NGO in Existenznot Zuger Rohstofffirma verklagt Public Eye auf 1,8 Millionen Franken
Zwei Nichtregierungsorganisationen haben 2020 einen kritischen Bericht über die Firma Kolmar publiziert. Jetzt klagt Letztere und bedroht damit das Überleben zweier Schweizer NGOs.

Für die Nichtregierungsorganisation Public Eye geht es ums Überleben. Anfang der Woche hat die in Zug ansässige Kolmar Group AG beim dortigen Kantonsgericht eine Klage wegen angeblicher Persönlichkeitsverletzung gegen Public Eye eingereicht, wie die Nichtregierungsorganisation mitteilt. Das Unternehmen klagt auch gegen die Genfer Nichtregierungsorganisation Trial International sowie gegen zwei Mitarbeiterinnen dieser Organisationen und einen freien Journalisten. Die Rohstoffhandelsfirma fordert von den beiden Organisationen 1,8 Millionen Dollar Schadenersatz.
Das Unternehmen Kolmar hat seinen Sitz in Zug. Es handelt laut Angaben auf seiner Website jährlich mit etwa 6 Millionen Tonnen Öl mit einem Verkaufswert zwischen 5 und 8 Milliarden Dollar.
Kolmar nahm im Bericht nicht Stellung
Im 2020 erschienenen Bericht schreiben Public Eye und Trial, dass die Zuger Ölhandelsfirma zwischen 2014 und 2015 ein illegales Handelsnetzwerk genutzt habe. So soll die Firma an libysches Erdöl gekommen sein. Das Öl war zuvor aus dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land abgezweigt und danach in Europa weiterverkauft worden.
Laut Public Eye hätte Kolmar vor der Publikation Stellung nehmen können, hat das aber nicht getan.
Kurz nach Erscheinen des Berichts reagierte Kolmar mit einer Gegendarstellung. Darin heisst es: «Kolmar Group AG war nie in illegale Aktivitäten, insbesondere Schmuggel, verwickelt. Kolmar Group AG wurde noch nie durch eine Strafverfolgungs-, Aufsichts- oder Gerichtsbehörde betreffend die im Bericht von Public Eye / Trial International genannten Angelegenheit kontaktiert oder im Rahmen irgendwelcher Ermittlungen oder Untersuchungen befragt.»
«Wir wissen, dass unsere Recherche wasserdicht ist, und sind deshalb zuversichtlich für das weitere Verfahren.»
Public Eye hält am Bericht fest. Oliver Classen, Sprecher der Nichtregierungsorganisation, sagt: «Wir nehmen diesen Angriff auch aufgrund der Schadenssumme sehr ernst, wissen aber, dass unsere Recherche wasserdicht ist, und sind deshalb zuversichtlich für das weitere Verfahren.»
Auch diese Redaktion hatte damals über die Recherchen von Trial International und Public Eye berichtet und auf die Gegendarstellung verwiesen.
In einer Stellungnahme schreibt das Unternehmen: «Die Kolmar Group AG bringt niemanden zum Schweigen und respektiert die Funktion von Nichtregierungsorganisationen in der Gesellschaft.» Die Kolmar Group AG verteidige sich jedoch rechtlich gegen Anschuldigungen, «die falsch und unrechtmässig sind und die erheblichen Schaden verursachen.»
Public Eye und Trial International würden vorenthalten, dass die Autoren des Artikels, in dem das Unternehmen unter anderem der Kriegsverbrechen beschuldigt wird, von den zuständigen Schweizer Strafverfolgungsbehörden angeklagt wurden. Sie sollen sich demnächst vor dem Strafgericht wegen Verleumdung und sogar vorsätzlicher Verleumdung verantworten müssen.
Die Kolmar Group AG sei zuversichtlich, dass die Zivilgerichte die Schwere und den unrechtmässigen Charakter der Angriffe anerkennen.
Medienanwalt und Rechtsprofessor Urs Saxer sagt: «Falls die Behauptungen im Bericht zutreffen, muss das Gericht die grundsätzliche Frage abwägen, ob in diesem Fall das öffentliche Interesse an der Berichterstattung grösser ist, als das private Interesse des Unternehmens.»
Laut Saxer sei die Schadenssumme von 1,8 Millionen Dollar bemerkenswert: «Das Unternehmen muss ihn auf den Bericht als Schadensursache zurückführen können.» Ein direkter Zusammenhang zwischen einer Publikation und einem Schaden sei meist schwierig zu beweisen. Auch steigen durch eine hohe Schadenssumme die Prozesskosten, was das Risiko für den Kläger erhöht.
Für Public Eye kann die Klage existenzbedrohend sein. Eine Millionenzahlung wäre für die Nichtregierungsorganisation nicht leicht zu verkraften. Laut den öffentlich einsehbaren Unterlagen hat Public Eye ein Barvermögen von 2 Millionen Franken und Finanzanlagen von ebenfalls 2 Millionen Franken.
Nun geht es um eine grössere Summe. In der Mitteilung von Public Eye heisst es: «Nach öffentlich zugänglichen Informationen ist dies der höchste Betrag, der je in der Schweiz von einer Nichtregierungsorganisation für eine angebliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte gefordert wurde.»
Klagen zur Einschüchterung
Erst vor kurzem haben sich in der Schweiz mehr als ein Dutzend Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen, um sich gemeinsam gegen Einschüchterungsklagen, sogenannte Slapps, zu wehren. Slapp steht für «strategic lawsuit against public participation» oder auf Deutsch «strategische Klage gegen die öffentliche Beteiligung».
Laut der Allianz nehmen diese Klagen sowohl gegen NGOs als auch gegen Medienunternehmen zu. Bekannt ist etwa die Klagen gegen den Bruno-Manser-Fonds. Die Basler Nichtregierungsorganisation, die sich für die Erhaltung von tropischen Regenwäldern einsetzt, wurde seit August 2018 dreimal verklagt. Dies, nachdem sie über Korruptionsvorwürfe im Tropenholzhandel in Malaysia berichtet hatte.
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