Abkommen für Freihandel Schweizer Maschinenbauer wittern in Indien das grosse Geschäft
Pflanzliche Proteine, Infusionsflaschen, Rasierklingen: Indien will zur Industrie-Weltmacht aufsteigen. Dafür braucht das Land Hightechanlagen aus der Schweiz.
Die Bruderer AG mit Sitz in Frasnacht ist eine jener Firmen, die selbst in ihrem Heimatkanton Thurgau nicht jeder kennt. Doch in ihrem Business zählt sie zur Weltspitze. Mit rund 500 Mitarbeitern stellt sie Maschinen her, mit denen man aus Metall oder Kunststoff allerlei Bauteile formen, schneiden und stanzen kann, die es für die Herstellung von Konsumgütern braucht: Klingen für Rasierapparate, Konnektoren für Handyladekabel, Scharniere für Schränke.
Über eine kleine Niederlassung in der Stadt Bangalore vertreibt Bruderer ihre Stanzmaschinen auch in Indien. Neun Angestellte kümmern sich dort um Verkauf und Service der Geräte, dabei schaut ein Umsatz im einstelligen Millionenbereich heraus. Künftig könnten die Einnahmen steigen: Der Thurgauer Familienbetrieb will vom Freihandelsabkommen profitieren, das die Efta-Staaten mit der indischen Regierung ausgehandelt haben.
Das Abkommen schafft die Einfuhrzölle auf Schweizer Industrieprodukten weitgehend ab. Für die Bruderer AG bedeutet das: Ihre Maschinen dürften für Kunden in Indien rund 10 Prozent günstiger werden. Die Firma käme so in den Genuss von ähnlich guten Lieferbedingungen wie ihre Konkurrenz aus Japan. Diese profitiert bereits heute von einem Zollfreiabkommen mit Indien.
«Der starke Franken hat uns in den letzten Jahren zu schaffen gemacht», sagt Miodrag Stojsic, Verantwortlicher für die Region Asien-Pazifik bei Bruderer. «Fallen künftig die Zölle weg, so können wir unsere Maschinen preiswerter liefern – und durch den Abbau der Zoll-Bürokratie obendrein auch schneller.»
Das 1943 gegründete Unternehmen setzt grosse Hoffnungen in den indischen Markt. Die dortige Wirtschaft wächst rasant, mit Raten von 7 Prozent. Lange fristete Indien mit seiner protektionistischen Politik ein Schattendasein. Doch nun wird das Land neben China zunehmend zur zweiten Grossmacht in Asien.
Das sieht man nicht nur bei der Bruderer AG in Frasnacht am Bodensee so. Sondern auch dreissig Autominuten davon entfernt, im st.-gallischen Uzwil.
Schokolademaschinen für den indischen Markt
Hier ist ein Unternehmen beheimatet, das in der Schweizer Maschinenindustrie eine grössere Nummer ist: die Bühler-Gruppe, ein Anlagenbauer im Bereich der Lebensmitteltechnologie, der mit über 12’500 Mitarbeitern an weltweit dreissig Produktionsstandorten einen einstelligen Milliardenumsatz erwirtschaftet.
Auch Bühler hat schon länger ein Standbein in Indien. An die 1000 Mitarbeiter arbeiten hier für den Ostschweizer Familienkonzern. Sie fabrizieren Getreidemühlen, Kaffeeröstmaschinen und Reisverarbeitungsanlagen oder sind in gruppenweiten Abteilungen wie der IT oder den Human Resources tätig.
Dank dem Freihandelsabkommen soll der Export nach Indien angekurbelt werden. In der Schweiz stellt Bühler etwa Anlagen zur Herstellung von pflanzlichen Proteinen oder für die Schokoladeverarbeitung her. Auf solche Geräte fallen nach Angaben des Konzerns derzeit gut 8 Prozent Zoll an – künftig könnten sie womöglich zollfrei auf den Subkontinent verschifft werden.
Darüber hinaus verspricht sich Bühler einen Booster für das globale Geschäft. «Indien ist ein geostrategisch wichtiger Standort», sagt Dipak Mane, der seit dreissig Jahren für Bühler arbeitet und die Geschäftsleitung bei der globalen Expansion berät. «Von hier aus bedienen wir nicht nur den indischen Milliardenmarkt, sondern organisieren auch das gesamte Geschäft in Afrika.»
Wie Mane sagt, erzeugen Freihandelsabkommen einen «Halo-Effekt». Sie bringen Volkswirtschaften näher zusammen: Von der Handelsabfertigung bis zum Technologietransfer vereinfacht sich vieles. Bereits heute bildet Bühler in Indien eigene Nachwuchskräfte aus, angelehnt an die hiesige Berufslehre. Der Konzern will in Indien weitere Investitionen tätigen und den Export steigern.
Grosses Potenzial ortet Bühler dabei in der Automobilbranche. Hier hat die Firma ihr zweites Standbein. Ihre sogenannten Megacasting-Anlagen können in einem einzelnen Druckgussverfahrensschritt grosse Karosseriebauteile aus Aluminium herstellen, die beim Bau von Elektroautos zunehmend wichtig sind. An solchen Anlagen ist Indien interessiert. Denn das Land muss nicht nur Nahrungsmittel für 1,4 Milliarden Menschen verarbeiten, sondern will auch im Mobilitätsbereich seine Industrie auf den modernsten Stand bringen.
Und auch in einer weiteren, wichtigen indischen Wirtschaftssparte sind Schweizer Maschinen gefragt: in der Medizintechnik- und Pharmaindustrie.
Indien will zu China aufschliessen
Diese Sparte bedient die Firma Maroplastic. Ihr Produktionsstandort befindet sich in Reitnau, einem Aargauer Dorf, das an den Kanton Luzern angrenzt. Rund 130 Mitarbeiter bauen hier Maschinen zusammen, mit denen man aus Kunststoff Infusionsflaschen und Ampullen für Augentropfen herstellen und diese im gleichen Arbeitsschritt mit Flüssigkeit befüllen und versiegeln kann.
Das klingt nicht nach Hightech, ist es aber, wie Geschäftsführer Ernst Schweizer erklärt. «Die Anlage muss in einem Durchlauf, fehler- und verunreinigungsfrei Millionen von Einheiten herstellen. Dazu braucht es eine extreme Präzision.»
Das Aargauer KMU ist Teil der Unternehmensgruppe Rommelag, die eigentlich aus Deutschland stammt. Seit dem Kalten Krieg produziert sie aber auch in der Schweiz, da dies im Handel mit den Ostblockstaaten damals von Vorteil war.
Das Netz von guten Handelsbeziehungen, das die Schweiz weltweit pflegt, hat dem Standort in Reitnau auch im neuen Jahrtausend geholfen. So laufen bei Rommelag gruppenweit alle Aufträge mit China über die Schweiz, weil das einfacher ist. Dasselbe gilt laut Ernst Schweizer auch im Geschäft mit Indien. Er erwartet von dort im kommenden Jahr fünf bis zehn Maschinenbestellungen. Diese Aufträge, die jeweils einige Millionen Franken in die Kasse spülen, würden die Kapazität in Reitnau grösstenteils auslasten.
Dank dem Freihandelsabkommen will Maroplastic seine Wettbewerbsfähigkeit in Indien steigern. Zehn Prozent Preisnachlass seien ein wichtiges Verkaufsargument, sagt Schweizer: Im Vergleich zur italienischen und amerikanischen Konkurrenz sei man damit nicht mehr ganz so teuer. Wichtig seien auch die schnelleren Abläufe. «Wenn wir statt zwölf Monaten eine Lieferfrist von acht oder neun Monaten anbieten können, nützt uns das sehr.»
Auch die Maroplastic betrachtet das Schwellenland als strategisch wichtig. Denn von dort aus würden auch Länder wie Bangladesh bedient, die weniger weit entwickelt seien. «So entsteht ein Multiplikatoreffekt», sagt Ernst Schweizer. Er hofft, dass das Abkommen bald ratifiziert wird und in Kraft treten kann.
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