Meister YB in der Krise«Es gibt keinen Grund zu jammern»
Nach nur drei Monaten als Trainer wird Patrick Rahmen bereits infrage gestellt. Vor dem Spiel in Basel mag er nichts beschönigen – und sagt, wie er mit der Kritik umgeht.
Vor dem Stadion ist die Welt der Young Boys noch in Ordnung. Auf der grossen alten Matchuhr steht schön brav: YB 2, Gast 1.
Wenn da bloss nicht diese beiden Tabellen wären, welche die Realität abbilden: Elfter und damit Vorletzter in der Super League, auf Platz 36 und damit Letzter in der Champions League mit der jüngsten Erinnerung eines 0:5 in Barcelona. Das Bild ist düster und passt so gar nicht zum Anspruch eines Vereins, für den nur der Meistertitel genug sein kann.
«Natürlich gibt es angenehmere Momente», sagt Patrick Rahmen. Er sitzt unten im Kabinengang, an einem Holztisch, der einen stabilen Eindruck vermittelt, und mit Blick ins Stadion, in dem sich diese Saison schon so oft die grosse Leere breitgemacht hat.
Rahmen ist erst seit Sommer Trainer beim Meister, gekommen aus Winterthur, wo es ein grosser Erfolg war, nicht abzusteigen. Kaum am neuen Ort, steht er unter Druck und in der Kritik. Der «Blick» schreibt davon, dass das Spiel am Sonntag in Basel schon sein letztes bei YB sein könnte. Die NZZ stellt die Mutmassung in den Raum, dass die Verantwortlichen bei anhaltender Talfahrt bald grösser denken und sich mit Trainern wie Urs Fischer oder Lucien Favre beschäftigen könnten. Die Botschaft mag versteckt sein und ist doch deutlich genug zu erkennen: Rahmen soll für YB nicht gross genug sein.
Und der Trainer? Er sitzt also da, eine kleine Flasche stilles Wasser in der Hand, und sagt zu den Berichten: «Wenn man in der Meisterschaft nur eines von acht Spielen gewinnt, sind sie normal. Sie sind Teil des Jobs, den man akzeptieren muss.» Das sagt er im Gespräch immer wieder: dass das alles Teil des Geschäfts sei. Und weil er das so hält, betont er auch, dass all das Gerede um seine Person nichts mit ihm mache.
YB zertrampelt jede Hoffnung gleich selbst
55 ist er seit April, der Typ Bär, der in sich ruht. Als Trainer hat er viel gesehen, in Luzern, Hamburg, Aarau oder Basel, ob als Assistent oder Chef. Er verweist gleich selbst darauf, um klarzumachen, dass ihn nichts so schnell aus der Bahn wirft. Für die Kritik an den bisherigen Resultaten hat er Verständnis. «Es gibt keinen Grund, deshalb zu jammern», sagt er, «die Kritik ist berechtigt. Wir müssen jetzt einfach aus der Situation herauskommen.»
Die Situation ist verfahren seit der ersten Woche der Saison, als es drei Niederlagen absetzte, und es waren empfindliche Niederlagen: beim 1:2 daheim gegen Sion, beim 1:3 in Genf und dann vor allem beim 0:4 in St. Gallen, bei diesem Spiel, das für Rahmen «sehr ernüchternd» war, «weil wir von A bis Z keinen Zugriff fanden».
Diesem Fehlstart hecheln Trainer und Mannschaft bis heute hinterher. Sie können machen und tun, was sie wollen, es wird nicht besser. Kleine Zeichen der Hoffnung wie die beiden Siege als Aussenseiter im Champions-League-Playoff gegen Galatasaray Istanbul zertrampeln sie mit einem schwachen Auftritt gegen Lausanne gleich selbst wieder. Und als sie in der Meisterschaft endlich einmal gewonnen haben, beim 4:1 in Winterthur, stürzen sie sich in eine 0:1-Niederlage daheim gegen GC.
«Das hat keine Logik», hält Rahmen fest. Und er sagt es, weil er seine Mannschaft gerade nach dem Spiel bei seinem alten Club von der Schützenwiese zumindest einmal auf dem richtigen Weg gesehen hat – nicht gleich vom Schlimmsten befreit, weil dafür ein Sieg gegen den Abstiegskandidaten nicht reichen kann, aber eben auf dem Weg weg von der Talsohle. Und dann kommt nach vier Minuten das 0:1 gegen GC, und alles zerfleddert wieder.
In solchen Tagen und Wochen helfen die Ausflüge in die grosse Welt der Champions League auch nicht weiter. Ja, natürlich sind die Gegner übermächtig gewesen, erst Aston Villa, dann vor allem Barcelona, wo es während dieser Lehrstunde aussah, als würde der Gastgeber eine andere Sportart betreiben. Diese Niederlagen zeigen nicht nur, wie weit weg die internationale Spitze ist, sie knacksen auch die Moral an, den Glauben an sich selbst. «Einen Unterschied von mehreren Klassen» macht Mittelfeldspieler Sandro Lauper nach dem Match in Barcelona aus, der gut und gern auch mit einem 1:8 hätte enden können.
Rahmen hält es in einem solchen Moment so, wie es Trainer gern tun: Er will das Positive hervorkramen. Darum verweist er auf die erste halbe Stunde gegen Aston Villa, die für ihn gut war, und die vier Chancen in Barcelona. Was sich nun gerade in Bezug auf den Dienstag nach Schönreden anhört, soll es für ihn nicht sein, «nein, das will ich nicht machen», betont er.
«Nur blöd, dass diese Spiele kritischer gesehen werden»
Es gibt auch keinen Grund dazu. Die Young Boys stellten sich gegen Aston Villa zweimal gleich selbst das Bein und verschuldeten leichtfertig Gegentore, vor allem Mohamed Ali Camara. In Barcelona waren sie nicht nur spielerisch heillos überfordert, sondern auch viel zu unaufmerksam bei Standardsituationen – und das gegen eine Mannschaft, die in diesem Bereich nicht die grossen Stärken hat. «Ärgerlich» findet Rahmen darum die drei Tore, die daraus entstanden. Am Ende bleibt das Bild, als hätten sie keinen Plan gehabt.
Dass es YB auf diesem Niveau an vielem fehlt, vor allem an Klasse, sollte keine spezielle Überraschung sein. Das haben schon andere Schweizer Mannschaften gegen «Topshots» (Rahmen) erlebt, auch der FC Basel, der zu seinen besten Zeiten daheim gegen Barcelona 0:5 verlor oder 1:7 in München. Und selbst Girona hat, als Teilnehmer an der Champions League, jüngst gegen dieses Barcelona daheim 1:4 verloren.
Nun will Rahmen auch deshalb nichts besser machen, als es ist, weil da eben diese Krise in der nationalen Liga ist. «Nur blöd», sagt er, «dass die Spiele in der Champions League deshalb kritischer gesehen werden.» Besonders blöd ist das für ihn selbst, dass genau solche Demaskierungen wie gegen Yamal und Co. bereits die Zweifel an seiner Weiterbeschäftigung wecken.
Rahmen hat bei seinem Wechsel von Winterthur nach Bern gewusst, was an Wucht auf ihn zukommt, wenn es nicht läuft, «natürlich», sagt er. Er kennt die Erwartungshaltung bei YB, intern wie extern. Ohne dass es für ihn öffentlich ein Thema sein muss, kann er darum wissen, unter welchen Umständen Doublegewinner Raphael Wicky im März entlassen wurde. Dass er schon sechs Monate auf dem 1. Platz lag, half ihm nicht mehr. Nach drei Niederlagen innerhalb einer Woche hatten die Verantwortlichen um Christoph Spycher das letzte Vertrauen in ihn verloren. Gelegentlich ist auch bei ihnen die Zündschnur kurz, wenn sie den Erfolg gefährdet sehen.
YB rettete sich dann unter Aushilfstrainer Joël Magnin als Meister ins Ziel, mehr stolpernd als fliegend, aber es profitierte von den Schwächen Servettes und Luganos. Vielleicht vernebelte der Titel den Blick von Spycher und seinen Getreuen dafür, wie gut die Mannschaft wirklich war. Jedenfalls verzichteten sie in diesem Sommer darauf, sie richtig zu verstärken. Lieber sind sie weiter den Weg gegangen, junge frankophone Spieler zu holen, um sie eines Tages gewinnbringend verkaufen zu können.
Das Resultat sieht man jetzt: Der Mannschaft fehlt es an Führungsspielern. Dazu muss sich Rahmen die Frage gefallen lassen, ob er denn genügend Französisch könne, um seine Spieler zu erreichen.
Wenn es nicht läuft, wird gleich alles hinterfragt
Die Thematik mit den Leadern ist nicht neu, nur eben verstärkt durch die lausigen Resultate in der Meisterschaft. Camara soll einer sein, dabei ist er mit seiner Flapsigkeit alles andere als ein Spieler, der eine Mannschaft stabilisieren kann. Loris Benito taugt zweifellos dazu, diese Rolle ausfüllen zu können, aber dafür müsste er auch fit sein. Und David von Ballmoos ist noch lange kein Leader, wenn er auf dem Platz den jungen Jaouen Hadjam am Kragen packt und durchschüttelt.
Rahmen zieht es vor, dieses Thema zu umdribbeln, ganz der Stürmer, der er einst selbst war. «Es bringt nichts, darüber zu reden», sagt er, «das ist ein Thema, mit dem wir uns mit der Führung immer wieder beschäftigen. Und wenn es an Leadership fehlen sollte, müssen ich und der Staff der Mannschaft helfen.» Lieber redet er davon, dass die Mannschaft lebt, dass sie füreinander einsteht, dass die Beziehung zwischen ihm und ihr stimmt. Erst wenn das fehlen würde, könnte er irgendwann die Energie verlieren. An diesem Punkt ist er noch lange nicht.
Und was ist nun mit seinem Französisch? Es ist nicht so gut, dass es für eine Medienkonferenz reichen würde, aber gut genug, um mit den Spielern zu kommunizieren. Sollte mehr nötig sein, gibt es Mitarbeiter, die aushelfen. Die Teamsitzungen würden ohnehin immer zweisprachig abgehalten, berichtet Rahmen. Vor allem ist ihm eine Feststellung wichtig: «Zwischenmenschlich muss der Zugang zu einem Spieler stimmen.» Nur muss er eines erkennen: «Wenn es nicht läuft, wird alles hinterfragt, auch das.»
Noch eine letzte Frage, bevor es für ihn am Sonntag zum Spiel in seiner Basler Heimat geht: Wie viel Spass macht ihm derzeit die Arbeit? «Spass ist der falsche Ausdruck», antwortet er, «es ist die Herausforderung, die mich reizt, weil sie Teil des Jobs ist.» Sonst denkt er Schritt für Schritt. Er weiss, das hört sich langweilig an. Aber etwas anderes bleibt ihm auch gar nicht übrig.
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