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Gefahr in Salcedo
Stromausfälle bedrohen Eiscreme-Kultur in Ecuadors Hochland

A worker packages popsicles at an artisanal factory in Salcedo, Ecuador, Thursday, Nov. 28, 2024, amid a wave of power outages, triggered by a prolonged dry spell. (AP Photo/Dolores Ochoa)
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Die Eiscremeproduktion in Salcedo, einer malerischen Stadt im ecuadorianischen Hochland, hat eine lange Tradition. Zu verdanken ist sie dem Einfallsreichtum franziskanischer Nonnen. Ihren Ursprung hat sie in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Einheimische sagen, die Nonnen hätten Fruchtshakes mit Milch von den Bauernhöfen der Region hergestellt – bis eine von ihnen begonnen habe, die Reste zu sammeln, um daraus cremiges Eis am Stiel zu machen, das über Nacht zur Sensation wurde.

Die Schwestern verkauften ihr Produkt in der Stadt, um Geld für die Armen zu sammeln. Die Menschen in Salcedo erkannten eine Geschäftsmöglichkeit: Sie begannen, mit neuen Geschmacksrichtungen und Techniken zu experimentieren und etablierten eine florierende Eis-Industrie, die die Kleinstadt unter Eiscreme-Liebhabern berühmt gemacht hat. Doch dieses Erbe ist in Gefahr: Eine Reihe von Stromausfällen, ausgelöst durch eine längere Dürreperiode, lässt die Träume der Eisproduzenten auf eine bessere Zukunft dahinschmelzen.

Signs advertise Salcedo's creamy popsicles along the Pan-American highway, in Latacunga, Ecuador, Thursday, Nov. 28, 2024, amid a wave of power outages, triggered by a prolonged dry spell. (AP Photo/Dolores Ochoa)

Die täglichen Stromausfälle, die in diesem Jahr begannen und sich im September zuspitzten, können bis zu 14 Stunden dauern. Ecuador ist stark auf Wasserkraftwerke angewiesen und hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv in Staudämme investiert. Wasserkraftwerke stellen zwischen 70 und 90 Prozent des in dem südamerikanischen Land verbrauchten Stroms bereit. Doch das ungewöhnlich trockene Wetter lässt die Produktionskapazitäten schrumpfen – und das Land tut sich schwer, Alternativen zu finden.

«Wir durchleben die schlimmsten Dritte-Welt-Bedingungen», sagt Gabriel Pumasunta, der Besitzer der Eiscremefabrik Polar Bear. «Wir sind in die Dunkelheit gestürzt.» Pumasunta, der die Firma mit seinen zwei Brüdern leitet, sagt, wenn die Stromausfälle auch in diesem Monat andauern, werde es keine andere Wahl geben, als den Betrieb einzustellen. «Wir werden anderswo arbeiten müssen.» Die Stromausfälle hätten die Produktion und Lagerung gestoppt – und einen Grossteil der Vorräte schmelzen lassen.

Bevor die Ausfälle im September zunahmen, wurden bei Polar Bear jeden Monat 60 000 Eis am Stiel hergestellt. Inzwischen sind es nur noch 10 000. Und Pumasunta hat acht seiner zehn Angestellten entlassen müssen. Um über die Runden zu kommen, hat Pumasunta auf die Ersparnisse des Unternehmens und seiner Familie zurückgegriffen. Er arbeitet jetzt selbst an den Maschinen der Fabrik und kümmert sich um die Lieferungen, um die Kosten zu senken, während auch seine Eltern mithelfen.

A vendor waves a popsicle-shaped sign to attract prospective customers in Salcedo, Ecuador, Thursday, Nov. 28, 2024, amid a wave of power outages, triggered by a prolonged dry spell. (AP Photo/Dolores Ochoa)

Präsident Daniel Noboa ist es bislang nicht gelungen, die Stromkrise zu lösen. Die Handelskammer in Ecuadors grösster Stadt Guayaquil schätzt, dass die Ausfälle Unternehmen des Landes jede Woche etwa 665 Millionen Euro kosten.

Germán Soria, der Präsident eines Eisherstellerverbands, sagt, vor der Krise habe es in Salcedo 80 kleine und mittelgrosse Eiscreme-Produktionsstätten sowie drei grosse Fabriken gegeben. 30 der kleineren Fabriken hätten schliessen müssen. Sorias eigene Eisfabrik, die sich in einem Schuppen hinter seinem Haus befindet, steht leer. Vor drei Wochen habe er die Arbeit eingestellt. Einige Ausrüstung habe er verkaufen müssen, ausserdem ein Grundstück, um seine Schulden zu bedienen.

Die Stromausfälle, die sich zu unerwarteten Zeitpunkten ereigneten, machten es schwer, die Produktion zu planen. Und auch die Kunden seien nicht mehr so sehr an Eiscreme interessiert – weil sie nicht sicher seien, ob sie sie vor dem Schmelzen bewahren könnten. Nach Angaben lokaler Behördenvertreter hat die Stromkrise in Salcedo 300 Arbeitsplätze vernichtet.

Präsident Noboa hat versprochen, dass die Stromausfälle im Dezember aufhören werden. Doch Experten zweifeln an dieser Aussage: Das Defizit bei den Stromerzeugungskapazitäten sei einfach zu gross. Marco Acuña, der Präsident der nationalen Ingenieursvereinigung Ecuadors, glaubt, dass daran auch der von der Regierung angestossene Kauf und die Ausleihe von Dutzenden grossen Stromgeneratoren wenig ändern kann.

Workers prepare popsicles at an artisanal factory in Salcedo, Ecuador, Thursday, Nov. 28, 2024, amid a wave of power outages, triggered by a prolonged dry spell. (AP Photo/Dolores Ochoa)

Unterdessen zieht der Kollaps der lokalen Eisindustrie in Salcedo weitere Kreise. Er beschädigt die lokale Wirtschaft, beeinträchtigt Milchfarmen, Obstbauern, Transportunternehmen und kleine Geschäfte, die sich auf den Eisverkauf spezialisiert haben.

«Vorher haben wir bis zu 150 Eis am Stiel pro Tag gekauft», sagt Maria Juliette López, die ein kleines Geschäft an einer Schnellstrasse besitzt, in dem sich Touristen und Lastwagenfahrer mit Proviant eindecken. Nun kaufe sie nur noch 40 Eis am Stiel – weil alles, das übrig bleibe, zum Schmelzen verdammt sei, wenn die Kühlung ausfalle.

A cutout of a popsicle adorns a shelf next to a statue of patron saint Michael the Archangel in Salcedo, Ecuador, Thursday, Nov. 28, 2024, amid a wave of power outages, triggered by a prolonged dry spell. (AP Photo/Dolores Ochoa)

Neben den kleineren Unternehmen beklagen auch die drei grossen Eisfabriken in Salcedo, hart von der Krise getroffen zu sein. Paco Hinojosa, Manager der Firma Corp Ice Cream, sagt, nur dank Kunden aus den USA sei es möglich gewesen, sich im Sommer über Wasser zu halten. Diese bestellten 120 000 Eis am Stiel pro Monat. Doch die Wintermonate bringen die Exporte in die USA bis um den März herum zum Erliegen. Der Inlandsverkauf von Corp Ice Cream ist seit Mitte September um 40 Prozent zurückgegangen. Und das merken auch die Zulieferer.

Neben Hinojosas Schreibtisch steht ein kleiner Altar für Erzengel St. Michael, den Schutzpatron von Salcedo. Hinojosa hat ihn um Gesundheit gebeten – und um Regen.

DPA/aeg