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Meinung

Leitartikel zur Abstimmung vom 18. Juni
Ein Nein zur OECD-Steuerreform wäre ein Schuss ins eigene Knie

Attraktiv für Konzerne – und das soll aus Sicht von Bundesrat und Parlament so bleiben: Blick über die Stadt Zug.

Eines muss man dem abgetretenen Finanzminister Ueli Maurer lassen: Als der Industrieländerclub OECD in den vergangenen Jahren seine globale Steuerreform vorwärtstrieb, bewies er Weitsicht. Die Reform hat unter anderem zum Ziel, einen umstrittenen Schweizer Standortvorteil abzuschaffen – die tiefen Unternehmenssteuern. Maurer realisierte: Widerstand ist zwecklos.

In anderthalb Wochen stimmt die Stimmbevölkerung über die Schweizer Umsetzung der OECD-Reform ab. (Hier finden Sie alles Wichtige zur Vorlage.) Man kann sie getrost mit dem Ende des Bankgeheimnisses zu Steuerhinterziehungszwecken in eine Reihe stellen: Sowohl dieses als auch die tiefen Unternehmenssteuern haben zum Schweizer Wohlstand beigetragen. Beides hätte der Bundesrat gern beibehalten. Und in beiden Fällen ist es richtig, dass die internationale Gemeinschaft Kleinstaaten wie der Schweiz Grenzen setzt, wenn sie ihre Standortattraktivität auf Kosten anderer Länder steigern.

Die Schweiz hätte auch mit einem Satz von 15 Prozent vergleichsweise tiefe Unternehmens­steuern.

Zwar ist Konkurrenz zwischen den Staaten wichtig: Ein massvoller Steuerwettbewerb hilft, staatliche Auswüchse zu begrenzen. Doch insbesondere der Kanton Zug lockte mit seinen tiefen Steuern in den vergangenen Jahren so viele Firmen an, dass es kaum mehr zu rechtfertigen ist: Er entzieht damit anderen Ländern viel Steuergeld. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass eine Mehrheit im Land das für legitim hält. Sonst wäre es nicht erlaubt.

Für die aktuelle Frage, ob die Schweiz die Reform im Grundsatz umsetzen soll, spielen solche Überlegungen aber keine Rolle. Denn die betroffenen Konzerne müssen die Mindeststeuer so oder so voll bezahlen – im Zweifelsfall jedoch anderswo, ohne dass die Schweiz Mehreinnahmen erhalten würde. Das gilt höchstwahrscheinlich schon ab dem 1. Januar 2024. Im ersten Jahr dürfte es dabei um 1 bis 2,5 Milliarden Franken gehen, schätzt der Bund.

Maurer verzichtete darum auf Totalopposition. Stattdessen bearbeitete er mit gleichgesinnten Staatenvertretern die OECD dahingehend, dass sie die Mindeststeuer nicht bei den ursprünglich angedachten 25 oder später 21 Prozent ansetzte, sondern bei 15. Die Schweiz hätte auch damit vergleichsweise tiefe Unternehmenssteuern.

Architekt der Schweizer Mindeststeuerumsetzung: Der damalige Finanzminister Ueli Maurer an einer Medienkonferenz zur Reform im Januar 2022.

Vor allem aber gleiste Maurer die Reform im Inland so auf, dass der Standort am wenigsten an Attraktivität verliert, und überzeugte eine Mehrheit im Parlament davon. Die Bürgerlichen – selbst Maurers SVP, die für sich in Anspruch nimmt, als einzige Partei die Souveränität zu bewahren – stimmen aus diesem Grund zu, wenn auch mit der Faust im Sack.

So sollen nun jene Kantone, die durch die Steuererhöhung am meisten an Standortattraktivität verlieren, den grössten Teil der Mehreinnahmen erhalten. Damit können sie einen Teil des entstandenen Nachteils wettmachen. Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler zum Beispiel will Investitionen des Rohstoffriesen Glencore mitfinanzieren. Basel-Stadt will die Forschung und Entwicklung seiner Pharma- und Chemieunternehmen unterstützen. An die Stelle des Steuerwettbewerbs tritt also jetzt jener mittels Subventionen.

Die SP, die der Reform im Grundsatz ebenfalls zustimmen würde, kritisiert daran, dass die Steuereinnahmen eher der Bevölkerung zugutekommen sollten: Mehr Geld für die anderen Kantone, mehr Geld für den Bund und eine Zweckbindung für den Bundesanteil zugunsten der Kindertagesstätten, lautet ihr Vorschlag. Das entspräche tatsächlich eher dem Geist der OECD-Reform und wäre an sich zu begrüssen.

Die Partei könnte ihre Argumente vorbringen, wenn die provisorische Bestimmung, die jetzt zur Abstimmung steht, in ordentliches Recht überführt wird. Das wird in spätestens sechs Jahren der Fall sein, dann können das Parlament und bei einem Referendum das Volk nochmals über diese Fragen befinden.

Die Schweiz würde bei einem Nein für alle betroffenen Firmen monate- bis jahrelang zu steuerrechtlich unsicherem Terrain.

Stattdessen setzt sich die SP für ein Nein am 18. Juni ein; ihre Forderungen will sie in eine Neuauflage der Reform packen. Eine solche könnten Bundesrat und Parlament innert Kürze aus dem Boden stampfen, behauptet die Partei. Schliesslich sei allen klar, welche Aspekte am Text abzuändern seien, sollte die Vorlage abgelehnt werden.

Eine Volksabstimmung könnte so im März 2024 stattfinden. Die Reform könnte trotzdem auf Anfang 2024 in Kraft treten; nämlich dann, wenn eine Rückwirkungsklausel in den Abstimmungstext eingebaut würde. Die SP argumentiert, so entgehe der Schweiz kein Geld.

Doch dieses Argument ist falsch. Am besten zeigt das der Umstand, dass die zwei anderen am Nein-Komitee beteiligten Organisationen Argumente vorbringen, die jenen der SP sogar widersprechen: Der Gewerkschaftsbund will mit den Mehreinnahmen Löcher in der Bundeskasse stopfen. Und der Hilfswerke-Verband Alliance Sud will, dass die Schweiz mehr Geld für die Entwicklungshilfe oder den Klimaschutz ausgibt.

Lehnt das Volk die Reform in der vorliegenden Form ab, wären die Gründe dafür also unklar. Bis eine neue Vorlage die nötigen politischen Prozesse durchlaufen hätte und alle Seiten angehört worden wären, würde viel mehr Zeit vergehen, als die SP behauptet. Der öffentlichen Hand würde damit viel Geld entgehen.

Vor allem aber würde das Land für alle betroffenen Firmen monate- bis jahrelang zu steuerrechtlich unsicherem Terrain: Sie wüssten nicht, ob die Schweiz die Reform wirklich einführt, müssten parallele Buchhaltungen führen und liefen sogar Gefahr, doppelt besteuert zu werden. Die Schweiz sollte es sich nicht leisten, gleichzeitig mit den tiefen Steuern auch den Standortvorteil der politisch-rechtlichen Stabilität zu verlieren.