Analyse zum abgelehnten Swiss-GAVFlight-Attendant ist kein Beruf fürs Leben mehr
Die Kabinencrews haben einen Gesamtarbeitsvertrag deutlich verworfen. Während sie noch nicht mal einen Teuerungsausgleich bekommen, sitzt die Swiss jetzt am längeren Hebel.
Die Schweiz ist für die Fluggesellschaft Swiss Fluch und Segen zugleich: Zum Beispiel ist Zürich im Herzen Europas optimal gelegen, um Umsteigepassagiere vom ganzen Kontinent über das Drehkreuz zu schleusen. Zudem ist der Wirtschaftsstandort Schweiz ein hervorragender Heimmarkt mit zahlungskräftigen Kunden.
Dank diesen Faktoren hat die Swiss in den ersten neun Monaten des letzten Jahres 287 Millionen Franken Gewinn geschrieben, obwohl der Jahresbeginn noch von Corona beeinflusst war. Von solchen Verhältnissen träumen die meisten anderen Airlines.
Aber die erwähnte Kaufkraft ist auch die Achillesferse der Swiss: Sie zahlt den Grossteil ihrer Löhne in Franken. Sie vertritt zumindest den Anspruch, dass sie auch im Grossraum Zürich zum Überleben reichen sollen.
Ihr Passagiermarkt dagegen ist in höchstem Masse international geprägt: Ob ein Elsässer über Paris oder Zürich in die USA fliegt, entscheidet vor allem der Preis. In Paris hat das Personal der Air France aber deutlich tiefere Lebenskosten und einen tieferen Lohn.
Die einen 18 Prozent, die anderen nur 4 Prozent mehr
Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Ablehnung eines neuen Gesamtarbeitsvertrages (GAV) zu sehen, den die Swiss und die Gewerkschaft Kapers dem Kabinenpersonal zur Abstimmung vorgelegt hatten. Zwei Drittel der Stimmenden sprachen sich bei einer Stimmbeteiligung von 90 Prozent gegen den Vorschlag aus, wurde am Montagnachmittag bekannt. Vorerst bleibt der GAV von 2015 in Kraft.
Neben einer besseren Planbarkeit des Soziallebens für die rund 3000 Kabinenangestellten in einigen Bereichen und höherer Flexibilität für die Swiss in anderen hätte die Vorlage insbesondere Lohnerhöhungen beinhaltet: Neueinsteigerinnen hätten neu 4000 statt 3400 Franken brutto verdient, also 18 Prozent mehr als bisher. Altgediente hätten dagegen nur 4 Prozent mehr erhalten.
Neue Angestellte in der Kabine hätten damit von Beginn an einen Betrag verdient, für den Personen, die noch unter einem alten GAV begonnen hatten, erst mehrere Jahre in der Firma hatten arbeiten müssen. Dafür würden sie nie mehr in die Gehaltsphären der Alteingesessenen vorstossen, sogar wenn sie jahrelang dabei blieben.
Das Einverständnis zu einer deutlichen Erhöhung der Einstiegslöhne war nötig geworden, nachdem die Swiss vergangenes Jahr teilweise unter fehlendem Personal gelitten hatte. Zudem dürfte eine Rolle gespielt haben, dass in Genf, dem zweiten Schweizer Heimflughafen der Swiss, bald ein kantonaler Mindestlohn von 4000 Franken greift.
«Natürlich wurde es endlich Zeit, dass die Jungen in diesem verantwortungsvollen Beruf nicht mehr deutlich schlechter verdienen als jemand an der Supermarktkasse», sagt ein Kabinenchef, der schon seit Jahrzehnten für die Swiss, beziehungsweise Swissair, fliegt.
«Aber dass bei uns Älteren die Löhne nur so wenig angehoben wurden, ist ein Affront», sagt er. Hinzu seien verschiedene weitere Schwächen des GAV-Vorschlags gekommen wie zum Beispiel, dass ältere Arbeitnehmende neu gewisse Dienste hätten übernehmen sollen, die sie bisher nicht hatten leisten müssen.
Offensichtlich will sich die Swiss ein teureres Korps nicht nur nicht leisten – sie muss es auch nicht.
Dass die Löhne der Arrivierten nur wenig steigen sollten, ist als klares Signal einer neuen Personalpolitik zu werten: Es sollen weniger teure Alte in der Kabine arbeiten – Flight-Attendant ist kein Beruf fürs Leben mehr. Stattdessen sollen Junge, die mit ihrem Gehalt noch keine Familie durchbringen müssen, für ein paar Jahre den Reiz der Luftfahrt geniessen. Und dann wieder kündigen. Das ist günstiger.
Gemäss einer Swiss-Sprecherin läuft die Rekrutierung gerade erfreulich. Pro Woche erhalte die Personalabteilung Bewerbungen im dreistelligen Bereich. 1000 neue Flugbegleiterinnen plant sie dieses Jahr einzustellen. Ein bedeutender Teil davon dürfte aus dem Ausland kommen. Offensichtlich will sich die Swiss ein teureres Korps nicht nur nicht leisten – sie muss es auch nicht.
Zwar schreibt die Sprecherin auch, man bedauere das Ergebnis der GAV-Abstimmung «ausserordentlich». Der Leidensdruck der Swiss ist aber weniger gross als jener der Angestellten: Bei einer Annahme des GAV hätte die Swiss im Jahr ungefähr 20 Millionen Franken höhere Lohnkosten gehabt. Nach aktuellem Stand erhalten die Crews nicht einmal den Teuerungsausgleich.
Damit ist die Swiss in einer guten Ausgangsposition für die nächste Verhandlungsrunde. Um selbst wieder ein Pfand in der Hand zu haben, dürften sich – nach den Piloten letztes Jahr – nun auch die Kabinenangestellten über einen Streik Gedanken machen.
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