Folgen des Hitzesommers Flüsse und Bäche bleiben warm, Fischsterben werden sich häufen
Ungewöhnlich hohe Wassertemperaturen wie diesen Sommer in der Schweiz sind für Forellen, Äschen und andere Tiere lebensgefährlich. Experten warnen.
Der diesjährige Hitzesommer hat viele Schweizer Flüsse extrem erwärmt. Noch vor knapp einer Woche lagen die Temperaturen im Rhein bei Basel bei über 21 Grad. Selbst nach den zuletzt kühleren Tagen verzeichnet die Messstation noch über 18 Grad. Der Verlauf der Wassertemperatur war in diesem Jahr aussergewöhnlich, wie die Daten zeigen, die seit 1977 erhoben werden: Seit Mitte Mai bis Anfang September lagen die Werte im Rhein meistens 3 bis 4 Grad über der Norm, Anfang August war das Wasser mehr als 26 Grad warm.
Ähnliche Temperaturverläufe findet man auch in der Limmat oder in der Aare bei Thun. Auch hier ist es immer noch ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit. Viele Schweizer Seen wie Bodensee, Zürichsee oder Thunersee wurden in diesem Sommer so stark aufgeheizt, dass deren Abflüsse bis heute Wassertemperaturen über der Norm aufweisen.
«Die Äschenpopulation im Rhein hat sich seit 2018 nicht mehr erholt.»
Noch kann man schweizweit nicht beziffern, wie sich diese extremen Wassertemperaturen auf die Ökologie der einzelnen Gewässer ausgewirkt haben. «Klar ist aber: In diesem Sommer waren viele Fliessgewässer über längere Zeit zu warm und zu trocken für kälteliebende Fischarten», sagt Andrin Krähenbühl von der Fischereiberatungsstelle Fiber, die vom Bundesamt für Umwelt und vom Wasserforschungsinstitut Eawag finanziert wird.
Forellen zum Beispiel sind ab einer Temperatur zwischen 18 und 20 Grad bereits gestresst und fressen bei weiter steigender Temperatur immer weniger. Bei längerfristigen Temperaturen über 23 Grad steigt das Risiko, dass die Fische sterben. Bei Äschen liegt die kritische Temperatur bei etwa 26 Grad. Im Hochrhein bei Schaffhausen starben im Hitzesommer 2018 mehrere Tonnen Äschen. Erstaunlicherweise blieb in diesem Sommer trotz der hohen Wassertemperatur während längerer Zeit ein grosses Fischsterben aus. «Die Äschenpopulation im Rhein hat sich seit 2018 nicht mehr erholt. Deshalb gab es in diesem Sommer auch kein grosses Äschensterben», sagt Samuel Gründler vom Schweizerischen Fischerei-Verband.
Alarmstimmung bei Fischern
Wie viele Fische, namentlich Äschen, den diesjährigen Sommer überlebt haben, könne man allerdings erst im nächsten Frühling abschätzen. «Wir wissen nicht, wie viele Fische sich vom Rhein in den Bodensee retten konnten, wo sie in der Tiefe kühlere Reviere finden», erklärt Gründler. Erst Zählungen der frisch geschlüpften Fischlarven im Rhein werden Gewissheit darüber bringen.
Dennoch: Der Fischerei-Verband sprach bereits Mitte August von einer Katastrophe historischen Ausmasses. «Es gab wohl noch nie so viele trocken gefallene Flüsse und Bäche wie in diesem Sommer», erklärt Samuel Gründler die Alarmstimmung bei den Fischern. In fast allen Kantonen seien Notabfischungen durchgeführt worden. Im Kanton Bern zum Beispiel kam es zu 176 Notabfischungen (Stand Mitte August). Dabei wurden rund 34’000 Fische gerettet. Im Gegensatz zum Hitzesommer 2018 sei es in diesem Jahr länger und intensiver trocken gewesen, so der Verband. Niedere Wasserstände und höhere Wassertemperaturen seien «toxisch»: Fische könnten nicht mehr genügend atmen – und es fehlten Rückzugsräume.
Ungewöhnlich ist für die Fachleute, dass in diesem Jahr die ganze Schweiz von hohen Wassertemperaturen und trocken gefallenen Gewässern betroffen war. «Problematisch war, dass zahlreiche Fliessgewässerstrecken, gerade in den sonst häufig kühleren Überläufen, ausgetrocknet waren», sagt Andrin Krähenbühl von der Fischereiberatung. Für Fische ist das fatal: Sie sind dann in Austiefungen, wo es noch wenig Wasser hat, eingeschlossen und sterben schliesslich unter anderem an Sauerstoffmangel.
Fischereiverwaltungen und Fischer reagierten, indem sie trocken fallende Flussabschnitte abfischten und die Fische in andere Abschnitte überführten. «Das rettet zwar die Individuen, kann aber an einem anderen Ort zu einer Vermischung von Populationen führen, was wiederum dazu führen kann, dass sich eine Fischpopulation weniger an die veränderten Verhältnisse anpasst», sagt Krähenbühl.
In Hitzesommern findet eine mehr oder weniger starke Auslese für tolerantere Individuen statt. «Inwiefern dies langfristig zu einer Anpassung an höhere Temperaturen führt, ist aber derzeit noch unklar», sagt Krähenbühl. Fliessgewässer seien sehr stark strukturiert und wiesen zum Teil einzigartige, lokal angepasste Fischpopulationen auf. «Ein Abschnitt kann zwar nach einem Trockenheitsereignis wiederbesiedelt werden, aber die genetische Basis einer verlorenen, einzigartigen Population kehrt damit nicht zurück», sagt Krähenbühl.
Nicht nur der Fischerei-Verband ist alarmiert, auch die Bundesverwaltung ist über die Entwicklung besorgt. Der Klimawandel wirkt sich heute bereits auf fast alle Schweizer Gewässer aus. «Die Temperatur nimmt seit den 60er-Jahren in den meisten Flüssen der Schweiz zu», sagt Thilo Herold, Hydrologe beim Bundesamt für Umwelt. So ist zum Beispiel im Rhein bei Basel die Wassertemperatur in diesem Zeitraum im Jahresdurchschnitt um mehr als 2 Grad gestiegen.
Selbst in Bächen wie der Lütschine im Kanton Bern, in deren Einzugsgebiet der Grindelwaldgletscher liegt, steigt die Temperatur inzwischen an. Der Gletscher ist wegen des Klimawandels viel kleiner geworden, und auch der Schnee schmilzt im Jahresverlauf früher weg. «Man kann diese Entwicklung so interpretieren, dass deswegen das Wasser der Lütschine heute weniger stark gekühlt wird», sagt Herold. Dies sei auch bei der Massa unterhalb des Aletschgletschers im Wallis erkennbar.
16 Tage über 25 Grad
So blickt das Bundesamt für Umwelt nicht sehr optimistisch in die Zukunft: «Im Mittelland liegt die Wassertemperatur heute in vielen Gewässern für Forellen im oberen Toleranzbereich», heisst es im kürzlich erschienenen Bericht zum Zustand der Gewässer in der Schweiz. Gab es in den 80er- und 90er-Jahren kaum Sommer, in denen die Wassertemperaturen in den Flüssen über 25 Grad stiegen, so kam das in den vergangenen 15 Jahren in verschiedenen Flüssen wie dem Rhein, der Aare, der Limmat oder der Thur immer wieder vor – und zwar während mehrerer Tage.
2018 überschritt die Temperatur die 25-Grad-Grenze im Rhein bei Basel während 16 Tagen, in der Thur bei Andelfingen waren es 25 Tage. In Extremsituationen wie Hitze und Trockenheit kämen auch Massensterben der Forellen häufiger vor, heisst es im Bericht des Bafu. Unter Druck geraten nicht nur Forellen und Äschen, auch andere kälteliebende Fische wie Nasen, Barben oder Groppen sind betroffen.
Bereits heute sind 65 Prozent der Fische gefährdet oder bereits ausgestorben. Seit 2021 gilt auch die Äsche als «stark gefährdet». Verantwortlich dafür sind aber nicht nur die erhöhte Wassertemperatur und die Trockenheit. Es ist ein Bündel verschiedener Faktoren. Auch die Wasserqualität spielt eine grosse Rolle, wenn es darum geht, bedrohte Fischarten zu schützen. An Massnahmen fehlt es grundsätzlich nicht. Die Kantone sind daran, Gewässer zu revitalisieren, was laut Andrin Krähenbühl die stärkste Massnahme gegen die Folgen des Klimawandels ist. Dazu sind Gewässer wieder stärker zu vernetzen, damit die Fische zu kühleren Stellen wandern können.
«Natürlicher Bewuchs kann einen Bach um mehrere Grad abkühlen.»
Natürlicher Bewuchs in den Gewässerräumen führt zu Schattenflächen. «Das kann einen Bach um mehrere Grad abkühlen», sagt Krähenbühl. Heute sind Flüsse und Bäche in der Schweiz gemäss Bundesamt für Umwelt auf 14’000 Kilometern, also auf knapp einem Viertel der Gesamtlänge, verbaut oder unterirdisch verlegt. Zudem gibt es schweizweit mehr als 100’000 Querbauwerke, welche die Bewegung von Fischen und anderen aquatischen Arten einschränken.
Es sei vorgesehen, innerhalb von 80 Jahren rund 4000 Kilometer verbaute Gewässerabschnitte zu revitalisieren, das entspricht rund 50 Kilometern pro Jahr, heisst es im Bericht zum Zustand der Gewässer. Doch mit der Umsetzung hapert es: Zwischen 2011 und 2019 wurden insgesamt erst rund 160 Kilometer revitalisiert, was etwa 18 Kilometern pro Jahr entspricht.
Und noch etwas erwähnt der Fischexperte: Bei Trockenheit müsse stets genügend Restwasser in unseren Fliessgewässern sein, um die Biodiversität in unseren Gewässern nicht zu gefährden. Die derzeitige Energiediskussion stellt jedoch genau diese Bestimmung infrage. Damit die Wasserkraft mehr Strom produzieren kann, sollen vorübergehend Restwasserbestimmungen ausser Kraft gesetzt werden.
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