Interview mit Forscher vor der Abstimmung«Das Klimagesetz bringt gar keine Verbote und Abgaben»
Der Berner Klimaforscher Thomas Stocker hat eine Botschaft an jene, die vor der Abstimmung zweifeln. Und er fasst Fakten im Schnelltempo zusammen.
Herr Stocker, Sie wirken aufgebracht?
Die Botschaften auf den Plakaten gegen das Klimaschutzgesetz und die Auftritte der Gegner sind schrill und verbreiten Ängste, weil sie vor Verboten und Abgaben warnen. Doch die gibt es gar nicht in der Gesetzesvorlage. Die Kampagne ist aggressiver als noch bei der Abstimmung um das CO₂-Gesetz 2021.
Überrascht Sie das?
Ja, denn das vorliegende Gesetz setzt nur auf Anreize. Jeder kann entscheiden, ob er oder sie diese nutzen oder davon profitieren möchte. Selbstverständlich ist auch die Zielsetzung im Gesetz enthalten, wie viel Emissionen die Schweiz in Etappen reduzieren soll. Aber diese Verpflichtung ist die Schweiz bereits 2017 durch die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens eingegangen.
Kürzlich lag ein Flyer vom «Komitee Rettung Werkplatz Schweiz» in den Schweizer Briefkästen. Was halten Sie davon?
Das ist unerträglich. Der Flyer ist voll von Lügen und Behauptungen, die ungefragt in praktisch alle Haushalte verbreitet werden. Das ist Propaganda der übelsten Art, eine Hetzkampagne gegen die Wissenschaft, aber auch gegen die vielen Politiker, die quer durch die Parteienlandschaft den Konsens für diese Gesetzesvorlage errungen haben. Die Verfasser dieses Flyers greifen wieder zu einer alten Waffe, die vor 20 Jahren verfangen hat. Sie behaupten haltlos, Forschende würden von Milliardären aus den USA bezahlt und aufgrund von theoretischen Modellen und Annahmen der Gesellschaft vorschreiben, was zu tun sei.
Aber das ist doch nur eine kleine Gruppe, die solche Fake News streut. Sollte man das nicht einfach ignorieren?
Das denke ich nicht. Ein nicht unwesentlicher Teil der Gesellschaft ist nach wie vor unsicher, wie er abstimmen soll. Die Strategie der Gegner des Gesetzes ist deshalb offensichtlich: Zweifel streuen mit Fake-Informationen, Menschen irreführen, die noch unsicher sind, die Debatte ersticken. Dieser Stil ist äusserst bedenklich.
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Was würden Sie verunsicherten Menschen als Wissenschaftler sagen?
Wenn sie sich in eine sachliche Diskussion einliessen, würde ich die jahrzehntelange Forschung mit folgenden Fakten im Schnelltempo zusammenfassen: CO₂ ist ein Treibhausgas. Der Anstieg von CO₂ um über 50 Prozent wird seit 1750 gemessen. Der Anstieg wird durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas sowie durch die Abholzung verursacht – ist also 100 Prozent menschgemacht. Millionen von Thermometermessungen zeigen die weltweite Erwärmung seit 1900: im Mittel 1,2 Grad Celsius in der Atmosphäre. Jedes weitere Jahr an Emissionen führt zu weiterer globaler Erwärmung mit lokalen Auswirkungen. Gehen die Emissionen nicht zurück, führt das zur globalen Erwärmung um 4 bis 5 Grad, in der Schweiz um 7 bis 8 Grad. Alle Staaten haben gemeinsam beschlossen, dass das gefährlich wäre und somit keine Option ist. Emissionen müssen bis 2050 auf netto null sinken, um die Erwärmung auf unter 2 Grad zu beschränken. Alle diese Fakten sind in sechs Sachstandsberichten des Weltklimarates seit 1990 umfassend dargelegt.
Dennoch gibt es Menschen, die Computermodellen nicht trauen?
Das ist vom emotionalen Standpunkt verständlich. Modelle sind aber unerlässlich, um künftige Risiken abzuschätzen. Im Flyer werden sie als «Panik erzeugende theoretische Modelle» bezeichnet. Das ist natürlich Unsinn, denn diese Modelle enthalten die Physik der Atmosphäre und des Ozeans sowie des Eises. Sie sind verwandt mit Wettervorhersagemodellen, die heute jeder weltweit konsultiert. Es ist eine Erfolgsgeschichte der letzten Jahrzehnte. Seither wurden sie immer weiterentwickelt und verfeinert, ihre Erfinder sind 2021 sogar mit dem Nobelpreis für Physik geehrt worden. Diese Modelle zeigen, dass die Erwärmung seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre verursacht wurde. Sie lassen uns auch abschätzen, was es braucht, um das Pariser Klimaabkommen, zu dem sich alle Länder – auch die Schweiz – verpflichtet haben, umzusetzen.
Rund 200 Forschende aus verschiedenen Fachrichtungen sprechen sich in einer Stellungnahme für das Klimaschutzgesetz aus. Es gibt Stimmen, die das als Klimaaktivismus bezeichnen. Steht da nicht die Unabhängigkeit der Forschung auf dem Spiel?
Überhaupt nicht. Die gesellschaftliche und politische Entscheidung zum Klimaschutz ist mit dem Pariser Abkommen längst gefallen. Die Klimaforschung liefert nun die Fakten, was dafür notwendig ist. Damit die Schweiz das Abkommen von Paris erfüllen kann, ist das vorliegende Gesetz Voraussetzung und ein gutes Instrument. Genau das haben die über 200 Forschenden mit dieser Erklärung ausgedrückt. Im Übrigen ist es nicht zum ersten Mal, dass Forschende vor einer Abstimmung Fakten mitteilen und ihre Meinung kundtun. Das war bei der Gentech-Initiative oder den Pestizid- und Trinkwasser-Initiativen genauso der Fall. Das sind alles wichtige Fragen, wo wissenschaftliche Information benötigt wird und nicht faktenfreie Propaganda.
«Beim Einbau von Ölheizungen kommt die Frage nach den Kosten nie.»
Was zeichnet das Gesetz aus der Sicht der Wissenschaft aus?
Dieses Gesetz gibt uns erstmals einen Rahmen, die Schweiz klimafit zu machen. Dazu müssen wir jetzt beginnen. Wir werden das Netto-null-Ziel nicht erreichen, wenn wir heute zum Beispiel alte, ausgediente Ölheizungen wieder durch neue fossile Anlagen ersetzen, oder Fenster nicht erneuern, oder Häuser nicht isolieren. Die im Gesetz vorgesehenen Fördergelder von 200 Millionen jährlich sind dazu ein grosser Anreiz.
Ohne grosse, milliardenteure Investitionen wird es aber nicht gehen.
Geht es um Wärmepumpen, wird sofort nach den Kosten gefragt, beim Einbau von Ölheizungen kommt diese Frage nie. Für eine neue Ölheizung werden während der Lebenszeit mehrere Zehntausend Franken für Heizöl anfallen. Dieses Geld geht direkt in die erdölfördernden Länder, zum Teil Diktaturen. Saniere ich Fenster, ersetze ich Heizsysteme, isoliere ich Dächer und rüste mich mit Solaranlagen aus, dann gebe ich dasselbe Geld dem KMU um die Ecke und dem einheimischen Gewerbe. Das heisst, die Energiewende bedeutet Arbeitsplätze hier in der Schweiz, eine einmalige volkswirtschaftliche Chance. Wir hätten also schon vorgestern mit dem klimafitten Umbau beginnen sollen.
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