Nach der EuropawahlVerlierer bestimmen das Personal in Brüssel
Emmanuel Macron und Olaf Scholz haben es noch einmal geschafft: Zusammen mit den Konservativen haben sie die Spitzenjobs in Brüssel in den eigenen Reihen verteilt. Nicht alle sind begeistert.
Giorgia Meloni konnte ihren Unmut nicht verbergen: Manche Staats- und Regierungschefs seien wohl der Meinung, «dass die Oligarchie die einzige akzeptable Form der Demokratie» sei, schimpfte Italiens Regierungschefin in Rom vor der Abreise zum Gipfel nach Brüssel. Die EU-Bürgerinnen und -Bürger hätten doch bei der Europawahl für einen Kurswechsel gestimmt und die Politik der regierenden Kräfte in grossen Mitgliedstaaten abgelehnt. Ein Seitenhieb Richtung Emmanuel Macron und Olaf Scholz, deren Parteien vor gut zwei Wochen deutliche Verluste hinnehmen mussten.
Die Italienerin hatte sich in der Rolle der Königsmacherin gesehen. Nun musste sie aus Distanz beobachten, wie der Franzose und der Deutsche als Teil eines Verhandlungsteams im Auftrag der Liberalen, Sozialdemokraten und Konservativen das Paket mit den Spitzenposten für Brüssel ausverhandelt haben. Mit im Team war auch der Niederländer Mark Rutte, gerade auf dem Absprung, um Nato-Generalsekretär zu werden. Für die Konservativen verhandelten Polens Regierungschef Donald Tusk und der Grieche Kyriakos Mitsotakis. Neben Scholz war für die Sozialdemokraten der Spanier Pedro Sanchez mit dabei.
Sechs Männer also haben entschieden. Die Konservativen bekommen mit Ursula von der Leyen als Kommissionschefin und Roberta Metsola als EU-Parlaments-Präsidentin zwei der begehrten Posten. Die Sozialdemokraten stellen künftig mit dem Portugiesen Antonio Costa den EU-Rats-Präsidenten, Sekretär und Sprecher der Mitgliedstaaten in Brüssel. Die Liberalen besetzen mit der profilierten Estin Kaja Kallas den Sessel des EU-Aussenbeauftragten.
Ein letztes Aufbäumen vielleicht
Es ist die informelle Koalition der drei bislang grössten Parteienfamilien, die während der letzten fünf Jahre Ursula von der Leyen gestützt hat und der Kommissionspräsidentin den Weg für eine zweite Amtszeit ebnen will. Es ist ein Kraftakt, ein letztes Aufbäumen vielleicht, mit dem die alte proeuropäische Mehrheit noch einmal den Kuchen verteilt hat. Das wahrscheinliche Szenario eines Siegs von Marine Le Pens rechtsextremem Rassemblement National an den beiden kommenden Wahlwochenenden in Frankreich habe die Einigung auf das Personalpaket beschleunigt, so Diplomaten. In den Niederlanden übernimmt nächste Woche die Koalition mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders die Macht.
Es sollte diesmal also schnell gehen. Vor allem Sozialdemokraten und Liberale mussten bei den Europawahlen deutliche Verluste hinnehmen. Neben den Grünen als grossen Verlierern, die insbesondere bei den Massnahmen gegen den Klimawandel punktuell als Mehrheitsbeschafferin beigezogen wurden. Die Verhältnisse sind in den nächsten fünf Jahren so knapp wie noch nie, vor allem im EU-Parlament, wo die deutsche Christdemokratin von der Leyen schon 2019 nur neun Stimmen mehr als nötig bekam. Am Gipfel reicht eine qualifizierte Mehrheit. Auch wenn man im Kreis der Staats- und Regierungschefs sich sonst traditionell um einen Konsens bemüht. Nur drei bis vier Mitgliedstaaten seien bei dem Personalpaket nicht an Bord, relativierte ein Diplomat.
Giorgia Melonis Dilemma
Einen Viktor Orban oder den Slowaken Robert Fico kann man übergehen. Doch lässt sich Giorgia Meloni aus der drittgrössten Volkswirtschaft der EU ignorieren? Die Fratelli d’Italia gehören zudem zur rechtsnationalen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten, den eigentlichen Wahlsiegern, neu vor den Liberalen drittstärkste Kraft im EU-Parlament.
Die Italienerin ist empört, weil sie bei den Vorgesprächen im kleinen Kreis nicht einbezogen und am Gipfel vor fertige Tatsachen gestellt wurde. Ursula von der Leyen soll jedoch mit Meloni über ein gewichtiges Dossier für den künftigen italienischen EU-Kommissar verhandeln, heisst es in Brüssel. Öffentliche Zusagen kann die Kommissionschefin aber erst nach ihrer Bestätigung im EU-Parlament machen.
Österreichs Regierungschef Karl Nehammer zeigte Verständnis für die Empörung der italienischen Kollegin. Die Diskussionskultur müsse verbessert werden, konstruktive Kräfte wie die Fratelli d’Italia müssten eingebunden werden. Für Teile der Liberalen und für die Sozialdemokraten ist die Postfaschistin allerdings ein rotes Tuch.
Meloni stand vor einem Dilemma: Nach der massiven Kritik am «Hinterzimmerdeal» konnte sie dem Personalpaket in Brüssel ohne Gesichtsverlust zu Hause kaum zustimmen. Mit einem Nein zu Ursula von der Leyen riskiert die Italienerin gleichzeitig, isoliert und in Brüssel ohne Einfluss dazustehen.
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