TribüneDie Welt steht Kopf …
Joël Perrin, Slam-Poet aus Männedorf, macht sich Gedanken zur Corona-Pandemie.

… und ich mit ihr: Ich habe in den letzten Tagen und Wochen den Handstand gelernt. Und mein Zimmer geputzt. Und mir vorgenommen, Spanisch zu lernen. Und dann doch kein Spanisch gelernt. Und mein Zimmer geputzt. Und dann doch mit Spanischlernen begonnen, vamos a la playa, bailando, bailando – Hauptsache, situationsbezogen, sage ich mir immer. Ah, und wenn mir langweilig wurde, putzte ich jeweils mein Zimmer. Im Handstand.
Im Handstand: Das Blut schiesst mir in den Kopf. Aktuell pendle ich für meine Stelle als Unterassistenzarzt nach Zürich; mein Alltag ist voller kleiner Amüsements. Da ist der ältere Herr, der um sieben Uhr morgens die S 7 zusammenbrüllt, da ich offensichtlich den Fehler gemacht habe, zu dicht hinter ihm den Zug zu betreten. Während der ganzen Fahrt wirft er mir böse Blicke zu, während er eine vom Sitz aufgelesene Gratiszeitung durchblättert und sich zwischenzeitlich die Finger mit der Zunge befeuchtet.
Im Handstand: Es beginnt in den Ohren zu pochen. Ebenfalls lustig sind jene Menschen, die so lange ermahnend hüstelnd die Ordnung der 2-Meter-Abstands-Schlangen aufrechtzuerhalten versuchen, bis sie sich selbst vorbeidrängeln müssen (äxgüsi), wobei sie (tschuldigungschnell) es irgendwie schaffen (pardon), mit allen möglichen und unmöglichen (numerasch) Körperteilen von allen sich absichtlich oder unabsichtlich in den Weg stellenden Menschen Kontakt zu haben (huppsala).
Im Handstand: Lichtblitze beginnen zu tanzen. Oder jene Menschen, welche die Schutzmaske bis knapp unter die Nase ziehen. Der zynische Anteil meines Medizinerhumors stellt sie zu denjenigen, die sich den Asthmaspray an den Hals sprühen oder wirklich glauben, auch nur ein einziger Mensch auf der Notfallstation würde ihnen die Geschichte abnehmen, dass sie sich auf einen langen oder zerbrochenen Gegenstand «gesetzt haben», den man ihnen aus dem Enddarm pulen muss.
Im Handstand: Ich komme wieder runter. Das habe ich auch gelernt, in den letzten Wochen.
Einige meiner Freunde haben den Handstand gelernt. Andere, wie man Schutzmasken anzieht. Oder wie man sich erfolgreich einreden kann, dass das Zimmer immer noch nicht sauber sei. Die Welt steht immer noch kopf – aber langsam, langsam richten wir uns als Gesellschaft wieder auf. Passen uns an. Und gehen weiter. Immer noch irgendwie ins Ungewisse, aber zumindest wieder mit etwas festem Boden unter den Füssen.
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