Italiens WiederaufbauplanEine beispiellose Summe bietet eine einmalige Chance
Premier Mario Draghi legt den Finanzierungsplan zum wirtschaftlichen Aufbau und für Zukunftsinvestitionen nach der Corona-Krise vor. Es geht um 221,5 Milliarden Euro.
Italiens Regierung hat einen Wiederaufbauplan für die Zeit nach der Pandemie geboren – «unter starken Wehen», wie der «Corriere della Sera» schreibt. Aber gerade noch rechtzeitig. In Brüssel erwartet man die finale Fassung des «Piano nazionale di ripresa e resilienza», des Nationalen Plans für Aufschwung und Resilienz, bis spätestens 30. April, davor muss er noch ins römische Parlament. 221,5 Milliarden Euro soll er kosten, eine beispiellose Summe für eine einmalige Chance, das Land in einem grossen Schub zu modernisieren.
Das Dokument ist 334 Seiten lang geworden. Vierzig davon handeln von längst fälligen Reformen, der Rest von den geplanten Investitionen. Zwischen Brüssel und Rom soll es am Wochenende etliche Krisentelefonate gegeben haben. In der Zentrale der Europäischen Union wünschte man sich mehr Garantien im Pflichtprogramm, etwa bei der Steuerreform, der Marktliberalisierung und der Modernisierung der Verwaltung. Es gab Skepsis darüber, ob es die Italiener diesmal ernst meinten mit dem Reformieren.
«Ich glaube nicht, dass wir weitere Erklärungen schuldig sind – das reicht jetzt so. Italien hat Respekt verdient.»
Premier Mario Draghi soll dann zweimal in sehr dezidiertem Tonfall mit Ursula von der Leyen gesprochen haben, um die Lage zu klären. Die italienischen Zeitungen zitieren ihn im Wortlaut, als wären sie bei den Gesprächen dabei gewesen. «Ich glaube nicht, dass wir weitere Erklärungen schuldig sind – das reicht jetzt so. Italien hat Respekt verdient», sagte Draghi angeblich. Und: «Ich garantiere für die Reformen.» Schliesslich habe er in seinem Recovery Plan den Reformen vierzig Seiten gewidmet, aufgeteilt in 15 Gesetze. Dazu muss man wissen, dass Draghis Amtsvorgänger, Giuseppe Conte, in dessen Plan nur eine Seite mit vagen Reformvorhaben geführt hatte.
Draghi liess also das Gewicht seines Namens spielen, als Garantie. Die Brüsseler Argwohn verflog, und so konnte nach dreimaliger Verschiebung der Ministerrat am Samstagabend kurz vor Mitternacht den Plan verabschieden. Mit einem Kraftakt, in Rekordzeit, zumindest für italienische Verhältnisse. Dafür war Draghi ja auch geholt worden.
Sechs grosse Investitionsfelder und eine Menge Geld
Von den 221,5 Milliarden Euro kommen 191,5 von der EU in Form von Zuschüssen und Darlehen. Kein Land erhält mehr Ressourcen aus dem Wiederaufbaufonds. 30 Milliarden Euro nimmt Italien zusätzlich auf. Das Programm, das auf fünf Jahre angelegt ist, sieht Investitionen auf sechs Makrogebieten mit je mehreren Unterkategorien vor.
Für den Themenbereich «Digitalisierung» sind 43,6 Milliarden Euro vorgesehen. Italien – und vor allem der Süden des Landes – hinkt dem Rest Europas weit hinterher. Es soll nun bald flächendeckend schnelles Internet erhalten, Breitband und 5G. Im Paket enthalten ist eine digitale Revolution in der öffentlichen Verwaltung, von der man sich einen Sprung bei der Wettbewerbsfähigkeit Italiens erhofft. Etwas mehr als 6 Milliarden Euro gehen an Kultur und Tourismus.
Für die «Grüne Revolution» stehen 57 Milliarden Euro zur Verfügung, es ist der grösste Posten von allen. Italien folgt da den Vorgaben aus Europa, investiert unter anderem in erneuerbare Energien und in nachhaltige Landwirtschaft.
In die «Infrastrukturen» investiert man 25 Milliarden Euro, wobei vor allem umweltfreundlicher Transport berücksichtigt werden soll – die «Alta Velocità», wie die Italiener ihr Netz für Hochgeschwindigkeitszüge nennen. Die roten Pfeile verkehren bisher nur in Nord- und Mittelitalien, bis Salerno. Nun soll der Mezzogiorno erschlossen werden. Vorgesehen sind Schnellverbindungen zwischen Neapel und Bari, Salerno und Reggio Calabria, Palermo und Catania. Ausserdem ist geplant, dass die Anbindung Norditaliens an Resteuropa verbessert wird, unter anderem mit Investitionen in die Strecke zwischen Verona und dem Brenner.
Neue Spitäler, neue Kinderkrippen, neue Studentenheime – alles neu
Für die «Bildung» sind 32 Milliarden Euro vorgesehen, und zwar von der Kita bis zur Universität. Italien zählt viel weniger Krippenplätze als die meisten europäischen Länder, das soll sich jetzt ändern. Budgetiert sind auch Mittel für Berufslehre, Stipendien, Studentenheime.
Für die soziale «Inklusion» wollen die Italiener 17,2 Milliarden Euro ausgeben. Dazu gehören Programme für die Überbrückung gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten, für die Förderung von Frauen und Jungen, für den Süden.
Dem Makrobereich «Gesundheit» fliessen 19,7 Milliarden Euro zu. Die Pandemie hat gezeigt, dass Italien eine Überholung und eine Erneuerung seines Systems dringend braucht. Geplant sind unter anderem ein Zentrum für Epidemiologie, 380 neue Spitäler, 1288 neue Pflegeheime. Und eine Reihe von Grossinvestitionen in neue Geräte, moderne Technologien, bessere Ausbildung des Personals. Nie mehr will man so hilflos dastehen, wenn eine Seuche über das Land kommt.
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