Chinas Bauriese in der KriseEvergrande für Einsteiger
Der drohende Kollaps des schwer verschuldeten Immobilienentwicklers hat Ängste vor einer neuen Finanzkrise ausgelöst. Die wichtigsten Antworten.
Die Krise um das chinesische Unternehmen Evergrande dominiert diese Woche die Schlagzeilen. Doch worum geht es überhaupt und was droht China, der Welt und der Schweiz und ihren Firmen? Das Wichtigste in neun Punkten:
Was ist Evergrande?
Es handelt sich um den zweitgrössten chinesischen Immobilienentwickler und ein Privatunternehmen mit 200’000 Mitarbeitern. Neben dem Hauptgeschäft mit Immobilien ist die Firma in vielen weiteren Gebieten tätig, so im Geschäft mit Elektroautos oder Themenparks.
Was ist das Problem?
Das Unternehmen ist sehr hoch verschuldet. Die gesamte Schuld beläuft sich umgerechnet auf mehr als 300 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das Doppelte der Bruttoschulden der Eidgenossenschaft. Zudem fehlen dem Unternehmen flüssige Mittel, um anstehende Rechnungen und Schulden zu bezahlen. Ihm droht deshalb der Bankrott.
Wie ist es zur Verschuldung gekommen?
Evergrande finanziert – wie auch andere chinesische Immobilienentwickler – sein wenig profitables Geschäft hauptsächlich über Kredite. Das Unternehmen hat zudem Immobilien teilweise Jahre vor ihrer Fertigstellung verkauft. Dadurch schuldete es den Kunden die fertigen Bauten. Die Lieferanten und teilweise auch das Personal hat das Unternehmen ebenfalls mit eigenen Schuldscheinen bezahlt. Gleichzeitig zahlte die Firma sehr viel Geld an seine Aktionäre aus.
Wer steht hinter Evergrande?
Gründer, Verwaltungsratspräsident und Hauptaktionär von Evergrande ist der Chinese Xu Jiayin, auch bekannt unter der kantonesischen Version Hui Ka Yan. Er ist Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas und zählt zu den reichsten Chinesen. Trotz der Geldprobleme von Evergrande hat ihm das Unternehmen seit Oktober 2018 umgerechnet 5,3 Milliarden Dollar an Dividenden ausbezahlt.
Warum die Angst vor einer neuen Finanzkrise?
Auslöser ist die Angst, dass westliche Finanzinstitute in die Pleite involviert sein könnten. Es ist jedoch unbekannt, wie viel sie an Evergrande geliehen haben. Bisher war das ein einträgliches Geschäft, weil die Firma bis zu zweistellige Zinssätze dafür bezahlt hat. Die Angst vor hohen Verlusten sind jetzt der Grund, weshalb am Montag die Aktien von Grossbanken weltweit und auch in der Schweiz stark eingebrochen sind. Die meisten Beobachterinnen und Beobachter rechnen allerdings nicht mit einer neuen Finanzkrise. Auch die Aktienkurse vieler Banken wie der Credit Suisse und der UBS sind mittlerweile wieder angestiegen.
Was bedeutet der Fall für die Welt und die Schweiz?
Die grösste Sorge im Westen ist, dass das Wachstum Chinas einbricht. Für viele Länder, etwa Deutschland, ist China eine entscheidende Destination von Exportgütern. Das gilt auch für eine Reihe von Schweizer Firmen wie etwa die Luxushäuser Richemont und Swatch Group. Dazu kommen Industriefirmen wie Schindler. Einige Unternehmen wären weiter indirekt betroffen, wenn ihre deutschen Kunden Einbussen im Geschäft mit China erleiden müssten. Die Sorge um einen Einbruch der Baubranche in China hat überdies bereits zu Preisverlusten von Rohstoffen wie Eisen geführt. Darunter leiden Länder, die Rohstoffe exportieren.
Wie steht die Regierung in Peking zur Entwicklung?
Chinas Wachstum beruht zu rund der Hälfte auf schuldenfinanzierten Investitionen in wenig produktive Infrastrukturanlagen und Immobilien. Deshalb gilt Evergrande auch als Spitze des Eisbergs. Der Konsumanteil ist in China dagegen sehr tief, auch angesichts geringer Einkommen und einer hohen privaten Verschuldung. Chinas Regierung will das seit langem ändern, hat aber gleichzeitig Angst, die hohen Wachstumsziele zu verfehlen, die sich nur dank den genannten Investitionen erreichen lassen.
Was hat die Krise ausgelöst?
Mit sogenannten «drei roten Linien» – drei Regulierungen – wollte die chinesische Regierung das Wachstum der Verschuldung einschränken und höhere Eigenkapitalpuffer erzwingen. Evergrande konnte keine der drei Vorgaben einhalten und war dadurch von weiteren Refinanzierungen der eigenen Schulden ausgeschlossen.
Wie wird Peking reagieren?
Die chinesische Regierung ist in einem Zwiespalt: Rettet sie Evergrande, belohnt sie dessen Vorgehen und sabotiert ihre eigene Absicht, die Schuldenwirtschaft zu beenden. Wenn sie der Krise aber ihren Lauf lässt, riskiert sie schwere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen und einen Wachstumseinbruch. Erwartet wird, dass die Regierung die grossen Investoren von Evergrande bluten lässt, den Kunden und Mitarbeitern aber hilft und dafür sorgt, dass zumindest Teile der Firma weiterbestehen können.
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