Gaza, Libanon, IranIm Nahen Osten zünden sie die nächste Eskalationsstufe
Der Anschlag auf die Trauernden im Iran folgt nur einen Tag nach der gezielten Tötung des stellvertretenden Hamas-Chefs Saleh al-Arouri in Beirut. Die Angst vor einem Flächenbrand im Nahen Osten wächst.
Es waren zwei laute Detonationen, die sich unter das eher leise Trauern mischten am Mittwoch in der Stadt Kerman im Zentrum des Iran. Zwei Explosionen, die nach Angaben des iranischen Staatsfernsehens mindestens 100 Menschen töteten, die gekommen waren, um des vor vier Jahren getöteten Generals Qassem Soleimani zu gedenken, der 2020 durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff ums Leben gekommen war.
Die iranische Regierung sprach sofort von einem Terrorangriff, ohne zu sagen, wer ihn verübt haben könnte. Sicher ist, dass die zwei Detonationen vom Mittwoch mit den vielen Toten in 700 Meter Entfernung von Soleimanis Grab den Krieg im Gazastreifen und die vielen anderen Konflikte im Nahen Osten in eine völlig neue Eskalationsstufe katapultieren könnten.
Für viele regimetreue Iraner ist Soleimani ein Held und Märtyrer, ein Diener der Revolution. Soleimani war Kommandant der iranischen Quds-Brigaden, der für Auslandseinsätze zuständigen Abteilung der iranischen Revolutionsgarden. Ein Titel, der seine wahre Macht etwas verschleiert: Soleimani war massgeblich daran beteiligt, dass die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien zurückgeschlagen wurde und der Iran im Nachbarland Irak so deutlich an Einfluss gewann. Er finanzierte und erweiterte die «Achse des Widerstands», jene Terrorgruppen, die sich vom Jemen über Syrien bis zur Hizbollah im Libanon und zur Hamas im Gazastreifen die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt haben.
Der Anschlag auf die Trauernden folgt nur einen Tag nach der gezielten Tötung des stellvertretenden Hamas-Politbüro-Chefs Saleh al-Arouri, der in Beirut durch einen Israel zugerechneten Drohnenangriff ums Leben kam. Ob es eine Verbindung zwischen beiden Taten gibt, ist völlig unklar. Soleimani hatte viele Feinde, er kämpfte gegen die Taliban und IS-Terroristen, gegen syrische Rebellen und irakische Sunniten. Und er stützte jene, die Israel bedrohten. An Motiven mangelt es nicht.
Israel hat in der Vergangenheit Atomwissenschaftler im Iran töten lassen, die am Atomprogramm des Landes beteiligt waren. Am Montag beschuldigte der Iran die Regierung in Jerusalem, für den Tod des Kommandanten der Revolutionären Garden, Seyyed Razi Mousavi, in Syrien verantwortlich zu sein. Der Anschlag vom Mittwoch passt nicht in dieses Muster bisheriger gezielter Tötungen.
Die oberste iranische Führung reagierte zunächst nicht direkt auf die mutmasslichen Anschläge. Ali Khamenei hatte am Morgen noch in einer Moschee des vierten Todestages von Soleimani gedacht. Er verlor in seiner Rede kein Wort über den am Tag zuvor getöteten Arouri, was von manchen Beobachtern als Indiz dafür gewertet wurde, dass der Iran und damit auch die von ihm unterstützte Hizbollah im Libanon den Tod von Arouri nicht als Anlass nehmen, um den Konflikt mit Israel weiter zu eskalieren.
Die Hizbollah hat seit dem 7. Oktober fast täglich Raketen auf Israel abgeschossen, das mit Drohnen und Panzern zurückschlug, etwa 140 Hizbollah-Kämpfer kamen dabei ums Leben. Es war bisher ein fast schon ritualisierter Konflikt, der es vor allem der Hizbollah erlaubte, ihren Anhängern zu zeigen, dass man Israel bekämpfe – ohne diese Kämpfe eskalieren zu lassen.
Hizbollah-Chef: Tötung war israelischer Angriff
Die Hamas kritisierte schon vor der Tötung ihres Politbüro-Vizechefs Saleh al-Arouri die aus ihrer Sicht halbherzige Unterstützung durch die Hizbollah und erhöht nun den Druck. Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah sagte am Mittwochabend in einer ohnehin geplanten Ansprache, Arouris Tod sei «ein unverhohlener israelischer Angriff», kündigte aber zunächst keine Konsequenzen an. Nasrallah sagte, er werde sich erst in einer weiteren Rede am Freitag genauer mit der Situation im Libanon und einer möglichen Reaktion beschäftigen. Beobachter erwarten, dass er den Konflikt zwar rhetorisch verschärft, aber nicht zwingend militärisch.
Dennoch wächst in der Region die Angst vor einem Flächenbrand. Der Verteidigungsminister des Iran, Mohammad-Reza Ashtiani, warnte, die Tötung Arouris störe das Gleichgewicht in der Region und werde Konsequenzen haben. Verantwortlich sei vor allem die US-Politik. «Der Rauch bläst in ihre eigenen Augen», sagte Ashtiani.
Der libanesische Aussenminister Abdallah Bou Habib sagte dem BBC Radio 4, dass seine Regierung mit der Hizbollah spreche, um «sie zu überzeugen, dass sie nicht selbst reagieren sollten. Wir sind sehr besorgt, die Libanesen wollen nicht hineingezogen werden.» Habib forderte den Westen auf, «Druck auf Israel auszuüben, damit es all seine Gewalt und seine Aktionen einstellt, nicht nur im Libanon, nicht nur in Beirut, sondern auch im Gazastreifen».
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte nach einem Gespräch mit Benny Gantz, einem Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, Israel habe «jedes eskalierende Verhalten, insbesondere im Libanon, zu vermeiden».
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