Tiefe Löhne, sexueller Missbrauch Smartphones werden unter schlimmsten Bedingungen gebaut – Schweizer Händler kümmert das kaum
Neue Recherchen decken die prekären Arbeitsbedingungen in chinesischen Fabriken auf. Bei Verantwortung und Transparenz schneiden Digitec Galaxus, Mediamarkt und Co. schlecht ab.
Rund um den 24. November ist es wieder so weit. In der Unterhaltungselektronik läuft dann die Rabattschlacht des Jahres, der sogenannte Black Friday und die Black Week. Dann brummt bei den Schweizer Detailhändlern das Geschäft. Die Marktforscher von GFK gehen davon aus, dass der Umsatz mit Multimediageräten dieses Jahr noch einmal höher als im Vorjahr ausfallen wird. Gaben Konsumentinnen und Konsumenten vergangenes Jahr 114 Millionen Franken aus, sollen es dieses Jahr fast 118 Millionen Franken sein.
Wie viele der beliebten Elektronikartikel hergestellt werden, zeigt eine Undercoverrecherche der Nichtregierungsorganisation China Labor Watch im Auftrag ihrer Partnerorganisation Solidar Suisse, die heute veröffentlicht wird. Recherchiert wurde im Frühjahr und Sommer 2023 in Fabriken in China, in denen für globale Elektronikmarken produziert wird.
Zustände in Chinas Fabriken immer noch prekär
Die wichtigste Erkenntnis: Die seit Jahren bekannten Probleme bleiben bestehen. Diese sind: tiefe Grundlöhne, extreme Überstunden, enorme Arbeitsintensität sowie verbale Gewalt und sexuelle Belästigung.
Wie sich dies in der Realität anfühlt, lässt sich dem Tagebuch einer der Rechercheurinnen entnehmen. Sie hatte verdeckt bei einem Handy-Hersteller gearbeitet. Zu Tag vier ihres Aufenthalts schreibt sie: «Am Fliessband ist die Arbeit sehr intensiv. Arbeiterinnen und Arbeiter müssen beispielsweise mehr als 3000 SIM-Kartenslots pro Tag installieren.» Der Grundriss der Fabrik gleiche einem Labyrinth, berichtet sie. «Ein paar Neuankömmlinge haben sich heute verirrt. Sollte es zu einem Unfall kommen, werden viele definitiv nicht fliehen können.»
Männliche Arbeiter würden zudem ständig sexistische Witze machen. «Viele geben damit an, dass sie mit Praktikantinnen geschlafen haben und dass sie hier seien, um eine Frau zu finden.» Auch die Rechercheurin selbst sei an dem Tag mit sexueller Belästigung konfrontiert gewesen.
Zu den bekannten Problemen kommt gemäss dem Bericht ein neues hinzu: Inzwischen haben viele der Fabriken auf das sogenannte Gig-Manufacturing umgestellt. Weil insbesondere vor der Veröffentlichung neuer Geräte, aber gerade auch im Vorfeld von Shopping-Events wie dem Black Friday die Aufträge massiv zunehmen, stellen die Fabriken den Grossteil der Angestellten nur noch temporär ein. Arbeitsvermittlungsagenturen würden dafür mit hohen Boni für die Erfüllung «exorbitanter Tages- und Wochenpensen» locken. Sobald die Aufträge wieder abnehmen, büssen die Angestellten ihren Job ein.
Schweizer Handel interessiert sich wenig für Lieferkette
Diese Recherche hat die Nichtregierungsorganisation Solidar Suisse zum Anlass genommen, zu überprüfen, wie transparent grosse Elektronik-Detailhändler in der Schweiz sind, was die Lieferkette ihrer Produkte betrifft. Dazu gehören Anbieter wie Digitec Galaxus, Media-Markt und Co. Dieser Bericht wird ebenfalls heute publiziert.
Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden ausschliesslich Informationen berücksichtigt, die öffentlich auf den Websites der Firmen oder ihrer Mutterkonzerne publiziert sind. Das Fazit der Autoren: «Was in anderen Branchen wie bei den Textilien immer mehr Schule macht, steckt bei der Unterhaltungselektronik noch nicht einmal in den Kinderschuhen.»
Gemäss der Untersuchung haben sich bei keinem der Detailhändler Hinweise dafür gefunden, dass transparente Lieferketten eine Voraussetzung für die Aufnahme ins Sortiment seien. Überrascht zeigen sich die Autoren, dass einige der Händler nicht einmal einen umfassenden Verhaltenskodex veröffentlichen würden.
Einer davon ist Brack.ch. Der Onlinehändler sei sich des Nachholbedarfs bewusst und arbeite derzeit verbindliche Lieferantenrichtlinien aus, heisst es im Bericht.
Auf Anfrage bestätigt der Onlinehändler dies. Es zeige sich, dass Angaben zu fairen Produktionsbedingungen Kaufentscheidungen in immer grösserem Mass beeinflussen würden. Dass Brack-Lieferanten teils bereits Mitglieder bei brancheneigenen Initiativen seien, geht dem Unternehmen dabei zu wenig weit. «Aus diesem Grund haben wir neue Lieferantenvorgaben erarbeitet, die vertraglich bindend sein werden», schreibt ein Firmensprecher. Es geht dabei um Mindeststandards zur Einhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette.
Was jedoch deren Wirkung betrifft, klingt es bei Brack.ch wenig optimistisch: «Die Schweiz ist ein kleiner Markt, und multinationale Elektronikkonzerne schmerzt es nicht sonderlich, wenn ein Akteur wie wir ihre Produkte nicht mehr verkaufen möchte.»
Und selbst wenn ein Lieferant oder Hersteller den Vorgaben zustimme, bleibe die Kontrolle der Einhaltung eine grosse Herausforderung, «gerade in Fernost, wo die meisten Elektronikhersteller, Komponentenzulieferer und Rohstoffe immer noch herkommen», so das Unternehmen.
Gemäss des Berichts von Solidar Suisse zeigt sich: Beschäftigen sich die Schweizer Elektronik-Detailhändler mit Nachhaltigkeit, geht es meist um Umweltstandards, jedoch weniger um soziale Fragen. «Mit Ausnahme von Media-Markt konnten wir bei keinem Detailhändler konkrete Informationen dazu finden, wie allfällige soziale Anforderungen durch die Elektronikmarken auch tatsächlich umgesetzt werden», heisst es im Bericht.
«Es sind so viele Einzelteile und Fremdprodukte verbaut, das fördert die Intransparenz.»
Media-Markt gehört der deutschen Ceconomy AG, die dem deutschen Lieferkettengesetz untersteht und daher zu einer umfassenden Berichterstattung gezwungen ist.
Branchenverbände, zum Beispiel der Handelsverband.swiss, äussern sich auf Anfrage zum Thema nicht, da ihnen die Studie noch nicht bekannt sei. Der grösste Schweizer Onlinehändler Digitec Galaxus verweist auf Anfrage auf die Sozialstandards der Migros-Gruppe, zu der das Unternehmen gehört. «Wir sind an diese gebunden und arbeiten Hand in Hand mit den Kolleginnen und Kollegen des Konzerns zusammen», schreibt ein Sprecher.
Hoffnung auf mehr Regulierung
«Nur Transparenz bietet den Konsumentinnen und Konsumenten eine gute Entscheidungsgrundlage», findet Christian Eckerlein, Kampagnenverantwortlicher Faire Arbeit bei Solidar Suisse. Ein Grund, wieso diese bei der Elektronik viel weniger als in der Textilindustrie verbreitet sei, sieht er bei der komplexen Lieferkette der Produkte. «Es sind so viele Einzelteile und Fremdprodukte verbaut, das fördert die Intransparenz.» Aber auch am fehlenden Willen vieler Hersteller.
Eckerlein setzt darauf, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen auch in der Schweiz verschärfen. Bereits für dieses Geschäftsjahr müssen alle grösseren Firmen im Rahmen des Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen.
Das EU-Parlament hat zudem kürzlich einem flächendeckenden Lieferkettengesetz zugestimmt, das bald verabschiedet werden soll. Von diesem werden voraussichtlich auch diverse Schweizer Unternehmen, die ein gewisses Umsatzniveau in der EU erreichen, tangiert sein.
Entsprechend hofft Eckerlein, dass der Druck auf alle Unternehmen in der Lieferkette, eine Risikoabwägung zu machen, zunimmt. Und zudem die Verschärfungen früher oder später analog auch in der Schweiz eingeführt werden. Bis dahin will die Nichtregierungsorganisation ihren Forderungen mit einer Petition an die Detailhändler Ausdruck verleihen, in der sie mehr Transparenz und Verantwortungsübernahme verlangt sowie, auf Rabatt-Tage zu verzichten.
Politik streitet wieder
Die EU-Rechtsentwicklung wird auch im Bundeshaus diskutiert. Der Bundesrat hat angekündigt, dem Parlament Bericht über die Neuerungen zu erstatten.
Für linke Politiker ist bereits jetzt klar: Es braucht eine Verschärfung der Schweizer Gesetzgebung. Während in der EU eine umfassende Konzernverantwortungs-Richtlinie kurz vor der Verabschiedung stehe, sei der Schweizer Gegenvorschlag praktisch wirkungslos, sagt Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone.
Die SVP dagegen warnt vor weiterem Bürokratieaufwand ohne klaren Nutzen für die Unternehmen. Es handle sich um eine weitere EU-Gesetzgebung, die den europäischen Wirtschaftsstandort schwäche, sagt Fraktionschef Thomas Aeschi.
Unklar ist, wie sich FDP und die Mitte positionieren werden. Man wolle zuerst die angekündigte bundesrätliche Analyse abwarten, sagen mehrere angefragte Parlamentarier. «Dann», sagt FDP-Ständerat Andrea Caroni,«sehen wir, ob es für die Schweiz zwingenden Handlungsbedarf gibt oder nicht.»
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