«Gefühlte Inflation» Die Inflation sinkt, aber warum merken das nicht alle im Portemonnaie?
Die Daten zur Teuerung betreffen nicht alle Produkte in gleichem Mass – und auch nicht alle Bevölkerungsgruppen. Für manche nimmt die Teuerung sogar zu.
Zu einer nationalen Kaufkraft-Demonstration ruft ein Bündnis für diesen Samstag in Bern auf. «Das Leben wird immer teurer», konstatieren Gewerkschaften, Travailsuisse-Verbände, SP, die Grünen und der Mieterinnenverband. «Um die Folgen der Kaufkraftkrise für die Bevölkerung abzufedern, braucht es rasche Massnahmen gegen explodierende Prämien, Mieten und Stromkosten», schreiben die Organisatoren. Denn die Inflation wirke sich vor allem auf die unterste Einkommensgruppe aus.
Neue Daten zur Inflation zeigen, dass an diesem Befund etwas dran ist. Denn die Teuerung schwächt sich zwar weiter ab – aber das gilt nicht für alle Einkommensklassen gleich. Im August nahmen die Preise bei den regelmässig zum Leben gebrauchten Gütern um 1,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu, wie der am Donnerstag veröffentlichte Konsumentenpreisindex von Comparis zeigt. Angestiegen sind die Preise für Einpersonenhaushalte von Menschen ab 65 Jahren.
In den Index sind Lebensmittel, Strom, Mobilität oder Reisekosten eingeschlossen. Er soll so die sogenannte «gefühlte Inflation» abbilden. Also die Teuerung, die am schnellsten von Konsumentinnen und Konsumenten wahrgenommen wird. Die Vergleichsplattform Comparis arbeitet dafür mit der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich zusammen. Deren Zahlen zeigen: Zuletzt sind etwa die Preise für Kinderkleider, Treibstoff oder Weisswein spürbar gestiegen.
Der Anstieg der Krankenkassen-Prämien wird bei der Inflation nicht berücksichtigt. Weder beim Comparis-Index noch beim offiziellen Lamdesindex der Konsumentenpreise (LIK) des Bundesamtes für Statistik. Der Grund: Sie werden nicht als Konsumausgaben definiert.
Für August beträgt zwar auch die monatlich vom Bundesamt für Statistik erhobene Inflation 1,6 Prozent. Doch die gefühlte Teuerung liegt seit dem Einfall Russlands in die Ukraine im Februar 2022 generell deutlich über der offiziellen Angabe des Bundes. Denn vor allem die Lebensmittel- und Energiekosten haben durch den Krieg in der für die Agrarproduktion wichtigen Ukraine zugenommen.
Beim Comparis-Warenkorb fällt das stärker ins Gewicht, weil er Autos, Möbel und andere nur selten gemachte grössere Anschaffungen im Gegensatz zum Bundesamt für Statistik ausschliesst.
«Für diejenigen mit geringem Einkommen wirken sich höhere Lebensmittelpreise anteilsmässig viel stärker auf ihr knappes Budget aus als für Hochverdiener.»
Allgemein ist die Auswirkung der Teuerung bei Lebensmitteln, Energiekosten und Mieten auf die breite Bevölkerung am stärksten. «Denn sie sind im Gegensatz zu Freizeitgütern unverzichtbar», erklärt Ökonom Alexis Perakis von der KOF. «Für diejenigen mit geringem Einkommen wirken sich höhere Lebensmittelpreise anteilsmässig viel stärker auf ihr knappes Budget aus als für Hochverdiener.»
Die Inflation spüren Menschen je nach ihrem Alter und ihrer Lebensform ganz unterschiedlich. Die höchste Teuerung erlebten in den letzten 12 Monaten Einpersonenhaushalte von Menschen ab 65 Jahren. «Sie fühlen gegenwärtig eine Teuerungsrate von 2,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr», sagt Dirk Renkert von Comparis. «Je nach Konsum- und Freizeitverhalten wirkt sich die Inflation unterschiedlich stark aus.» Auch im August hat für diese Gruppe die Inflation noch einmal zugenommen, während sie insgesamt abgenommen hat.
Am schwächsten von der Teuerung betroffen war die mittlere bis hohe Einkommensklasse. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Preise für sie um 1,5 Prozent gestiegen. Im vergangenen Monat wurde der Konsum für diese Gruppe laut dem KOF-Index sogar um 0,6 Prozent günstiger.
Bei der gefühlten Inflation ausgeschlossen sind die Mietpreise. Der Grund für Comparis, sie nicht zu berücksichtigen: Mieten verändern sich üblicherweise langsamer als andere Güter. Nun folgt aber für viele am 1. Oktober eine Mieterhöhung, weitere dürften nächstes Jahr kommen. Dies trifft untere Einkommensklassen besonders hart.
Energiepreise fallen weniger ins Gewicht
Die Mieten nehmen im offiziellen Teuerungsindex der Schweiz mit knapp 20 Prozent das grösste Gewicht ein.
Aber im offiziellen Schweizer Inflationsindex wird sich die Teuerung durch die Mieten erst zeitverzögert widerspiegeln: «Die Statistik erhebt die Mietpreise nur viermal im Jahr», sagt Perakis. Er geht davon aus, dass die offizielle Inflationsrate deswegen erst im November deutlich steigen wird.
Die Energiekosten machen rund 2 Prozent im Inflationsindex des Bundesamts für Statistik aus. Ihren Anstieg um im Schnitt 18 Prozent im kommenden Jahr spüren die Konsumentinnen und Konsumenten deshalb nicht so stark im Portemonnaie.
«Doch auch wenn die Inflation nächstes Jahr einmal wieder bei 0 Prozent liegen sollte, heisst das nicht, dass die Preise wieder moderat sind», sagt Perakis. Die Inflationsrate betrachtet nämlich höchstens die Preisentwicklung innerhalb eines Jahres. Das aber erweist sich derzeit als verengter Blick, da mit dem Ukraine-Krieg im März 2022 die Preise abrupt auf ein deutlich höheres Niveau gesprungen sind.
Und so schnell werden sie wohl nicht wieder sinken.
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