg Picht, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich, hegt jedoch Zweifel: «Ich halte es nicht für ausgemacht, dass der Verein damit Erfolg hat.»
Der Verein hat Mitte Juli der Elsa Group rechtliche Schritte angedroht. Die Migros-Tochter will den Bauern weniger für die Milch bezahlen, weil beim Milchpreis der Unterschied zwischen der Schweiz und dem Rest Europas stark gewachsen sei. Faire Märkte Schweiz dagegen sieht keine stichhaltigen Gründe für die Senkung. Dieser Schritt könne deshalb im Sinne des Kartellrechts missbräuchlich sein.
Der Verein argumentiert mit der Marktstellung der Migros. Zusammen mit Coop decke der Detailhändler rund 70 Prozent des Milchmarkts ab, der Anteil der Migros betrage 40 Prozent, es mangle an Alternativen. Die Migros-Tochter Elsa sei deshalb als marktmächtig einzustufen. Elsa kartellrechtlich zu belangen, dürfte jedoch schwierig werden, wie Experte Picht erläutert. Folgende Schwierigkeiten bestehen:
Hohe Hürde: In der Schweizer Rechtsprechung gilt die Vermutung für eine marktbeherrschende Stellung ab einem Marktanteil von 50 Prozent, wie Picht sagt. «Es ist also schon nicht klar, ob Migros oder Coop in einem Markt für Milch aus der Schweiz jeweils einzeln über eine marktbeherrschende Stellung verfügen.» Auch müsste erst verifiziert werden, ob eine sogenannt kollektive Marktbeherrschung durch die beiden Unternehmen vorliege.
Neue Regelung: Helfen könnte dem Verein eine Neuerung im Kartellgesetz: Seit 2022 gibt es die Rechtsfigur der relativen Marktmacht. Als relativ marktmächtig gilt ein Unternehmen, wenn der Geschäftspartner keine ausreichende und zumutbare Möglichkeit hat, auf andere Abnehmer auszuweichen. Im vorliegenden Fall wäre laut Picht also zu klären, inwiefern ein Milchbauer seine Milch anderswo als bei der Elsa absetzen kann.
Fehlende Rechtspraxis: Es gibt noch keine etablierte Rechtspraxis zur neuen Regelung. Weder Gerichte noch Behörden haben bis jetzt entschieden, ob das allgemeine Verbot, missbräuchlich unangemessene Preise und Geschäftsbedingungen zu erzwingen, in gleicher Weise für relativ marktmächtige und für marktbeherrschende Unternehmen gilt. Mit einer Anzeige bei der Weko würde also Neuland betreten, so Picht.
Knifflige Einordnung: Behörden und Gerichte sind bis jetzt zurückhaltend gewesen, das Kartellrecht zur Kontrolle konkreter Preishöhen einzusetzen, aus mehreren Gründen. So etwa ist es schwierig zu beurteilen, welcher Preis für ein Produkt angemessen ist, da sich Preise am Markt bilden und ständigem Wechsel unterliegen. Verstösse werden, wenn überhaupt, «eher in relativ drastischen, klaren Fällen festgestellt, wie Picht sagt. Ob das auf den Elsa-Fall zutrifft, kann der Experte nicht sagen, da er die Details zu wenig kenne. Tatsache ist: Elsa senkt den Milchpreis um 1,5 bis 2 Rappen pro Liter. Sie versichert, dass ihr Milchpreis auch so noch «überdurchschnittlich» bleibe. Genaue Zahlen nennt sie freilich nicht.
Eingeschränkte Bussen: Stellt die Weko einen Missbrauch fest, kann sie Bussen aussprechen. Die Sanktionen können bis zu 10 Prozent des Umsatzes betragen, den das fehlbare Unternehmen in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielt hat. Allerdings seien solche Kartellbussen nur gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen möglich, so Experte Picht, für relativ marktmächtige Unternehmen sehe sie das Gesetz nicht vor. Fraglich ist zudem, inwieweit solche Bussen eine abschreckende Wirkung entfalten.
Trotz der skizzierten Schwierigkeiten ist der Verein Faire Märkte Schweiz zuversichtlich, mit Anzeigen bei der Wettbewerbskommission (Weko) Erfolg zu haben. «Wir gehen von einer relativen Marktmacht aus, und diese wurde bisher noch nie richtig untersucht», sagt Präsident Stefan Flückiger. Die Milchlieferanten seien mangels Alternativen wirtschaftlich abhängig von Elsa. Der Wechsel zu einem neuen Abnehmer, so Flückiger, wäre mit grossen finanziellen Verlusten verbunden, sofern überhaupt ein anderer Abnehmer diese Milch bei einem solchen abtrünnigen Produzenten auf dem Hof abholen würde.
Bund soll EU-Regel einführen
Der Verein hofft auch auf die Schweizer Politik. Vorbild ist die EU. Gemäss EU-Gesetzgebung können sich in den jeweiligen Ländern Produzenten mit total maximal einem Drittel der Milchmenge zusammenschliessen und so einen gewichtigen Konterpart zu den Abnehmern bilden. Diese Regelung müsse auch der Bund einführen, sagt Präsident Stefan Flückiger. Der Verein will nun Parlamentarier im Bundeshaus dafür gewinnen, einen Vorstoss mit dieser Forderung einzureichen. «Auch Schweizer Produzenten», sagt Flückiger, «sollen diese Gegenmacht gesetzlich aufbauen dürfen.»
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