Unruhe im Markt für Heimelektronik Corona sorgte für sprudelnde Umsätze – das rächt sich nun
Konsumenten müssen sich von namhaften Marken wie Microspot und Steg verabschieden. Wie konnte es so weit kommen? Die Pandemie habe von den wahren Problemen abgelenkt, sagen Experten.
Auf die jüngsten Erschütterungen im Schweizer Elektrofachhandel reagiert Marktführer Digitec Galaxus mit Spott: Man habe da eine Idee für einen neuen Markennamen, schreibt die Migros-Tochter auf dem Berufsnetzwerk Linkedin mit Blick auf die angekündigte Fusion zwischen Interdiscount und Microspot. «Wie wäre es mit Interspot? Oder doch eher Microdiscount?»
Den süffisanten Ratschlag hätte sich Digitec Galaxus sparen können: Denn Microspot als Marke verschwindet; das bisherige Geschäft überführt die Muttergesellschaft Coop in ihre Tochterfirma Interdiscount. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass in der Branche eine beschleunigte Bereinigung im Gang ist. Die Ursachen liegen in der Corona-Krise. Innert Jahresfrist haben namhafte Anbieter ihr Tagesgeschäft anpassen oder den Betrieb vollständig einstellen müssen, wie folgende Beispiele zeigen:
Media-Markt
Die deutsche Muttergesellschaft Ceconomy hatte Ende 2022 angekündigt, die Verkaufsflächen und Sortimente der traditionellen Läden von Media-Markt verkleinern zu wollen. Die Kette hatte zu lange auf den stationären Handel gesetzt und ist bei den Onlineumsätzen ins Hintertreffen geraten. Details zu den Umbauplänen in der Schweiz verriet Länderchef Stefan Fraude bei der Eröffnung eins Pop-up-Stores im Hauptbahnhof Zürich Anfang Oktober.
Ein wenig entsteht dabei der Eindruck, dass Media-Markt unter Fraude zu einem Digitec Galaxus 2.0 werden will. Bis zum Frühsommer nächsten Jahres sollen ein komplett neuer Onlineshop und die dazu passenden App aufgeschaltet werden, intuitiver und interaktiver soll das Angebot sein.
Gleichzeitig soll das Sortiment erweitert werden, in dem auch Drittanbieter im Stil eines Marktplatzes ihre Waren verkaufen können, so wie dies auch bei Digitec Galaxus möglich ist. Für den Offlinehandel von Media-Markt bedeutet dies, dass die Fläche der bestehenden 25 Märkte weiter verkleinert wird und der Händler sich eher in Richtung kleinerer Formate an zentralen Lagen orientiert.
M-Electronics
Seit diesem Herbst konzentriert sich die Migros-Tochter in den traditionellen Läden vermehrt auf den Bereich Haushaltselektronik und fährt das Angebot an Unterhaltungselektronik zurück. Dazu erweitert die Kette ihre Angebote in den Bereichen Haushalt und Kosmetik. Gleichzeitig richtet die Migros auch das Filialkonzept von M-Electronics neu aus.
In Zukunft will das Unternehmen vermehrt sogenannte Shop-in-Shop-Filialen innerhalb der Migros-Supermärkte eröffnen. Dort werden sich auch die M-Electronics-Niederlassungen befinden.
Steg
Der Händler gab Anfang September bekannt, alle siebzehn Standorte, fünf Onlineshops und die Firmenzentrale in Schaffhausen zu schliessen. Grund sind Engpässe bei der finanziellen Liquidität. Auslöser waren die drastische Kürzung und später die vollständige Kündigung von Kreditlimiten im April 2023.
Kenner des hiesigen Detailhandels sehen zwei Ursachen für die Turbulenzen. Um der internationalen Konkurrenz wie Amazon Paroli zu bieten, setzten herkömmliche Detailhändler vermehrt auf das Onlinegeschäft. Die vorübergehenden Ladenschliessungen während der Corona-Pandemie von 2020 bis 2021 befeuerten den Trend und bescherten dem Onlinehandel eine Art Sonderkonjunktur.
Für die Zeit im Homeoffice während der Lockdowns brauchte es etwa leistungsfähigere Computer oder bessere Kameras für die geschäftlichen Videokonferenzen.
Das lässt sich exemplarisch an der Migros aufzeigen, die im Gegensatz zu Coop den Umsatz mit dem Onlinehandel ohne Erlöse aus dem Grosshandel ausweist. Ein direkter Vergleich zwischen den Konkurrenten ist deshalb schwierig. Bei der Migros beliefen sich die Umsätze im Vor-Corona-Jahr 2019 auf 2,9 Milliarden Franken.
Im zweiten Corona-Jahr waren es bereits 3,2 Milliarden. In der Zeit nach dem Ende der Pandemie stieg der Umsatz weiter auf 3,7 Milliarden Franken. Dieses Wachstum um fast ein Drittel zeigt, dass sich die Konsumenten an das Einkaufen im Internet gewöhnt haben.
Sonderfall Schweiz
Sowieso entpuppt sich die Schweiz europaweit als Sonderfall. Während in anderen europäischen Ländern, gemäss Zahlen des Marktforschungsinstituts GFK, der Anteil des Onlinehandels bei der Elektronik zuletzt stagnierte oder sogar leicht zurückging, nahm er bei uns von Oktober 2022 bis August 2023 um 2 Prozent auf 52 Prozent zu.
Der Gesamtumsatz im Handel mit Heimelektronik in der Schweiz erreichte zuletzt 5,6 Milliarden Franken, wie eine aktuelle Studie von GFK weiter zeigt.
Doch die sprudelnden Geschäfte während der Pandemie lenkten von einem tiefer liegenden Problem ab: Die Margen im Elektrofachhandel sind klein, und die Kauflaune der Konsumenten nimmt wegen des Ukraine-Kriegs und der Verwerfungen der Weltwirtschaft ab.
Der Handel mit Heimelektronik sei enorm kompetitiv und es herrsche ein harter Preiskampf, sagt Detailhandelsexperte David Morant vom Beratungsunternehmen Carpathia. «Die Bruttomargen sind bei vielen Produkten und Marken einstellig. Es gibt wenig Wertschöpfung, und in der aktuellen Zeit mit gestiegenen Zinsen funktionieren wenig profitable oder gar unprofitable Geschäfte nicht mehr.»
Träfen sinkende Umsätze infolge einer zurückhaltenden Konsumentenstimmung auf steigende Kosten, werde es für viele Firmen schnell kritisch, sagt Detailhandelskenner Nordal Cavadini vom Beratungsunternehmen Alix Partners. Diese seien dann oft nicht mehr in der Lage, «die sinkenden Erträge zu absorbieren oder mit entsprechenden Sparmassnahmen zu kompensieren – nicht nur stationär, sondern auch online».
Als besonders ausgesetzt sieht Cavadini kleine und mittlere Unternehmen: «KMU verfügen oft nicht über die Ressourcen, um auf diese Herausforderungen zu reagieren, und bekunden oft mehr Mühe, ihr Geschäftsmodell anzupassen.» Aber auch grosse Firmen müssten über die Bücher gehen, wie die Beispiele von M-Electronics, Interdiscount und Microspot zeigten.
Steigende Preise in Sicht
Für die Konsumenten wird die Bereinigung im Elektronikmarkt spürbar und sichtbar sein. «Wenn zwei oder mehrere Unternehmen ihre Kräfte bündeln, steigert das ihre Marktmacht», sagt Gianluca Scheidegger, Konsumforscher am Gottlieb-Duttweiler-Institut. Die Kundschaft habe damit weniger Ausweichmöglichkeiten. «Dies hat in der Vergangenheit oft zu Preiserhöhungen geführt», sagt Scheidegger.
Das sieht auch Experte Morant von Carpathia so. Da mit Microspot ein preisgünstiger Anbieter wegfalle, sei mit tendenziell leicht steigenden Preisen zu rechnen: «Die Frage ist, für wie lange.» Mittelfristig geht Morant davon aus, dass die Anbieter ihre Filialflächen weiter verringern werden. Die Kundschaft muss sich also an kleinere Läden gewöhnen.
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