Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Experten zur kontroversen SVP-Kampagne
«Die Rassismus-Strafnorm erfasst nicht jede Unanständigkeit»

Portrait Marcel Niggli, Strafrechtsprofessor, fotografiert am Samstag (01.02.20) in der Innenstadt in Freiburg. Marcel Niggli, Strafrechtsprofessor, aeussert sich zur Homophobie Strafnorm. Foto: Manuel Zingg/Bernerzeitung
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) bezeichnet eine aktuelle Kampagne der SVP als «rassistisch, fremdenfeindlich und hetzerisch». Sie sieht Parallelen zum Inserat «Kosovaren schlitzen Schweizer auf», das laut Bundesgericht unter die Rassismus-Strafnorm fällt.

Droht der SVP auch mit der aktuellen Kampagne eine Verurteilung? Strafrechtsprofessor Marcel Niggli sagt: «Das ist äusserst unwahrscheinlich.» Voraussetzung wäre, dass eine bestimmte Gruppe als minderwertig dargestellt werde – wie bei «Kosovaren schlitzen Schweizer auf». In der aktuellen Kampagne, die auf Kriminalfälle verweise, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.

«Die Kampagne mag unanständig sein, aber die Rassismus-Strafnorm erfasst nicht jede Unanständigkeit», sagt Niggli. «Das wird leider oft nicht verstanden.» Die Aussage «Italiener sind faul» beispielsweise sei vielleicht rassistisch im moralischen oder umgangssprachlichen Sinn, aber nicht strafbar.

Kommission darf Kritik üben

Die EKR darf aus Sicht des Experten die Kampagne trotzdem kritisieren. Sie darf sie auch als «rassistisch» bezeichnen. Ehrverletzend sei das nicht, sagt Niggli. Daher sei auch die Reaktion der SVP – die von «Verleumdung» spricht – übertrieben. «Wer hart am Wind segelt, muss mit Kritik rechnen.» Eine andere Frage sei, ob die Kritik der EKR politisch geschickt sei. «Ich finde sie ungeschickt», sagt Niggli.

Für Matthias Mahlmann, Professor für Philosophie und Theorie des Rechts, ist der Fall nicht ganz so klar: Ob die Kampagne den Straftatbestand der Rassismus-Strafnorm erfülle, könne nicht ohne genaue Prüfung seriös beantwortet werden, sagt er.

Er betont aber, auch unterhalb dieser hohen Schwelle könne politische und ethische Kritik an einer solchen Kampagne legitim und angebracht sein. «Es gibt keinen Grund, alles, was keine strafrechtliche Norm verwirklicht, für unproblematisch zu halten», sagt Mahlmann. Er könne auch nicht erkennen, dass sich das Mandat der EKR darauf beschränkte, nur tätig zu werden, wenn Straftatbestände verwirklicht würden. «Das ist mit ihrer Präventionsaufgabe schwer vereinbar.»

Anwalt prüft Anzeige

Sollte jemand gegen die Kampagne Anzeige erstatten, sind die Behörden verpflichtet, den Sachverhalt zu prüfen und allenfalls eine Strafverfolgung einzuleiten. Viele Verfahren werden allerdings eingestellt.

Der Zürcher Anwalt Philip Stolkin zieht dennoch eine Anzeige in Erwägung. «Jemand sollte es tun. Wenn es sein muss, werde ich es sein», sagt er. Die Schweiz habe sich an die SVP-Kampagnen gewöhnt, und das sei «brandgefährlich». «Man muss der SVP entgegentreten, immer wieder.»

Stolkin ist überzeugt, dass er Chancen hätte. In der Rassismus-Strafnorm komme es auf die Intention an, und diese sei in der SVP-Kampagne klar: Die Kampagne ziele darauf ab, Ausländerinnen und Ausländer pauschal zu diffamieren.

Gewaltkriminalität habe nichts mit Hautfarbe und Herkunft zu tun, sondern vielmehr mit fehlender Zukunftsperspektive, sozialem Umfeld und Gewalterfahrungen, sagt Stolkin. Das sei erwiesen. «Die widerwärtige Kampagne der SVP aber tut so, als sei Herkunft der entscheidende Faktor.» Dass die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus das kritisiere, sei richtig. «Man muss den Schneeball anhalten, bevor er zur Lawine wird», sagt Stolkin in Anlehnung an ein Zitat des Schriftstellers Erich Kästner.