Gipfel zu NahostkonfliktDie EU verliert sich in einer Debatte über humanitäre Pausen
Die Staats- und Regierungschefs der EU fordern angesichts der katastrophalen Lage in Gaza humanitäre Korridore und Kampfpausen, um die Zivilbevölkerung versorgen zu können. Bis zuletzt war am Gipfel um Formulierungen gestritten worden.
Manchmal ist das Ringen um die richtigen Worte ein Zeichen von Ohnmacht. Was soll die EU mit Blick auf die humanitäre Lage in Gaza nun fordern, eine Waffenruhe für humanitäre Lieferungen, nur eine oder mehrere Pausen, ein Fenster oder gar einen humanitären Korridor? Die Staats- und Regierungschefs wollten nach der Kakofonie zur Nahostkrise am Gipfel endlich ein Zeichen der Einheit setzen. Doch so richtig klappen wollte es zuerst nicht.
Er wünsche sich einen Waffenstillstand, sagte Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez in Brüssel. Und wenn dies nicht möglich sei, zumindest eine humanitäre Pause, um Hilfe für die palästinensische Bevölkerung zu ermöglichen. Deutschland, Österreich, Tschechien oder Ungarn wollten hingegen die Forderung nach einer Waffenruhe nicht unterstützen. Der Vorstoss sei angesichts des anhaltenden Raketenterrors der Hamas nicht angemessen. Man will auch sonst Israels Handlungsspielraum derzeit nicht einschränken.
Israel sei ein demokratischer Staat, geleitet durch starke humanitäre Prinzipien, sagte Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz. Er habe keine Zweifel, dass die israelischen Streitkräfte internationales Recht berücksichtigen würden. Sprache sei wichtig, verteidigte ein EU-Diplomat im Vorfeld die semantischen Diskussionen: «Wir müssen einen Mittelweg finden.» Es gebe unter den Mitgliedsstaaten zum Nahostkonflikt traditionell unterschiedliche Sensibilitäten und Wahrnehmungen.
Lange schienen die Positionen festgefahren, ein Scheitern möglich. Am Abend dann die Einigung: Die sich verschlechternde Lage in Gaza gebe Anlass zur Sorge, heisst es nun den Schlussfolgerungen. Die EU fordere einen schnellen, sicheren und ungehinderten humanitären Zugang zum Gazastreifen. Dafür brauche es «humanitäre Korridore» und «Pausen für humanitäre Bedürfnisse». Dies als Kompromiss, um zu signalisieren, dass die EU Israel nicht etwa auffordert, den Kampf gegen die Hamas mit sofortiger Wirkung einzustellen.
Die EU ringt nicht nur um Worte, sondern gleichzeitig um Einfluss und Relevanz. US-Präsident Joe Biden schickt zwei Flugzeugträger in die Region und hat auch die Überzeugungskraft, um auf Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu mässigend einzuwirken. Die EU sei im Nahen Osten «kein Player, sondern nur Paymaster», also Zahlmeister, so ein Diplomat selbstkritisch. 600 Millionen Euro pro Jahr überweist die EU den Palästinensern und will nun zumindest die humanitäre Hilfe aufstocken.
Die EU tut sich schwer mit einer Positionierung, auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung und der Pro-Palästina-Kundgebungen in den Hauptstädten. Dort macht man sich nach Anschlägen in Brüssel und Frankreich Sorgen um die Sicherheitslage. Es geht den Staats- und Regierungschefs auch um ihr Bild im sogenannten globalen Süden und den Einfluss in Weltregionen, die traditionell der Sache der Palästinenser zuneigen. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine habe man viel Energie investiert, um Länder von Brasilien bis Südafrika auf die Seite des Westens zu ziehen, so Diplomaten. Diese Bemühungen würden jetzt zunichtegemacht, wenn etwa Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich vorbehaltlos an die Seite Israels stelle.
Beim Kampf der Narrative scheint die Hamas in der europäischen Öffentlichkeit derzeit die Oberhand zu haben.
Der Schock über das von der Hamas angerichtete Blutbad hat jedenfalls nicht lange angehalten. Das Schicksal der rund 200 Geiseln in den Händen der Islamisten wird nur mit einem Satz angesprochen. Die humanitäre Lage in Gaza, nicht die Angst der Israelis vor den Hamas-Raketen oder die Sorge um verschleppte Angehörigen scheint jetzt im Vordergrund zu stehen. Beim Kampf der Narrative hat die Hamas derzeit die Oberhand. Die Staats- und Regierungschefs der EU geben da am Gipfel auch nicht wirklich Gegensteuer.
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