Biogen-Werk bei Solothurn fährt hochDurchbruch für erstes Alzheimer-Medikament – produziert wird in der Schweiz
Die erste Therapie ist da, die das Fortschreiten der Gehirnkrankheit bremst. Mit der ordentlichen Zulassung in den USA erstatten Kassen dort die Kosten für Leqembi.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat das erste Medikament definitiv zugelassen, das in den Verlauf von Alzheimer eingreift: Bei Erkrankten sollen mit Leqembi nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursache der Krankheit bekämpft werden. Die Auswirkungen der Entscheidung reichen bis in den Kanton Solothurn. In der riesigen Biotech-Anlage, welche die US-Firma Biogen in Luterbach gebaut hat, wird der Wirkstoff hergestellt.
«Der heutige Tag stellt einen Durchbruch für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung da», sagte Biogen-Chef Christopher Viehbacher. Es breche eine neue Ära für die bislang als unbehandelbar geltende Krankheit an.
Zulassung in Europa läuft
Das von Biogen und der japanischen Pharmafirma Eisai gemeinsam entwickelte Leqembi hatte letzten Januar in den USA bereits die beschleunigte Zulassung erhalten. Um von den Krankenkassen erstattet zu werden, braucht es jedoch die jetzt erfolgte ordentliche Genehmigung. Für die Europäische Union und Japan hatten Biogen/Eisai diesen Januar die Zulassung beantragt.
Bei Swissmedic, die in der Schweiz für die Zulassung von neuen Medikamenten verantwortlich ist, ging der Antrag im Mai ein – und zwar nicht im beschleunigten, sondern im normalen Verfahren. Das heisst: In der Schweiz kann mit einer Entscheidung im Herbst 2024 gerechnet werden, die Zulassungsdauer beträgt im Schnitt knapp 500 Kalendertage.
Leqembi ist die erste Arznei, die sich zur Behandlung bei Alzheimer-Kranken im frühen Stadium durchsetzen könnte. Nach rund 30 Jahren Forschung sind jüngst einige Medikamente vorgestellt worden, die Alzheimer aufhalten sollen: Sie zielen alle darauf ab, verklebte Eiweisse (Beta-Amyloide) zu beseitigen, die sich im Gehirn ablagern. Die Forscher gehen davon aus, dass diese sogenannten Plaques dazu führen, dass die Nervenzellen absterben und die Vergesslichkeit zunimmt. Bislang hat jedoch nur Leqembi eine ordentliche Zulassung geschafft.
Biogen war schon 2021 mit dem Alzheimer-Medikament Aduhelm in den USA auf den Markt gekommen und grandios gescheitert: Die Zulassung kam unter fragwürdigen Bedingungen zustande und wurde von der Behörde nachträglich eingeschränkt. Die Kassen übernahmen die Kosten nicht, vergangenen Mai stellte Biogen den Vertrieb von Aduhelm faktisch ein.
Produziert worden war Aduhelm im Werk von Biogen in Luterbach. Seit letztem Jahr wird dort in den Bioreaktoren von Säugetierzellen nun der neue Antikörper Leqembi hergestellt. Nun wird die Produktion hochgefahren.
Biogens Wette scheint aufzugehen
Die Geschichte der Anlage ist aussergewöhnlich: Biogen investierte im grossen Stil in ein neues Werk auf der grünen Wiese in der Schweiz, lange bevor überhaupt klar war, ob die klinischen Studien seiner Alzheimer-Therapien erfolgreich abgeschlossen würden und ob je ein Wirkstoff auf den Markt kommen würde. Zwar werden in Luterbach auch andere Wirkstoffe produziert, doch noch bestehen grosse Überkapazitäten. Nun scheint Biogens Wette aufzugehen.
Laut einer grossen klinischen Studie an 1795 Teilnehmenden im Frühstadium von Alzheimer kann Leqembi (mit seinem Wirkstoff namens Lecanemab) nach 18 Monaten den kognitiven Zerfall im Vergleich zu Patienten mit einem Placebo um 27 Prozent verlangsamen. Für viele Betroffene und ihre Angehörigen macht das im Alltag noch keinen erheblichen Unterschied. Aber es ist statistisch signifikant und weist erstmals in die richtige Richtung. (Lesen Sie hier mehr zu ersten Einschätzungen des neuen Wirkstoffes.)
Ob und wie stark das neue Medikament den Krankheitsverlauf auch auf längere Zeit bremsen kann, muss sich zeigen. Theoretisch müsste sich der Unterschied zwischen Behandelten und der Placebo-Kontrollgruppe weiter vergrössern.
US-Listenpreis: 26’500 Dollar
Leqembi kann jedoch Nebenwirkungen haben. Zudem gibt es Berichte über drei Todesfälle unter Teilnehmenden an den Studien zum neuen Medikament, die damit in Verbindung stehen könnten.
Der Listenpreis der Therapie beträgt 26’500 Dollar und damit weniger als die Hälfte von dem, was Biogen für Aduhelm verlangt hatte. Die Datenanalyse-Firma Global Data erwartet für Leqembi bis 2030 einen jährlichen Umsatz von 3,5 Milliarden Dollar. Es gibt Schätzungen, die sogar von bis zu 12,9 Milliarden ausgehen.
Alzheimer ist eines der grössten Gesundheitsprobleme weltweit, das mit der älter werdenden Bevölkerung stetig zunimmt. Die grosse Frage bleibt jedoch, ob die Krankenkassen in Europa bei einer Zulassung den Kosten-Nutzen-Effekt als gross genug einschätzen und die Therapiekosten erstatten.
Auch bei einem durchschlagenden Erfolg dürfte die Zahl der rund 500 Mitarbeitenden in Luterbach nicht steigen. «Wir planen eine unterstützende Produktion in den USA», sagt ein Biogen-Sprecher. In Luterbach sei die Rekrutierung von Mitarbeitern im grossen Rahmen abgeschlossen.
Für Biogen gibt es Konkurrenz. Der amerikanische Pharmakonzern Eli Lilly ist ebenfalls mit einem vielversprechenden Alzheimer-Medikament am Start: Es beruht auf einem ähnlichen Antikörper mit dem Namen Donanemab und ist noch in der Testphase. Die Zulassungsbehörde in den USA hatte eine beschleunigte, vorläufige Zulassung zurückgewiesen, da sie anders als bei Leqembi die Zahl der Patienten, die das Medikament während mindestens 12 Monaten in einer klinischen Studie erhalten hatten, als zu gering erachtete. Es waren weniger als 100 Testpersonen.
Roche hatte ebenso an einer Alzheimer-Therapie geforscht, war letzten November allerdings gescheitert: Ihr Antikörper hatte in der klinischen Studie mit rund 2000 Teilnehmenden den geistigen Verfall bei den Betroffenen nicht aufhalten können.
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