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Ehrung in Stockholm
Eine Panne, ein Russe und Nanoteilchen

A screen shows this year's laureates US Chemist Moungi Bawendi, US Chemist Louis Brus and Russian physicist Alexei Ekimov during the announcement of the winners of the 2023 Nobel Prize in chemistry at Royal Swedish Academy of Sciences in Stockholm on October 4, 2023. French-born Moungi Bawendi, Louis Brus of the United States and Russian-born Alexei Ekimov  won the Nobel Chemistry Prize for research in semiconductor nanocrystals known as quantum dots. (Photo by Jonathan NACKSTRAND / AFP)

Die Umstände, wie die Gewinner des Nobelpreises für Chemie bekannt gegeben wurden, waren in diesem Jahr noch spannender als sonst. Offiziell wurden die Preisträger erst wie geplant in einer Pressekonferenz verkündet, die um 11.45 Uhr an diesem Mittwoch begann. Doch schon in den frühen Morgenstunden meldeten mehrere schwedische Medien, dass sie eine Mail von der Pressestelle der Königlich Schwedischen Akademie erhalten hätten – mit den Namen der drei Gewinner.

Einige Stunden Rätselraten später: Da hatte wohl jemand in der Pressestelle zu früh auf den Senden-Knopf gedrückt. Dass die Preisträger eines Nobelpreises vorab bekannt werden, ist zwar höchst ungewöhnlich – eine Premiere war das nun aber nicht. Im Jahr 2014 erfuhren die Medien noch vor der offiziellen Verkündung vom Büro des Friedensaktivisten Kailash Satyarthi, dass er den Friedensnobelpreis gewinnen würde – gemeinsam mit der damals noch jugendlichen Malala Yousafzai.

Tatsächlich geht der Nobelpreis für Chemie in diesem Jahr an die drei schon in der morgendlichen Mail genannten Wissenschaftler Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov für ihre Entdeckungen rund um Quantenpunkte. Diese winzigen Strukturen, die auch «künstliche Atome» genannt werden, machen optoelektronische Anwendungen möglich. So werden Quantenpunkte heute unter anderem in Computerbildschirmen und modernen Fernsehern verwendet und sind auch für die Arbeit von Quantencomputern wichtig.

Die drei ausgezeichneten Quantenpunkt-Forscher: Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov.

Zumindest der 62-jährige in Paris geborene Moungi Bawendi hatte von dem Trubel um die verfrühte Bekanntgabe seines Namens gar nichts mitbekommen. Er arbeitet ebenso wie die beiden anderen diesjährigen Chemie-Laureaten an der Ostküste der USA – und lebt damit viele Stunden hinter der europäischen Zeit. Der erste Anruf in dieser Sache kam offenbar wie geplant von der Königlich Schwedischen Akademie. Er habe bis zu diesem Anruf tief und fest geschlafen und sei immer noch «sehr überrascht, schläfrig, schockiert und sehr geehrt», sagte Bawendi, der am Massachusetts Institute of Technology forscht. Den schon 80-jährigen Physiker Louis E. Brus von der New Yorker Columbia University hatte die Akademie bis zur Pressekonferenz noch gar nicht erreicht.

«Er wollte, dass der Preis unabhängig von der Nationalität vergeben wird.»

Hans Ellegren, Generalsekretär der Akademie

Diskussionen gab es um den dritten Preisträger, den gebürtigen Russen Alexei Ekimov, der vor fast 25 Jahren in die USA ausgewandert ist. Dort arbeitet der heute 78-Jährige immer noch in einer privaten Firma in New York City. Ob ein Russe angesichts des Ukraine-Krieges zur feierlichen Verleihung der Nobelpreise am 10. Dezember nach Schweden eingeladen werde, wollte eine Journalistin wissen. In diese Entscheidung sei die Akademie nicht involviert, sagte Hans Ellegren, der Generalsekretär der Akademie: «Wir folgen einfach den Regeln. Zuerst müssen wir die wichtigsten Entdeckungen finden, dann die Wissenschaftler, die den grössten Beitrag dazu geleistet haben. Das sei so auch ganz im Sinne Alfred Nobels, so Ellegren: «Er wollte, dass der Preis unabhängig von der Nationalität vergeben wird.»

Nicht so sehr im Sinn von Alfred Nobel ist hingegen, dass innovative Forschung erst lange nach ihrer Entwicklung prämiert wird. Nobel wollte eigentlich die jeweils wegweisende Forschung des aktuellen Jahres ausgezeichnet wissen. Doch von dieser Prämisse weichen die Nobel-Jurys schon seit vielen Jahrzehnten bei den allermeisten Preisvergaben ab. Dass dies auch beim diesjährigen Chemie-Nobelpreis der Fall ist, sieht man nicht nur am hohen Alter von zwei der drei Laureaten, sondern auch an ihren wissenschaftlichen Publikationen: Alle drei haben die wegweisenden Forschungsarbeiten, für die sie nun geehrt werden, bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren gemacht.

Faszinierende Farbeffekte

Zunächst fand Alexei Ekimov in den frühen 1980er-Jahren am Physikalisch-Technischen Institut Joffe in Leningrad heraus, weshalb eine einzelne Substanz Glas unterschiedliche Farben verleihen kann. Er produzierte Glas mit Kupferchlorid als Zusatz auf verschiedene Weisen und beobachtete, dass sich je nach Variante unterschiedlich grosse Kupferchlorid-Kristalle im Glas bildeten, die zu unterschiedlichen optischen Effekten führten. Das führte zu den unterschiedlichen Glasfarben.

Laut Nobel-Jury war dies das erste Mal, dass jemand gezielt Quantenpunkte hergestellt hatte. Je nach Grösse dieser Kristalle werden die Elektronen so zusammengedrängt, dass sie sich nur sehr eingeschränkt bewegen können. Das beeinflusst die Frequenz des Lichts, das sie aufnehmen und aussenden, und damit die Farbe.

Laboratory flasks are used for explanation during the announcement of the winners of the 2023 Nobel Prize in chemistry at Royal Swedish Academy of Sciences in Stockholm on October 4, 2023. French-born Moungi Bawendi, Louis Brus of the United States and Russian-born Alexei Ekimov on Wednesday won the Nobel Chemistry Prize for research in tiny particles known as quantum dots. (Photo by Jonathan NACKSTRAND / AFP)

Physiker waren schon in den 1930er-Jahren davon ausgegangen, dass in Nanopartikeln Quanteneffekte entstehen können, die solche Farbgebung zur Folge haben, aber sie betrachteten es als nahezu unmöglich, Strukturen in dieser Grösse herzustellen. Deshalb glaubten nur wenige Menschen daran, dass dieses Wissen jemals von praktischem Nutzen sein würde – bis Ekimov sein Durchbruch gelang.

«Quantenpunkte bringen den grössten Nutzen für die Menschheit.»

Königliche Akademie

Ein paar Jahre später war Louis Brus der erste Wissenschaftler, der bewies, dass grössenabhängige Quanteneffekte auch in Teilchen entstehen können, die frei in einer Flüssigkeit treiben. Und schliesslich revolutionierte Moungi Bawendi 1993 die chemische Produktion von Quantenpunkten, was zu nahezu perfekten Teilchen führte. Diese hohe Genauigkeit war nötig, um diese Konstrukte in Produkten anwenden zu können. «Quantenpunkte bringen den grössten Nutzen für die Menschheit», begründet die Akademie die Auswahl der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger. In der Zukunft seien viele weitere Anwendungen denkbar: biegsame Elektronik, kleinste Sensoren, hauchdünne Solarzellen und verschlüsselte Quantenkommunikation.