Kompromisslos klimafreundlichSie erfinden den Bioladen neu
Ein junges Team will Menschen auf dezente Art dazu bringen, ihren CO₂-Abdruck beim Essen zu verringern. In ihrem Laden Marktecke verfolgen sie einen konsequenten Ansatz.
Der Bund will die Bevölkerung dazu bringen, klimafreundlich zu essen. Ziel ist, dass sie bis 2030 deutlich weniger Fleisch konsumiert. Die Frage ist nur, wie es zu dem Wandel kommen soll: Durch eine freiwillige Änderung des Essverhaltens? Oder sollen Produkte mit einem hohen CO₂-Abdruck teurer oder gar nicht erst angeboten werden?
Die Migros will das Problem durch einen Klimaausgleich angehen: Sie führt ab nächstem Jahr in allen Supermärkten die Möglichkeit der CO₂-Kompensation beim Einkauf ein: An der Kasse wird automatisch der Anteil der Klimaemissionen berechnet und kann durch einen Aufpreis ausgeglichen werden, der an Projekte von Migros und Myclimate geht.
Die Marktecke in Olten geht anders vor: Anja Schaffner und Jens Hinkelmann wollen nur Produkte verkaufen, die möglichst klimafreundlich, bio und fair sind. Fleisch oder Milchprodukte bieten sie gar nicht an. Genauso wenig wie Tomaten im Winter oder Guetsli mit Palmöl.
Das Gründerduo setzt auf ein radikal anderes Angebot. Dennoch schafft es ein Vollsortiment mit allem, was es fürs tägliche Leben braucht.
«Wir schauen uns genau an, was auf der Zutatenliste steht, und erkundigen uns direkt bei den Produzentinnen», sagt Schaffner. Achten sie nicht auf faire Arbeitsbedingungen, kommen sie nicht ins Sortiment. «Oft sind die Antworten auch weniger eindeutig, dann gilt es abzuwägen», erklärt die 28-Jährige.
Alle Bioläden, mit denen sie sich vor ihrer Gründung ausgetauscht hatten, rieten Schaffner und Hinkelmann von einem solch eingeschränkten Angebot ab. «Die Kundschaft fragt auch im Winter nach Tomaten», hiess es zum Beispiel. Unklar war auch, ob sie es schaffen, ein Sortiment zusammenzustellen, das ihren Ansprüchen genügt – und denen der Kundinnen und Kunden. Nach vier Jahren ist nun klar: «Unser Bestreben nach einem möglichst konsequenten Sortiment hat sich ausgezahlt, wir haben Erfolg», sagt der 32-jährige Hinkelmann. Angaben zu Umsatz und Gewinn gibt es jedoch nicht.
Generell ist der Umsatz bei Bioläden nach dem Corona-Boom wieder aufs Niveau von 2019 gefallen. Während der Pandemie hatten sie riesigen Zulauf erhalten. Dieses Frühjahr war dann von der Krise der Branche die Rede, ausgelöst durch die Schliessung der Reformhauskette Müller. Die Zahl der Bioläden ist dieses Jahr laut dem Grossisten Bio Partner jedoch bislang stabil geblieben.
Die Verkaufsstrategie der Marktecke
Der Oltner Laden bietet nur vegane Produkte, er preist das aber nicht an. «Es ist uns wichtig, dass nicht der Verzicht im Vordergrund steht oder sich Leute vor den Kopf gestossen fühlen», sagt Jacqueline Bürgi vom Verkaufsteam. Sie nimmt sich bewusst Zeit für ein Gespräch mit den Kundinnen und Kunden, in dem sie die Eigenschaften und auch Hintergründe der einzelnen Produkte erklärt.
Kohl statt Tomaten im Winter
Von Bio Suisse gibt es auch im Winter Tomaten. Bei der führenden Bioorganisation der Schweiz und Eigentümerin des Knospe-Labels spielt der CO₂-Abdruck ebenfalls eine Rolle. Deswegen kommen die Wintertomaten aus Spanien statt aus der Schweiz. «Das ergibt eine bessere Klimabilanz als eine Tomate aus beheizten Schweizer Treibhäusern», sagt Bio-Suisse-Sprecher David Herrmann.
Auf eine noch viel bessere Klimabilanz ist die Marktecke aus: Sie bietet im Winter gar keine Tomaten an, sondern nur saisonales Gemüse aus der Region.
«Wir haben eine Auswahl von 18 einheimischen Gemüsesorten im Winter. Saisonale Küche ist alles andere als langweilig», sagt Hinkelmann. Palmkohl, Peterliwurzel oder Topinambur ersetzen die Sommergemüse.
«Jeder Laden muss für sich selbst entscheiden, wie er Biolebensmittel definieren will», sagt Andreas Lieberherr. Er ist Geschäftsführer von Bio Partner und beliefert rund 3000 Geschäftskunden in der Schweiz wie Läden und Gastrobetriebe. Es sei klar, dass über die gesetzlichen Biostandards hinaus noch härtere Kriterien angewendet werden könnten. «Jeder Bioladen kann sein Sortiment und seine Standards selbst bestimmen.»
Preisspagat
Wenn mehr Menschen auf klimafreundlichere Bioprodukte umschwenken sollen, ist der Preis wesentlich. «Für uns ist die Preisfestlegung ein Spagat: Wir wollen Produzenten fair bezahlen, aber auch, dass sich möglichst viele den Einkauf bei uns leisten können», sagt Hinkelmann.
Der Vorteil der Marktecke: Sie bezieht einen grossen Teil ihrer Ware von rund 50 Produzentinnen und Produzenten direkt. Das heisst, die Marge für den Grosshandel entfällt.
Die Preise variieren bei Bioprodukten enorm, wie das Beispiel einer Salatgurke zeigt: Die Marktecke verkauft sie zurzeit für 3 Franken (Label Demeter). Läden, die die Gurke (Label Knospe) beim Grossisten Bio Partner beziehen, erhalten für den Verkauf eine Preisempfehlung von 4.90 Franken (Knospe). Coop bietet sie für 2.90 Franken an (Knospe). Bei der Migros kostet sie rund 1.45 Franken (Knospe oder Bio).
Allerdings haben Coop und auch Migros viel grössere Abnahmemengen und dadurch eine enorme Verhandlungsmacht bei Produzenten.
Laut dem Ökonomen Mathias Binswanger und dem von ihm mitgegründeten Verein Faire Märkte Schweiz wollen Migros und Coop bei Bioprodukten die Zahlungsbereitschaft der typischen Ökokundschaft abschöpfen und schlagen überhöhte Vertriebsmargen drauf, wie ihre Analyse zeigt. Migros und Coop dementieren dies jedoch.
Die Labelfrage
Die Marktecke setzt nicht allein auf Bio- oder Fairtrade-Label. «Labels sind gerade bei längeren Lieferketten wertvoll, aber für Kleinstlieferantinnen und - lieferanten oft nicht finanzierbar», erklärt Schaffner.
«Auch für Produkte aus Europa sind faire Arbeitsbedingungen nicht selbstverständlich», sagt Bürgi. Auf europäischen Feldern arbeiten oft Flüchtlinge als Feldarbeiterinnen und Feldarbeiter unter prekären Bedingungen zu Tiefstlöhnen. Deshalb bietet die Marktecke schon jetzt Tomatensaucen aus Italien an, bei denen die sozialen Standards überprüft werden.
«Es gibt viele gute kleine Projekte auch für andere Lebensmittel», sagt Schaffner. Allerdings werden sie meist nicht über Grossisten vertrieben, und ein Laden muss den Kontakt selbst herstellen.
Sich nur auf gängige Labels zu verlassen, reicht nicht unbedingt: Bio Suisse etwa fordert von seinen rund 2000 Betrieben im Ausland zwar Löhne, die zumindest die allgemein anerkannten Lebenskosten in der jeweiligen Region decken. Nur in Risikogebieten wie Süditalien oder Spanien stützen sie sich auf die Kontrollen durch Drittfirmen. «Wir sind dabei, das zu ändern, und bilden Sozialauditorinnen und -auditoren aus, die genauer hinschauen werden», sagt Bio-Suisse-Sprecher Herrmann.
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