Abstimmung Klimagesetz am 18. JuniWie das «Berner Modell» das Schweizer Klimagesetz prägte
Fördergelder statt Vorschriften – das Prinzip des Klimagesetzes wurde im Kanton Bern getestet. Und damals war auch die jetzige Referendumsführerin SVP dafür.
Lange Gesichter gab es im Pro-Lager für mehr Klimaschutz am 10. Februar 2019: Das neue bernische Energiegesetz war in der Volksabstimmung knapp gescheitert – daran hatten auch die damals beginnenden Proteste der Klimajugend nichts zu ändern vermocht.
Dasselbe wiederholte sich am 13. Juni 2021 auf schweizerischer Ebene: Das Volk lehnte das CO₂-Gesetz knapp ab – trotz der «Klimawahl» auf eidgenössischer Ebene gut anderthalb Jahre zuvor.
Am 18. Juni wird das Schweizervolk erneut über ein Klimaschutzgesetz abstimmen. Und dessen Entstehung ist eng verknüpft mit den zuvor abgelehnten Vorlagen, das aktuelle Gesetz ist aus der Niederlage geboren.
Das unbekannte «Berner Modell»
Der Kanton Bern zog Lehren aus der Niederlage. Dass er damit auch eine Schlüsselrolle für das neue Schweizer Klimagesetz einnahm, ist kaum bekannt. Einer, der das genau weiss, ist Roger Nordmann – Chef der SP-Fraktion im Bundeshaus und einflussreicher Energiepolitiker. «Das Klimagesetz knüpft an das erfolgreiche und pragmatische Berner Modell an», schreibt er etwa auf Twitter.
Berner Modell?
Als es entstand, wirkte es eher wie eine Notlösung. Die Fraktion der BDP (heute: Die Mitte) im bernischen Grossen Rat forderte nach dem Nein zum kantonalen Energiegesetz, dass Hauseigentümer und -eigentümerinnen, die eine Ölheizung durch ein erneuerbares Heizsystem ersetzen, mindestens 10’000 Franken Fördergeld vom Kanton erhalten (der Mindestbetrag lag damals bei 4500 Franken).
«Wir wollten etwas tun, statt nur zu reden und Klimaproteste zu veranstalten.»
Der damals zuständige Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) und seine Verwaltung reagierten sehr rasch: Am 12. Juli 2019, einem Freitag, verkündeten sie eine entsprechende neue Förderpraxis. Sie trat bereits am folgenden Montag in Kraft – noch bevor das Parlament darüber diskutiert hatte.
«Wir wollten etwas tun, statt nur zu reden und Klimaproteste zu veranstalten», sagt Neuhaus, «und wir setzten es in einem unbernischen Tempo auch gleich um.» Bezüglich seiner Position zum Schweizer Klimagesetz verweist Neuhaus auf das Kollegialitätsprinzip: «Ich unterstütze es, so wie der Gesamtregierungsrat es bereits getan hat.»
Interesse im Bundeshaus geweckt
Der Erfolg der aus der Not geborenen neuen Förderpraxis überraschte – und sollte nach dem Nein zum CO₂-Gesetz das Interesse im Bundeshaus wecken.
Zwischen Sommer 2019 und Sommer 2020 wurden im Kanton Bern 2760 Ölheizungen ersetzt respektive Fördergesuche dafür bewilligt – fast viermal mehr als in der gleichen Periode ein Jahr zuvor. Ein so sprunghafter Anstieg kann eigentlich nur mit der neuen Förderpraxis erklärt werden. Und der Erfolg erwies sich als nachhaltig. Die Zahl stieg, nach einem leichten Rückgang 2020/21, bis heute an: auf zuletzt über 3600 ersetzte Ölheizungen.
Dies zeigen Zahlen, welche das kantonale Amt für Umwelt und Energie (AUE) dieser Zeitung auf Anfrage zur Verfügung stellte.
Die neue bernische Förderpraxis hatte nicht nur den Klimaschutz, sondern auch die Stromversorgung im Blick: die elektrischen Heizungen, die Winterstromfresser par excellence. Deren Ersatz wurde neu ebenfalls mit einem Pauschalbetrag von 10’000 Franken gefördert. Auch hier zeigt die Grafik einen markanten Anstieg bis Sommer 2020 auf 607 ersetzte Elektroheizungen (Vorperiode: 280) – also mehr als eine Verdoppelung. In den Folgeperioden stabilisierten sich die Zahlen nahezu auf diesem Niveau.
SVP war für Berner Modell
Wie das Berner Modell setzt nun auch das Schweizer Klimagesetz auf Subventionen statt auf Vorschriften. SP-Energiepolitiker Nordmann betont auch, dass das Berner Modell von der bernischen SVP mitgetragen wurde, deren Mutterpartei das Klimagesetz nun bekämpft. In der Tat: Das Berner Modell wurde nicht nur von SVP-Regierungsrat Neuhaus eingeführt, auch die SVP-Fraktion votierte nahezu geschlossen dafür, als nachträglich im Grossen Rat darüber abgestimmt wurde (nur Erich Hess, damals auch Grossrat, war dagegen).
Über ihre Parole zum Schweizer Klimagesetz entscheidet die SVP-Kantonalpartei erst am Montagabend. Bereits jetzt betreibt sie auf ihrer Website aber munter Abstimmungskampf dagegen. Einer, der im Grossen Rat damals für das Berner Modell war und jetzt im Nein-Komitee gegen das Schweizer Klimagesetz sitzt, ist Grossrat Ernst Wandfluh. Er begründet seine jetzige Position mit der veränderten Ausgangslage.
«Den Umstieg auf erneuerbare Heizungen können wir mit nahezu gleich viel Stromverbrauch schaffen.»
Er habe sich vor der Abstimmung im Grossen Rat erkundigt, ob genug Strom für den Ersatz von Ölheizungen durch Wärmepumpen vorhanden sei, sagt er. «Das hat man mir zugesichert.» Seither habe der Ukraine-Krieg zu Stromknappheit geführt. «Solange wir nicht wissen, woher der Strom kommen soll, sollten wir auf die Bremse stehen.»
In ihrer Abstimmungszeitung gegen das «Stromfresser-Gesetz» formuliert die SVP Schweiz es schärfer: «Obwohl wir jetzt schon zu wenig Strom haben, sollen Autofahren oder Heizen nur noch elektrisch möglich sein.» Das stimmt so jedoch weder für das Berner Modell noch für das Schweizer Klimagesetz. Auch mit diesem soll im Gegenteil ebenfalls der Ersatz von Elektroheizungen gefördert werden. Für SVP-Energieminister Albert Rösti ist dies sogar eine Priorität.
Weniger E-Heizungen, mehr Spielraum
Unbestreitbar ist, dass Wärmepumpen insgesamt zusätzlichen Strom brauchen. Nur sind sie eben um ein Vielfaches effizienter als reine Elektroheizungen (oder fossile Heizungen), weil sie den Grossteil der Wärme aus der Umgebung gewinnen. Falls Elektroheizungen und die sehr vielen elektrischen Warmwasserboiler durch Wärmepumpen ersetzt werden, senkt dies den Verbrauch wieder. Das schafft Spielraum.
Für den Kanton formuliert es der Vorsteher des Amtes für Umwelt und Energie, Ulrich Nyffenegger, so: «Wenn wir im Kanton Bern die noch rund 17’000 stromfressenden Elektrospeicherheizungen und Zig-Tausend Elektroboiler ersetzen, sparen wir damit ungefähr so viel Strom ein, wie der Ersatz der rund 90’000 Ölheizungen durch Wärmepumpen und andere erneuerbare Energieträger zusätzlich benötigen würde.» Das gleiche sich aus: «Mit praktisch gleich viel Strom können wir den Umstieg auf erneuerbar schaffen.»
Dazu kommt: Wärmepumpen sind nicht die einzige Option. Sowohl im Berner Modell wie auch im Schweizer Klimagesetz werden auch das Heizen mit Holz oder Fernwärme gefördert – und die Wärmedämmung der Häuser, welche den Heizbedarf senkt.
Bezüglich des Autoverkehrs sind im neuen Klimagesetz, anders als im gescheiterten CO₂-Gesetz, keine konkreten Massnahmen vorgesehen. «Wenn das im Gesetz verankerte Netto-null-Ziel erreicht werden soll, dann muss der Verkehr elektrisch werden», sagt dazu SVP-Grossrat Wandfluh. Das erhöhe den Strombedarf.
Auch hier gilt: Elektroautos sind effizienter als Verbrenner. Allerdings ist richtig, dass in der Abstimmungsvorlage eine Lücke zwischen dem Ziel von netto null Treibhausgasen bis 2050 und den Massnahmen besteht. «Das Klimaschutzgesetz verankert also ein Ziel, ohne gleichzeitig zu sagen, wie dieses zu erreichen ist», moniert die «Neue Zürcher Zeitung».
Das ist der politischen Realität geschuldet: Weil das CO₂-Gesetz abgelehnt wurde, hat man im Klimagesetz auf Verbote und neue Abgaben verzichtet und wie zuvor der Kanton Bern auf Förderanreize gesetzt. «Das ist ein sehr bürgerlicher Ansatz», sagt FDP-Grossrat Peter Flück, «und deshalb sind sowohl die schweizerische wie die kantonale FDP dafür.» Offensichtlich sei aber auch, dass es auf dem Weg zur Klimaneutralität nur ein erster Schritt sei. «Ich bin froh, dass dieser nun mehrheitsfähig zu sein scheint.»
Braucht Bern das Gesetz noch?
Aber braucht Bern als Pionierkanton das schweizerische Klimagesetz noch? Durchaus, findet Nyffenegger: «Die Auswirkung für den Kanton Bern wäre sehr positiv.» Schon heute kommt der grösste Teil der Gelder für das kantonale Förderprogramm vom Bund, auch die neuen Fördergelder des Klimagesetzes würden wohl die Kantone verteilen. Bern stünden von seiner Bevölkerungsgrösse her gerechnet zusätzliche 24 Millionen Franken pro Jahr zu. Das entspräche einer Erhöhung des Budgets von zuletzt gut 80 Millionen um 30 Prozent.
Eine zusätzliche Summe, die einen Unterschied macht. Denn der Erfolg des Berner Modells hat eine Schattenseite. Während die Fördergesuche insgesamt, inklusive jener für Wärmedämmungen, seit 2018 um den Faktor 2,4 stiegen, wurden die Mittel dafür nur um den Faktor 1,4 erhöht. Die Folge: Die Förderbeiträge generell und auch die Pauschalen, die den Erfolg am Anfang befeuert hatten, mussten teilweise wieder markant gekürzt werden.
Der Kanton könnte mit dem zusätzlichen Bundesgeld gewisse Grundpauschalen für den Heizungsersatz, insbesondere jenen von Elektroheizungen, wieder ein Stück weit erhöhen, sagt Nyffenegger, «und damit das ursprüngliche Momentum zurückgewinnen». Zudem stünden auch wieder mehr Fördergelder für Fernwärme, Holz, solare Wärme und Wärmedämmungen von Häusern zur Verfügung.
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