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Zweite Amtszeit in EU-Kommission
Scheitert Ursula von der Leyen, gibt es keinen Plan B

epa11480179 European Commission President Ursula von der Leyen (C) arrives at the European Parliament in Strasbourg, France, 15 July 2024. The first plenary session of the new European Parliament takes place from 16 to 19 July 2024.  EPA/CHRISTOPHE PETIT TESSON
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Eigentlich müsste die Wiederwahl am Donnerstag für Ursula von der Leyen ein Spaziergang sein. Ihre informelle Koalition aus Konservativen (EPP), Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew Europe) hat theoretisch eine Mehrheit von 401 der insgesamt 720 Abgeordneten. Aber die deutsche Christdemokratin hat selbst in den eigenen Reihen Feinde, im EU-Parlament gibt es keinen Fraktionszwang, und der Konsens zwischen den proeuropäischen Parteien ist zuletzt immer brüchiger geworden.

Genug Gründe also, um von einer Zitterpartie zu reden. Auch, weil es eine geheime Wahl ist. Einiges wird von der Bewerbungsrede abhängen, die Ursula von der Leyen vor der Abstimmung ab 9 Uhr halten wird. Sie wird dabei ihr Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre vorstellen. Welche Signale wird sie setzen, welche Angebote machen? Die Kommissions-Präsidentin musste bereits in den letzten Tagen bei den verschiedenen Fraktionen vorsprechen und sich dem Kreuzverhör stellen.

Rückzug beim Verbrennermotor?

Unter den 188 Abgeordneten der konservativen Europäischen Volkspartei (EPP) gibt es einige, die von der Leyen vorwerfen, in der ersten Amtszeit mit dem Green Deal gegen den Klimawandel die Politik der Grünen betrieben zu haben. Vor allem die eigenen Leute wollen Klarheit, ob sie etwa bereit ist, das Verbot von Verbrennermotoren bei Neuwagen rückgängig zu machen oder zu verschieben.

Die konservativen Abgeordneten aus Frankreich werden voraussichtlich nicht für die Christdemokratin stimmen, da sie diese als Verbündete des verhassten Emmanuel Macron sehen. Die Iren wiederum halten Ursula von der Leyen vor, im Nahostkonflikt zu sehr auf der Seite Israels zu stehen.

Der Green Deal sei Europas «Mann-auf-dem-Mond-Moment», hatte die Kommissions-Chefin bei der Antrittsrede vor fünf Jahren ihren ambitionierten Klimaplan ins Zentrum gestellt. Die Euphorie hat der Ernüchterung Platz gemacht, dass der Kampf gegen den Klimawandel kostet und kein Trendthema mehr ist.

Ursula von der Leyen wird hier diesmal deutlich zurückhaltendere Töne anschlagen. Sie dürfte den Fokus auf die Umsetzung dessen legen, was in der letzten Legislaturperiode beschlossen wurde. Also keine neuen Massnahmen mehr etwa bei der Landwirtschaft, wo eigentlich noch Handlungsbedarf wäre, aber wütender Bauernprotest zuletzt den Elan von EU-Kommission und Parlament gestoppt hat.

TOPSHOT - This handout picture taken and released on September 17, 2023 by Italian agency Ansa, shows the European Commission President Ursula von der Leyen (2ndL) and Prime Minister Giorgia Meloni (R) during a visit to the Italian island of Lampedusa. The Prime Minister of Italy and the President of the European Commission arrived on the island of Lampedusa as tensions rise over an increase in migrant arrivals. (Photo by Handout / ANSA / AFP) / - Italy OUT / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / ANSA  " - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS

Die Sozialdemokraten als zweitstärkste Partei der informellen Koalition werden klare Bekenntnisse zu einem Ausbau des sozialen Europas hören wollen. Ursula von der Leyen könnte zum Beispiel eine Initiative für mehr sozialen Wohnungsbau oder gar einen eigenen Kommissar versprechen, wobei die EU in dem Bereich wenig Kompetenzen hat.

Bei den Sozialdemokraten geht die Sorge um, dass die Kommissions-Präsidentin unter dem Druck der eigenen Leute zu stark nach rechts rückt. Genau hinhören werden die Linken, was Ursula von der Leyen in der Migrationspolitik vorhat. Würde sie etwa die Forderung der Konservativen nach einer weiteren Verschärfung aufnehmen, also etwa mit Asylverfahren künftig ausserhalb der EU in Drittstaaten, könnten viele Sozialdemokraten der Kandidatin eine zweite Amtszeit verweigern.

Sicherheit, Verteidigung, Donald Trump

Der gemeinsame Nenner in der Koalition der proeuropäischen Parteien ist geschrumpft. Die Konservativen sind eher nach rechts gerückt, die Sozialdemokraten haben Stimmen verloren, und bei den Liberalen von Renew Europe gehen die Brüche quer durch die Fraktion.

Europas Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Verteidigung werden die neuen Themen sein, die Ursula von der Leyen in ihrer Bewerbungsrede in den Vordergrund stellen wird. Die Aussicht auf ein Comeback von Donald Trump als US-Präsident macht es noch dringlicher, dass Europa die Fragmentierung der Rüstungsindustrie überwindet und bei der Verteidigung lernt, auf eigenen Füssen zu stehen.

European Commission President Ursula von der Leyen and French President Emmanuel Macron (R) take part in a signature ceremony of security agreement with the EU during the European Council Summit at the EU headquarters in Brussels on June 27, 2024. (Photo by Olivier HOSLET / POOL / AFP)

Macrons französische Liberale und Teile der Sozialdemokraten plädieren für gemeinsame Schulden. Ursula von der Leyen spricht von einem Bedarf von 500 Milliarden Euro. Auch die Digitalisierung der Wirtschaft, die Klimamassnahmen oder mehr Wettbewerbsfähigkeit werden viel Geld kosten, das im EU-Haushalt fehlt. Die deutschen oder die niederländischen Liberalen sind aber strikt gegen eine Neuauflage des Corona-Fonds und fordern von Ursula von der Leyen ein Bekenntnis, dass sie keine Eurobonds vorschlagen wird.

Ein schmaler Grat – und keine zweite Chance

Die Bewerbungsrede ist für die Christdemokratin ein schmaler Grat, von dem sie auch abstürzen kann. Zugeständnisse an die eine Seite können sie Stimmen auf der anderen kosten. Mit ihrem präsidialen und intransparenten Stil hat sie viele vor den Kopf gestossen. Rund zehn Prozent der Abgeordneten der Konservativen, der Sozialdemokraten und Liberalen könnten Ursula von der Leyen am Ende die Stimme verweigern, so Diplomaten. Ohne Hilfe von aussen wäre die Wahl ein Glücksspiel. Die Konservativen und ihre Spitzenkandidatin haben deshalb die letzten Tage ausserhalb der informellen Dreierkoalition sondiert.

Hinter der Brandmauer nach rechts sind nur die neuen rechtsextremen Fraktionen der Patrioten mit Viktor Orbans Abgeordneten und die Fraktion der Souvränisten, wo unter anderem Deutschlands AfD dabei ist. Ursula von der Leyen hat zuletzt die Fraktion der Grünen und der euroskeptischen Fraktion der Konservativen und Reformisten (ECR) besucht, in der die postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni beheimatet sind.

Ein guter Teil der Grünen könnte für die Christdemokratin stimmen, hiess es nach den Anhörungen. Die Schätzungen gehen von einem Ergebnis zwischen 372 und 420 Stimmen aus. Es gebe keinen Plan B, sollte die Wiederwahl am Donnerstag scheitern, so Diplomaten.

Croatia's Prime Minister Andrej Plenkovic speaks to the press at the end of the European Council Summit at the EU headquarters in Brussels on June 28, 2024. EU leaders on June 27, 2024, sealed a deal to re-appoint Ursula von der Leyen for a second term in charge of the bloc's powerful commission, diplomats said. (Photo by Ludovic MARIN / BELGA / AFP)

Ein zweites Mal antreten könnte Ursula von der Leyen nach einer Niederlage nicht. Die Staats- und Regierungschefs hätten einen Monat Zeit, mit neuen Namen zu kommen. Immer wieder als Alternativen genannt werden Kroatiens Regierungschef Andrej Plenkovic und der griechische Amtskollege Kyriakos Mitsotakis. Beide stehen weiter rechts und dürften noch grössere Mühe haben, eine Mehrheit im EU-Parlament zu finden. Einige Abgeordnete liessen sich durch eigene Befindlichkeiten leiten und hätten keinen Blick für das grosse Bild, beklagt ein Diplomat. Eine Wahlschlappe würde Viktor Orban oder Wladimir Putin im Kreml sicher freuen. Für die EU wäre es eine Blamage.

European Commission President Ursula Von der Leyen (R) and Swiss President Guy Parmelin hold a press conference during their meeting at the European Commission building in Brussels on  April 23, 2021. (Photo by François WALSCHAERTS / various sources / AFP)