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Filippo Leutenegger vs. Peter Grünenfelder
Auf das Wahldebakel folgt der Showdown in der Zürcher FDP

Filippo Leutenegger
Peter Grünenfelder
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«Als Parteipräsident ist man eine Strassenlaterne. Unten wird man angepisst, oben muss man leuchten.» Diesen Spruch hat kürzlich Balthasar Glättli aufgewärmt, als er seinen Rücktritt als Präsident der Grünen angekündigt hat. Der Ausspruch stammt von Martin Vollenwyder, der in den 1990er-Jahren sowohl die Stadtzürcher wie auch die kantonale FDP präsidiert hat.

Der unbezahlte Job als FDP-Kantonalpräsident ist wieder zu haben, weil Hans-Jakob Boesch nach mehr als sieben Jahren aufhört. Boesch hat in einem Interview mit dieser Redaktion angedeutet, dass es nicht einfach ist, Personen zu finden, die Verantwortung übernehmen. Zumal die primäre Aufgabe sein wird, die FDP aus dem Jammertal zu holen, nachdem die einst stolze Partei jüngst durch internen Streit und ein ungeklärtes Verhältnis zur SVP aufgefallen ist und erneut Wähleranteile und wichtige Mandate verloren hat.

So gesehen war die Partei glücklich, verkünden zu können, dass sich jemand gemeldet hat. Das Duo Peter Grünenfelder und Thomas Henauer will das Präsidium als Co-Leitung übernehmen. Zuerst schien es, dass der 56-jährige Auto-Schweiz-Präsident und der 54-jährige Thalwiler Gemeinderat unangefochten bleiben.

Wahlpodium Thalwil, Gemeindesaal, Gemeinderatskandidat Thomas Henauer. 2.3.2022  Bild: Sabine Rock

Doch lange nach Ablauf der Anmeldefrist und nur dreieinhalb Wochen vor der entscheidenden Delegiertenversammlung (DV) am Dienstag hat der Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger, der am Samstag seinen 71. Geburtstag feiert, seine (wilde) Kandidatur angemeldet.

Seinen Altersnachteil will er mit zwei jungen Vizes wettmachen. So tritt er im Team mit Raffaela Fehr, 38-jährige Kantonsrätin aus Volketswil, und Matthias Müller, 31-jähriger Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, an.

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Es ging ein Raunen durch die FDP. Gemäss Recherchen dieser Redaktion waren viele froh, eine Auswahl zu erhalten. Häufig wird Leuteneggers Kandidatur als Reaktion auf jene Grünenfelders gewertet. Insbesondere im Parteiestablishment weckt Gr¨ünenfelder nicht nur positive Gefühle.

ZH_NR_FDP_Mueller_Matthias

Wende-Duo fordert personelle Erneuerung

Dieser hatte im vergangenen Frühling einen sehr pointierten und selbstständigen Wahlkampf als Regierungsratskandidat geführt und war nicht davor zurückgeschreckt, neben dem politischen Feind auch die Freunde anzugreifen. Das Resultat war schlecht: Grünenfelder landete auf Platz 9 und verpasste es klar, den zweiten FDP-Sitz in der siebenköpfigen Kantonsregierung zurückzuerobern, den die Partei 2019 an die Grünen verloren hatte.

Henauer und Grünenfelder positionieren sich als «Duo vom Land und der Stadt», wie sie kürzlich in einem Versand an die FDP-Delegierten geschrieben haben. Nach dem Verlust des zweiten Regierungssitzes und nun des Ständeratssitzes stehe die Partei an einem Wendepunkt. Sie brauche eine Rundumerneuerung – auch personell. So wollen die beiden einen neuen Vorstand mit Mitgliedern ohne «persönliche Agenda» präsentieren, wie sie schreiben.

Mit Anti-Staat-Rhetorik die SP überholen

Das Duo tritt mit einem 5-Punkte-Programm an und hat grosse Ambitionen. Inhaltlich lautet die wichtigste Leitlinie «Privat vor Staat». Staatliche Eingriffe bedeuteten mittelfristig Wohlstandsverlust, begründen die beiden Kandidaten. Sie wollen die FDP im Kanton Zürich bis 2027 zur zweitstärksten Kraft hinter der SVP machen.

Nimmt man die Resultate der Nationalratswahlen, müsste die FDP auf die SP fast 9 Prozentpunkte wettmachen. Zudem wollen Grünenfelder und Henauer je einen Sitz im Ständerat und im Regierungsrat zurückerobern. Letzteres könne auch auf Kosten der Mitte gehen, wie Grünenfelder auf Nachfrage erklärt. Er kritisiert die «Rosinenpickerei» der Mitte, welche bei den Regierungswahlen mit der FDP und der SVP kooperiere, sich aber bei den nationalen Wahlen anderweitig orientiert habe.

«Öffentliches Anschwärzen der parteiinternen Konkurrenz muss absolut tabu sein.»

Peter Grünenfelder und Thomas Henauer

Auf dem Programm stehen auch eine aktive Nachwuchsförderung und der Teamspirit. «Öffentliches Anschwärzen der parteiinternen Konkurrenz muss absolut tabu sein», schreiben sie. Und Grünenfelder ergänzt: «Wir wollen rundum modernisieren – und nicht nur moderieren. Wir stehen für Fortschritt und nicht für Status quo.»

Leutenegger auf Tauchstation

Über das Programm von Filippo Leutenegger ist fast nichts bekannt. Er will sich erst an der DV öffentlich zu seinen Absichten äussern. Auch Raffaela Fehr und Matthias Müller schweigen.

Das bedeutet aber nicht, dass das Trio nicht bei den Sektionen weibelt. Von dort ist zu hören, dass sich Leutenegger für vier Jahre als Präsident verpflichten und gleichzeitig in der Stadtregierung verbleiben will.

Als geschickter Schachzug wird hinter den Kulissen gewertet, dass Leutenegger eine junge Frau, die eher dem linken Parteiflügel zuzuordnen sei, und einen prominenten Jungfreisinnigen mit Rechtsdrall in die Crew aufgenommen hat. So kann er sich der Unterstützung der Zürcher Jungpartei sicher sein, wie Präsident Luis Deplazes bestätigt.

«Die Funktionen Stadtrat und Parteipräsident sind nicht miteinander vereinbar.»

Martin Vollenwyder (FDP)

Zu reden gibt das ungewöhnliche Doppelmandat als Stadtrat und Parteipräsident, das Leutenegger anstrebt.

Etwa aus inhaltlichen Gründen. So müsste Leutenegger als FDP-Chef die Stadtregierung angreifen, deren (kollegiales) Mitglied er ist. Tempo 30 oder die Wohnpolitik sind Themen, die brandaktuell sind und bei denen die kantonale FDP den Stadtrat aktiv bekämpft.

«Die beiden Funktionen Stadtrat und Parteipräsident sind nicht miteinander vereinbar», sagt Martin Vollenwyder, der beide Rollen kennt. Er war vier Jahre lang FDP-Kantonalpräsident und anschliessend elf Jahre lang Stadtrat.

Prominente Leutenegger-Unterstützer

Vollenwyder hält aber auch fest, dass die Ämterkumulation nicht verboten ist und dass er es begrüsst, dass Leutenegger mit einer jungen Garde antritt.

Weiter wird bezweifelt, dass Leutenegger genügend Zeit für das aufwendige Parteimandat hat. «Ich hatte eine 80-Stunden-Woche», sagt Monika Weber, die 1998 bis 2006 das Schul- und Sportdepartement führte, welchem nun Leutenegger vorsteht. Die frühere Stadträtin betont, das Departement sei «mit den systemrelevanten Bereichen Volksschule und Sport» ein Fulltime-Job. Auch Weber kennt die Belastung als Parteipräsidentin. Sie hat in den 1990ern den nationalen Landesring der Unabhängigen vier Jahre lang präsidiert. Sie sagt aber auch: «Filippo ist ein guter Typ, er muss das selber wissen.» Wäre sie eine Freisinnige, würde sie sich Leutenegger als Präsidenten wünschen, schwärmt Weber.

Auch der abtretende FDP-Ständerat Ruedi Noser sprach sich kürzlich für Leutenegger und seine Crew aus.

Grünenfelder/Henauer: «Guter Mix»

Thomas Isler wiederum rät Leutenegger von «dieser Knochenarbeit in diesem Alter» ab. Der frühere FDP-Kantonsrat bevorzugt «als Unternehmer», wie er betont, das Duo Grünenfelder/Henauer und spricht von einem «guten Mix aus Dynamik und Bodenständigkeit». Auch Kantonsrat Martin Farner spricht sich für dieses Co-Präsidium aus, wie er der NZZ sagte.

Isler und Farner sind Ausnahmen. Viele von der Redaktion angesprochene Freisinnige mögen sich nicht öffentlich äussern. Einige nennen ihre Favoriten, möchten aber nicht zitiert werden. Insbesondere in der FDP der Stadt Zürich, in der sowohl Grünenfelder wie Leutenegger und Müller wohnen, gehen die Meinungen auseinander. Es gibt Befürchtungen, dass das FDP-Stadtratsmandat durch Leuteneggers anvisierte Doppelrolle geschwächt werden könnte.

FDP-Frauen halten sich zurück

Auch auf dem Land, wo es ein Murren wegen der stadtlastigen FDP-Nationalratsliste gab, ist keine eindeutige Tendenz auszumachen. Und die FDP-Frauen geben keine Wahlempfehlung ab, wie Co-Präsidentin Bettina Balmer sagt. Die Ausmarchung scheint offen zu sein, allenfalls mit leichten Vorteilen für Leutenegger. «Am wichtigsten ist mir, dass wir Freisinnigen uns voll und ganz hinter das neue Präsidium stellen – wer auch immer das Rennen macht», sagt Balmer.

Sowohl Filippo Leutenegger wie Thomas Henauer wollten schon einmal Parteipräsident werden. Leutenegger scheiterte 2004 gegen Doris Fiala, Henauer 2016 bereits in der Vorauswahl.

Der Showdown findet am Dienstagabend in Zürich statt. Es ist der letzte Akt des abtretenden Präsidenten Hans-Jakob Boesch. Erwartet werden über 200 FDP-Delegierte, beantragt ist geheime Wahl.