Draghi greift Erdogan anDer pointierte Presidente
Mario Draghi ist ein unverblümter, undiplomatischer Redner. Nun hat er den türkischen Präsidenten Erdogan «Diktator» genannt. Und erntet dafür einen scharfen Konter aus Ankara.
Mario Draghi hat den Ruf, Dinge auf den Punkt zu bringen. Die Italiener nennen es «Gabe zur Synthese». In seiner früheren Funktion als Zentralbanker war das ein Asset, ein Trumpf. Oft reichte eine Zahl, etwa eine Zinsrate, und alle verstanden. Synthetischer geht es nicht.
Die Quintessenz seines Talents offenbarte er aber 2012, in der Finanz- und Wirtschaftskrise, als Heuschreckenfonds gegen den Euro wetteten und es mal eine Weile lang so aussah, als könnte die Einheitswährung unter dem Druck eingehen. Draghi sagte damals, die Europäische Zentralbank werde alles unternehmen, was es brauche, um den Euro zu schützen – «whatever it takes». Wenn dann einmal nur ein Zitat von ihm bleiben wird, dann ist es diese Formel.
Die jüngste Weiterung im «Sofagate»
Nun ist Draghi seit bald zwei Monaten italienischer Premier und erfährt gerade, dass seine Worte in der Politik anders wiegen und wirken als in seiner früheren Rolle. Es geht da auch oft um Deutungsnuancen und Gemütsregungen, zumal auf internationalem Parkett, und auf dem muss er sich ja auch bewegen. Draghi aber ist weder Politiker noch Diplomat.
Bei seiner jüngsten Pressekonferenz im Palazzo Chigi, seinem Amtssitz, in der es vor allem ums Impfen und um die Pandemie ging, wurde Draghi zum Schluss gefragt, was er denn zum «Sofagate» sage. So nennt man die unselige Affäre, in der zwei Herren, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der EU-Ratspräsident Charles Michel, einer Frau, der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, gewissermassen den Klappsitz am Rande des Machtsets zuwiesen. Draghi fand, dass das Verhalten von Gastgeber Erdogan, dem er den Affront ganz allein anlastete, gar nicht «angemessen» war.
«Mit diesen Diktatoren, nennen wir sie doch beim Namen, die wir aber brauchen, muss man direkt sein.»
Wie immer, drängte es ihn dann noch zu einer Synthese der gesamten Gemengelage. «Mit diesen Diktatoren, nennen wir sie doch beim Namen, die wir aber brauchen, muss man direkt sein und ihnen klar machen, dass man eine andere Sicht auf die Gesellschaft hat», sagte Draghi. «Man muss aber auch mit ihnen zusammenarbeiten, um die Interessen des eigenen Landes sicherzustellen. Die richtige Balance muss man finden.»
Für die türkische Regierung mangelte es dem Italiener gerade daran: an Balance. Diktator also. Ankara berief den italienischen Botschafter in der Türkei ein, um ihm die eigene Empörung kundzutun über diese «populistischen, verwerflichen und völlig masslosen Worte», die man bei der Gelegenheit an den Absender zurückschicke. Erdogan sei ein gewählter Präsident, während Draghi nur «nominiert» sei.
«Ohrfeige für den Sultan», titelt «La Stampa»
Über Definitionen lässt sich natürlich trefflich streiten, die Form ist auch nicht immer Substanz. Italien zum Beispiel ist eine parlamentarische Demokratie: Premier wird, wer vom Präsidenten dafür vorgeschlagen wird und dann in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit bekommt. Draghi ist also ein vollends legitimer Regierungschef, obschon er an keiner Wahl teilgenommen hat. Hübsch ist es dennoch nicht.
Wenn man aus dem Rauschen der italienischen Medien eine vorherrschende Meinung filtert, dann kommt diese heraus: Die Italiener finden, Draghi habe pointiert ausgedrückt, was eigentlich Sache sei. «Ohrfeige für den Sultan», titelt die Zeitung «La Stampa» und zählt dann auf, was alles nicht demokratisch laufe in Erdogans Türkei, etwa der Umgang mit der kurdischen Minderheit, mit den Rechten der Frauen, der Presse.
Draghi sei einfach Realpolitiker, stark in der Ansage. Ob er damit die erwünschte Zusammenarbeit mit Ankara unmittelbar begünstigt, ist aber eher fraglich.
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