Unruhen in GrossbritannienBritische Muslime wappneten sich schon mit Stöcken, jetzt atmen sie auf
In den muslimischen Vierteln Englands kehrt wieder Ruhe ein, nachdem kleine Gruppen begonnen hatten, sich für tätliche Auseinandersetzungen zu rüsten.
Mit Erleichterung reagierten muslimische Viertel in englischen Städten auf die Atempause, die sich deren Bewohnern am Donnerstag bot. Zwar wagt man auch hier dem Frieden noch nicht so recht zu trauen. Aber zumindest blieben Moscheen und Geschäfte von weiteren Zusammenstössen mit der radikalen Rechten erst einmal verschont.
Dank der Solidarität antirassistischer Mitbürgerinnen und Mitbürger am Vorabend und dem einstweiligen Ausbleiben der bisherigen Provokation in den Strassen sahen auch junge Muslime keinen Anlass, auf die Barrikaden zu gehen. Das liess insbesondere die Imame und andere besorgte Menschen aufatmen, die im Fall neuer Krawalle blutige Auseinandersetzungen befürchtet hatten. Denn in der Vorwoche hatten sich die Spannungen von Tag zu Tag erhöht.
Britischer Muslimrat will «Ruhe bewahren»
Immerhin waren landesweit schon mehrere Moscheen attackiert und mancherorts auch Läden muslimischer Besitzer geplündert worden. Binnen einer Woche verfünffachte sich die Zahl anonymer Drohungen gegen diesen Teil der Bevölkerung.
Und während die Angst vor neuen Angriffen immer weiter stieg und immer mehr Polizeischutz angefordert werden musste, war in Städten wie Birmingham immer häufiger von «Selbstverteidigung» die Rede gewesen in diesem Zusammenhang.
Eindringlich hatten Muslime, die um jeden Preis eine Eskalation der Lage vermeiden wollten, an zornige jüngere Mitbürger appelliert, sich nicht zu eigener Gewalttätigkeit hinreissen zu lassen. «Wir müssen Ruhe bewahren», mahnte Zara Mohammed, die Generalsekretärin des Britischen Muslimrats.
Vergeltung zu üben, spiele nur den Angreifern in die Hände: «Ich weiss, wie extrem schwer es ist, zumal wenn unsere Viertel attackiert werden.» Ausserdem versuchten Politiker wie der Rechtspopulistenführer Nigel Farage, Muslime unentwegt zu dämonisieren, so Mohammed.
Gewachsen war die Sorge vor Zusammenstössen, nachdem kleine Gruppen von Muslimen in den letzten Tagen begonnen hatten, sich für tätliche Auseinandersetzungen zu rüsten. In Stoke-on-Trent bewaffnete sich eine Gruppe in Erwartung eines Angriffs durch Rechtsextremisten mit Stöcken und Pfählen. In Bolton stellte sich eine Reihe teils maskierter Muslime angerückten Rechtsradikalen mit «Allahu akbar»-Rufen (Gott ist der Grösste) in den Weg.
In einem Pub in Birmingham, wo erboste junge Muslime bei einem handgreiflich gewordenen Streit erheblichen Schaden anrichteten, hielt sich die muslimische Gemeinde des Viertels für verpflichtet, sich in aller Form zu entschuldigen und für den Schaden aufzukommen. Die Pub-Eigner reagierten darauf mit den Worten: «Wir sind stolz auf unsere multikulturelle Stadt. So solls auch bleiben hier.»
Streit um «Allahu akbar»-Rufe
Weniger stolz aufs Multikulturelle zeigte sich unterdessen der frühere konservative Einwanderungsstaatssekretär Robert Jenrick, der gegenwärtig für die Parteiführung bei den Tories kandidiert. Jenrick hatte schon während der propalästinensischen Kundgebungen des Vorjahrs erklärt, er halte es für «völlig falsch, dass jemand auf den Strassen Londons ‹Allahu akbar› rufen kann und nicht sofort verhaftet wird».
Das trug ihm seitens seines eher moderaten Parteikollegen Mel Stride die Bemerkung ein, eine generelle Kriminalisierung der Worte «Allahu akbar» sei ja wohl «so unklug wie gefühllos». Noch deutlicher wurde Vizepremierministerin Angela Rayner, die erklärte: «Leute wie Robert Jenrick sorgen für Probleme, wie wir sie in unseren Vierteln immer wieder erleben. Dabei ist, was wir sehen wollen, dass die Bevölkerung zusammenkommt. Dass man sich versteht, dass man zusammenrückt.»
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