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Meinung

Papablog: Erstes Konzert
Ein Kind, das mich beeindruckt

Ruhig und konzentriert – während Papa im Publikum sogar vergisst, ein Foto zu schiessen (drum: Symbolbild).
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182 Personen passen in den Konzertsaal des Gemeindezentrums und heute haben sich noch ein paar mehr reingewurstelt. Um Stehplätze zu schaffen, schieben zwei pragmatische Schnelldenker den Tisch mit den Programmflyern und Ohrstöpseln zur Seite. Die Stimmung ist heiter, man begrüsst die Nachbarin, es fallen floskelhafte Fragen: «Ah, du auch hier?» (offensichtlich), «Hat Maximilian-Jason fleissig geübt?» (hoffentlich).

Eine Band aus jungen Erwachsenen eröffnet das Konzert, gefolgt von einer altersgemischten Perkussionstruppe. Nach ihrer Darbietung gehen sie winkend und um die anfängliche Nervosität erleichtert von der Bühne. Der Applaus verhallt, es wird still im Saal. Neben mir steht ein Kind auf. Unter den erwartungsvollen Blicken der versammelten Gemeinde schreitet es zielstrebig durch den Mittelgang; in der Hand zwei Schläger aus Hickory-Holz, Stärke 5A. Ich weiss das, denn ich habe die Schläger gekauft. Und das Kind, das gerade die Bühne betritt, habe ich sogar selbst gemacht.

Ein Moment fürs Fotoalbum – theoretisch

Das ist ein besonderer Elternmoment. Fast noch besonderer als der erste Schultag. Der war gesetzlich vorbestimmt, unausweichlich, für alle gleich. Nicht so dieses Konzert. Der Brecht hatte die freie Wahl. Alle hätten verstanden, wenn er nach weniger als neun Monaten Musikschulunterricht erst einmal nur hätte zuschauen wollen. Doch er wollte spielen – zeigen, was er in der kurzen Zeit gelernt hat. Dabei versuchte ich nicht einmal, ihn zur Teilnahme zu ermutigen, denn ich wusste: Ich hätte mit neun Jahren diesen Mut nicht gehabt.

Der Musiklehrer und ein Helfer stellen die letzten Trommeln der Vorband weg und gehen von der Bühne, als der Brecht am Schlagzeug Platz nimmt. Ein Moment fürs Fotoalbum, doch ich bin zu aufgeregt, um an ein Foto zu denken. Der Brecht hingegen wirkt konzentriert. Er orientiert sich kurz an seinem Arbeitsplatz, schaut vier, fünf Sekunden ins Publikum, bis es im Saal komplett still ist. Dann spielt er los.

Es klingt richtig gut

Dieses warme Gefühl, das mich gerade durchfährt, ist kein Stolz; schliesslich habe ich wenig zu diesem Moment beigetragen. Zwar lag ich dem Brecht fast täglich in den Ohren, er möge doch bitte üben (wie Sie hier lesen konnten). Aber diese Leistung heute ist seine Leistung. Nein, dieses Gefühl ist kein Stolz, sondern Zuversicht. Zuversicht nach einer schwierigen Zeit. Die unbehandelte ADHS löste vor einem Jahr eine noch immer nicht ganz überwundene Angststörung aus. Der Brecht büsste viel von seiner Selbstständigkeit ein. Unsere Aufmerksamkeit galt fortan seinen Schwächen, nicht den guten schulischen Leistungen oder der Tatsache, dass er mich täglich im Memory schlägt.

Der Brecht war nie ehrgeizig. Wenn ihm etwas nicht gelingt, lässt er es bleiben. Motorisch brauchte er Förderung und seit Beginn seiner Angststörung kann er kaum noch kurze Zeit allein sein. Oder «konnte», denn mein Kind spielt gerade vor 200 Leuten ein Schlagzeugsolo. Wer schon einmal allein auf der Bühne stand und geblendet von den Scheinwerfern ins dunkle Publikum schaute, weiss, wie einsam sich dieser Ort anfühlen kann. Es wäre definitiv keine Schande, würde der Brecht aus dem Takt fallen oder müsste gar noch einmal neu beginnen. Zu Hause beim Üben hat er das Stück nie komplett fehlerfrei gespielt. Heute schon. Er absolviert sein Solo nahezu perfekt. Ich bin nicht einmal überrascht, denn tief drin weiss ich: Mein Kind kann viel und wird sich auch in Zukunft durchschlagen.