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Frank-Walter Steinmeier im Interview
«Extremisten waren immer das Unglück unseres Landes»

«Es ist tatsächlich einiges ins Rutschen geraten. Die politischen Sitten sind verroht»: Frank-Walter Steinmeier, deutscher Bundespräsident.

Herr Steinmeier, Deutschland hat eine unruhige Woche hinter sich. Die Bauern haben im ganzen Land protestiert. Erst auf Ihrem kürzlichen Neujahrsempfang im Schloss Bellevue haben der Kanzler und der Präsident des Bauernverbands miteinander gesprochen. Hätte Olaf Scholz früher mit den Bauern reden müssen?

Ich finde es in der augenblicklichen Situation dringend notwendig, dass persönliche Gespräche stattfinden. Proteste sind legitim, aber Sprachlosigkeit zwischen der Bundesregierung und den Bauern schadet allen Beteiligten.

Der Unmut der Bauern ist ja nur das augenfälligste Symptom für die Probleme von Kanzler Olaf Scholz. Das Vertrauen in seine Regierung ist so niedrig wie noch nie. Und die AfD könnte bei den drei Landtagswahlen in diesem Jahr stärkste Partei werden. Was hat die Bundesregierung da falsch gemacht?

Wir sind in einer aussergewöhnlichen Situation. Die vielen aufeinanderfolgenden Krisen schaffen Verunsicherung. Klar ist aber auch: Wenn die Glaubwürdigkeit einer Regierung sinkt, hängt das auch damit zusammen, dass Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert oder akzeptiert worden sind, oder von internem Streit, der nach aussen dringt, überlagert werden. Die Regierung muss ein Interesse daran haben, das zu verbessern.

Es gibt nicht nur einen Vertrauensverlust in die Regierung, sondern generell in die Politik.

Es ist tatsächlich einiges ins Rutschen geraten. Die politischen Sitten sind verroht, mindestens in den sozialen Medien. Von Respekt gegenüber Andersmeinenden ist nur noch wenig zu spüren. Auch der Respekt vor demokratischen Institutionen und ihren Repräsentanten schwindet. Immer mehr Menschen nehmen ihr eigenes Interesse für das Ganze und leiten daraus das Recht ab, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und dabei denke ich nicht nur an den Umgang mit Vizekanzler Robert Habeck, der am Fähranleger in Schlüttsiel von Demonstranten bedrängt wurde. Sondern auch an manche Aktivisten der Letzten Generation.

Was ist die Konsequenz daraus?

Wir dürfen das nicht einfach so weiterlaufen lassen. Wir brauchen Auseinandersetzungen, auch scharfe. Aber wir brauchen ebenso Ausgleich und die Bereitschaft zum Kompromiss. Wer diese Grundregeln gesellschaftlichen Miteinanders infrage stellt, der gefährdet die Demokratie.

Was werden Sie in diesem Jahr tun, um das «nicht einfach so weiterlaufen» zu lassen?

Als ich vor sieben Jahren ins Amt kam, habe ich zur Verwunderung einiger gesagt, dass das Hauptthema meiner Amtszeit der Schutz der Demokratie sein werde. Mir war immer klar, dass das, was wir mit einiger Überheblichkeit vor allem in den USA beobachtet haben, das Erodieren demokratischer Selbstverständlichkeiten, die Zunahme der Polarisierung, dass uns das auch erreichen kann. Ich habe deshalb frühzeitig gesagt, wir müssten das Zusammenleben in unserer Gesellschaft stabilisieren. Dazu gehört die Würdigung des Ehrenamts, ebenso der Respekt vor den demokratischen Institutionen. Dazu gehört für mich aber auch, dass wir überall dort, wo Entfremdungen stattgefunden haben, etwa zwischen Stadt und Land, diese nicht nur einfach feststellen. Sondern, dass wir gegen diese Entfremdungen vorgehen.

In drei deutschen Bundesländern finden dieses Jahr Landtagswahlen statt. Ist es eine Gefahr für die Demokratie, wenn die AfD eine oder mehrere gewinnt?

Die Verantwortung tragen die Wählerinnen und Wähler. Und vor dieser Verantwortung kann sich niemand drücken, der den Weg in die Wahlkabine antritt. Ich hoffe, dass jeder, der wählt, dies nicht nur in einer Stimmung von Wut oder Frust tut – sondern auch im Bewusstsein über die Folgen. Auch die gerade veröffentlichten Recherchen zum Treffen rechtsextremer Aktivisten zeigen ja, dass wir sehr wachsam sein müssen.

«Wenn Menschen nicht Verantwortung übernehmen, trocknet die Demokratie aus.»

Das war eine sehr allgemeine Antwort.

Mit unserer Demokratie, wie sie das Grundgesetz geprägt hat, haben wir bisher sehr gut gelebt. In diesem Land ist vieles gelungen, wonach andere sich sehnen. Es ist gelungen, weil es bei uns auch nach scharfen politischen Auseinandersetzungen die Bereitschaft zum Kompromiss gab. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das jeder Wähler vor der Stimmabgabe sehr nachdrücklich in Erinnerung ruft. Wenn wir in die Geschichte zurückschauen, stellen wir fest: Extremisten waren immer das Unglück unseres Landes.

Der langjährige deutsche Verfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhle hat gesagt, es sei durchaus möglich, dass sich unsere westliche Demokratie nur als eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erweise. Hat er übertrieben?

Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen. Die Demokratie ist nie auf Ewigkeit garantiert. Sie lebt nicht nur vom Grundgesetz, sondern auch vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Dieses Engagement brauchen wir. Die Qualität der Demokratie in Deutschland zeichnet sich eben auch dadurch aus, dass Hunderttausende sich Zeit nehmen, um ihre Gemeinde, ihre Stadt besser zu machen. Ich bin deshalb erschüttert über die Beschimpfungen und die tätlichen Angriffe, die es sogar schon auf der kommunalen Ebene gibt. Wenn sich deshalb Verantwortungsträger zurückziehen oder sich Menschen erst gar nicht entschliessen, Verantwortung zu übernehmen, dann trocknet die Demokratie von unten aus.

Nähern wir uns den Weimarer Verhältnissen der 1920er-Jahre?

Wir haben heute eine andere Situation. Das hängt zum einen mit der Nachkriegssituation 1918 zusammen, mit der Hyperinflation, mit der Massenarbeitslosigkeit. Das gibt es heute nicht. Zum anderen darf man trotz aller Sorge wegen der Extremisten von rechts zwei Dinge nicht unterschätzen. Wir haben heute Sicherungen im deutschen Grundgesetz, die die Weimarer Verfassung nicht hatte. Und 80 Prozent der deutschen Bevölkerung bekennen sich heute klar und uneingeschränkt zur Demokratie. Das war in der Weimarer Republik nicht der Fall: Damals war die demokratische Mitte gefangen zwischen Radikalen von links und rechts.

«Pessimismus lähmt da, wo wir eigentlich Haltung, Mut und aktives Handeln brauchen», sagt Frank-Walter Steinmeier.

Aber heute gibt es eine wachsende Bewegung gegen das sogenannte Establishment.

Das kennen wir aus den USA. Donald Trump hat schon in seinem Wahlkampf für die Präsidentschaft 2015, 2016 dem Establishment den Kampf angesagt. Den haben anfangs viele unterstützt. Aber was war das Ergebnis? Dass in seiner Republikanischen Partei alle abgeräumt wurden, die nicht so radikal waren wie er. Denn aus Sicht derer, die gegen das Establishment kämpfen, ist jeder Teil des Establishments, der nicht zu ihnen gehört. Insofern kann ich nur warnen vor allen, die Radikalisierungstendenzen aus einem kurzfristigen, parteipolitischen Kalkül unterstützen.

Unter radikalen Rechten heisst es oft, die Demokratie kehre erst zurück, wenn die AfD regiere.

Der US-Politologe Daniel Ziblatt hat gesagt, es gebe Grundbedingungen für eine funktionierende Demokratie. Zum einen, dass jede Partei die faire Chance haben müsse, an der nächsten Wahl wieder teilnehmen zu können, und zum anderen, dass sie auch nach einer Niederlage nie in ihrer Existenz bedroht sein dürfe. Wenn sich aber eine Partei durchsetzt, die mit unserer heutigen Demokratie fremdelt und rechtsstaatliche Sicherungen infrage stellt, dann wird es für die anderen Parteien auf lange Sicht keine faire Chance mehr geben. Das ist in der Genetik dieser radikal-populistischen Partei so angelegt, dass sie keine Opposition duldet. Oder sie als Verrat oder Verschwörung diskreditiert.

Es gibt bereits Forderungen, die AfD zu verbieten. Ist das sinnvoll?

Ich kann die Erfolgsaussichten nicht beurteilen. Ein Verfahren würde vermutlich sehr lange dauern. Ich rate dazu, dass wir uns auf das konzentrieren, was unmittelbar in diesem Jahr möglich und notwendig ist: Wir sollten die besseren Antworten geben, wir sollten demokratische Mehrheiten organisieren und diese stärken.

Können Sie uns zum Jahresauftakt auch etwas Ermutigendes mitgeben?

Ich denke zurzeit öfter an einen Satz, den der frühere israelische Präsident Shimon Peres gesagt hat: Pessimismus ist einfach Zeitverschwendung. Pessimismus lähmt da, wo wir eigentlich Haltung, Mut und aktives Handeln brauchen. Gehen wir 2024 in diesem Sinne an.