Leitartikel zur Abstimmung vom 18. JuniFür eine Schweiz mit Weitsicht braucht es ein Ja zum Klimaschutzgesetz
Die Stimmberechtigten können am 18. Juni die Weichen für eine klimaneutrale Schweiz stellen. Das Gesetz verdient Unterstützung. Der Weg zum Netto-null-Ziel wird auch so noch schwierig genug.
Die Schweiz gibt sich als Musterschülerin. Gemeinsam mit der EU und den USA setzte sie sich 2015 in Paris für möglichst ambitionierte Klimaziele ein. Zwei Jahre später ratifizierte das Parlament die Pariser Klimavereinbarung.
Der Bundesrat reagierte darauf und legte aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse 2019 das langfristige Klimaziel für die Schweiz fest – klimaneutral bis 2050. Das heisst: Die CO₂-Emissionen aus Verkehr, Haushalten und Industrie müssen nahezu auf null sein.
Die Schweiz will also die internationale Verpflichtung wahrnehmen, die gemäss Pariser Abkommen letztlich alle Staaten erfüllen sollten – unbesehen davon, welchen Anteil sie an den globalen Emissionen haben. Am 18. Juni kann das Stimmvolk nun erstmals über den langfristigen Kurs des Bundesrats befinden. Die Abstimmung über das Klimaschutzgesetz ist wegweisend. (Lesen Sie dazu: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Klimaschutzgesetz.)
Das Gesetz unterstützt Private und Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Das Gesetz schafft für Bund und Kantone den Rahmen für den Weg zur Klimaneutralität – mit Zwischenzielen für Gebäude, Verkehr und Industrie. Es enthält keine neuen Abgaben und Verbote. Vielmehr unterstützt es Private und Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität – mit Subventionen aus der Bundeskasse: 2 Milliarden Franken über zehn Jahre, um fossile Heizungen oder Elektroheizungen zu ersetzen und Häuser zu dämmen. Weitere 1,2 Milliarden über sechs Jahre, um neue Technologien zu fördern.
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Das ist eine Abkehr von der Idee der Lenkungsabgaben und damit dem Verursacherprinzip. Und natürlich muss diese Rechnung jemand bezahlen – in diesem Fall sind es die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Allerdings haben die Stimmberechtigten vor zwei Jahren neue Abgaben bei der Abstimmung über das CO₂-Gesetz abgelehnt. Das Mittel der Subvention ist somit ein politischer Kompromiss. Es wird am Bundesrat sein, die Gelder sozial möglichst gerecht und gleichzeitig klimawirksam zu verteilen.
Darüber hinaus sagt das Gesetz wenig Konkretes, wie die Schweiz klimaneutral werden soll. Viele Fragen sind noch offen, etwa wie die Schweiz ihren Strombedarf langfristig decken will, vor allem im Winter. Die Gegner sagen, die Stromversorgung sei nicht gesichert, man dürfe deshalb den Einbau von Wärmepumpen nicht fördern. Was sie nicht sagen: Das Gesetz fördert auch den Ersatz von Elektroheizungen, den Stromfressern im Winter schlechthin. Ein forcierter Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung müssen Hand in Hand gehen.
Sicher ist aber: Um das Netto-null-Ziel zu erreichen, müssen die erneuerbaren Energien schnell und massiv ausgebaut werden. Eine möglichst umfassende Solarpflicht für Gebäude ist nötig. Ansonsten wird wohl zu wenig erneuerbarer Strom vorhanden sein, um die fossile Energieversorgung zu elektrifizieren und den Strom der mittelfristig wegfallenden Kernkraftwerke zu ersetzen.
Dieses Risiko ist umso grösser, als die Stromimporte nicht gesichert sind. Die Schweiz muss daher mit der EU in naher Zukunft ein Stromabkommen abschliessen. Eine energieautarke Schweiz ergibt keinen Sinn. Das zeigen ökonomische Studien deutlich. Es kostet zu viel, und der Ausbau der Solarenergie würde so viel Raum beanspruchen, dass es ökologisch nicht tragbar wäre.
Wer jetzt nicht in Infrastruktur und Forschung in grossem Stil investiert, wird abgehängt.
Ebenfalls sicher ist: Eine Wärmepumpe ist rund dreimal effizienter als ein Heizkessel, ein Elektromotor dreimal effizienter als ein Verbrennungsmotor. Das bedeutet: Der Strombedarf wird zwar in Zukunft deutlich steigen, die benötigte Gesamtenergie jedoch stark sinken – und damit auch die bisherige Abhängigkeit vom Ausland durch den Import von Erdöl und Erdgas.
Dieser Umbau, warnt die SVP wie schon bei der Abstimmung zum CO₂-Gesetz 2021, werde exorbitant teuer. Wie viel jeder Einzelne von uns in Zukunft für die Energie letztlich zahlen muss – darüber kann heute nur spekuliert werden; zu viele Faktoren spielen da hinein, auch unvorhersehbare, wie der Krieg in der Ukraine zeigt.
Zweifellos wird die Erneuerung des Energiesystems Hunderte Milliarden Franken kosten. Doch ein grosser Teil dieser Investitionen wird ohnehin fällig, um unsere Energieversorgung zu modernisieren. Die tatsächlichen Mehrkosten, so zeigen ökonomische Studien, sind für die reiche Schweiz nicht nur verkraftbar. Im Gegenteil: Die zusätzlichen Investitionen bringen einen direkten Nutzen: zum Beispiel Innovationen und neue Arbeitsplätze, aber auch lokal bessere Luft – und natürlich einen Beitrag, die teuren Schäden durch die klimarelevanten Emissionen zu verringern.
Heisst das Stimmvolk am 18. Juni das Gesetz gut, erhält die Klimapolitik höchste demokratische Legitimation. Und es ist ein Auftrag: Das Gesetz ergibt nur Sinn als Gesamtpaket mit weiteren Vorlagen, über die das Parlament erst noch befinden muss, etwa das CO₂-Gesetz oder das Energie- und Stromversorgungsgesetz.
Ein Nein an der Urne wäre hingegen ein denkbar schlechtes Signal, auch für den globalen Klimaschutz. Wer dazu nicht Ja sagt, ignoriert nicht nur die zuverlässigen Daten der Wissenschaft, sondern verkennt auch die Ausgangslage: Es fliesst heute schon deutlich mehr Geld weltweit in die Erneuerbaren als in fossile Energie. Wer jetzt nicht in Infrastruktur und Forschung in grossem Stil investiert, wird abgehängt. Wie erklären wir das in der reichen Schweiz der nächsten Generation?
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