Kommentar zur TV-DebatteBiden blamiert sich – und Trump vergibt seine Chance
Die wahren Verlierer des ersten TV-Duells sind die Amerikanerinnen und Amerikaner. Fünf Erkenntnisse aus 90 denkwürdigen Minuten.
90 Minuten lang dauerte das Gruseln bei der ersten TV-Debatte im US-Präsidentschaftswahlkampf. Joe Biden verhaspelte sich ein ums andere Mal, Donald Trump wirkte ebenfalls nicht wie ein valabler Präsidentschaftskandidat, wenn auch aus anderen Gründen. Fünf Take-aways:
Joe Biden bestätigt Befürchtungen
Die Debatte war 10 Minuten jung, als Joe Biden Milliardäre und Billionäre verwechselte. Dann verhedderte sich der 81-Jährige in einem Satz über die Covid-Pandemie und sagte schliesslich: «Wir haben endlich Medicare besiegt» – das Gegenteil dessen, was er über die Gesundheitsversicherung für Senioren sagen wollte. Der Eindruck sollte sich 90 Minuten halten: Biden kann seine einst so guten Debattierkünste nicht mehr abrufen.
Der US-Präsident wollte Befürchtungen über sein hohes Alter zerstreuen. Er erreichte das Gegenteil. Seine Stimme klang zu kratzig, zu schwach, wiederholt musste er sich räuspern. Biden ratterte langfädige Antworten herunter, in undeutlicher Aussprache, gespickt mit zu vielen Zahlen.
Nun kann der Präsident noch versuchen, eine Erklärung für seine schlechte Leistung zu liefern. Seine Kampagne streute, er sei erkältet. Ob Biden sich noch einmal retten kann, ist jedoch zweifelhaft: Er wirkt nicht so, als wäre er dem Amt noch gewachsen. Donald Trump, 78 Jahre alt, erschien körperlich fitter. (Lesen Sie die Reaktionen zum TV-Duell: Bei Bidens Demokraten bricht Panik aus.)
Biden verpasste es, zu punkten
Trump hätte es Biden einfach gemacht, ein paar Punkte zu erzielen. Der Präsident versuchte, seinen Rivalen verächtlich anzuschauen, wenn der eine seiner über drei Dutzend Lügen auftischte – vergeblich, er wirkte mit seinem offenen Mund seltsam abwesend. Biden brachte kaum eine Replik ins Ziel, weil er nur einzelne der maximal zweiminütigen Antworten ohne Schwierigkeiten abschloss. Biden hat durchaus Argumente, aber er bringt sie nicht an die Leute.
Die Preisfrage: Gibt Biden auf?
«Niemals werde ich Joe Biden in den Rücken fallen», sagte Gavin Newsom nach der Debatte im Medienzentrum. Der Gouverneur von Kalifornien musste vor allem eine Frage beantworten: Falls Biden aufgibt – würde Newsom als Kandidat einspringen? Schon vor Monaten sei diese Frage hinfällig geworden, hatte der 56-Jährige vor der Debatte gesagt. Aber er tourt durch das Land, zeigte sich am Donnerstag als einer von wenigen Demokraten im Medienzentrum: Er baut sein nationales Profil auf. Auch Vizepräsidentin Kamala Harris wich bei CNN der Frage aus, ob sie ihren Chef beerben wolle.
Das alles ist zunächst mal Zeitgewinn. Weil fast alle Vorwahlen schon vorbei sind, können die Demokraten Biden als Kandidat nicht einfach ersetzen. Der Präsident müsste sich selbst aus dem Rennen nehmen, damit der Parteitag Mitte August eine andere Person nominieren könnte. Der Druck auf den Präsidenten dürfte in den nächsten Tagen stark steigen.
Trump kann sich nicht im Zaum halten
Trump hätte aus Bidens schlechter Leistung den grössten Nutzen gezogen, wenn er sich ruhig und überlegen verhalten hätte. In den ersten Minuten der Debatte schien ihm das zu gelingen. Doch als Bidens Versprecher sich häuften, machte sich Trump über seinen Kontrahenten lustig: «Ich weiss nicht wirklich, was er am Ende dieses Satzes sagte, und er weiss es wohl ebenso wenig.» Solche abschätzigen Bemerkungen schaden auch dem Republikaner.
Zudem liess sich Trump zu zahlreichen Lügen hinreissen. Unter anderem verteidigte er den Sturm auf das US-Capitol vom 6. Januar 2021.
Die Amerikaner sind die Verlierer des Abends
Nicht nur Trump log, auch Biden hielt sich nicht an die Fakten und zielte unter die Gürtellinie. Biden schimpfte Trump einen «Verlierer» und warf ihm vor, «die Moral einer streunenden Katze» zu haben. Damit löste er im Medienzentrum einen der wenigen Momente von Heiterkeit aus. Doch unter dem Strich kam keiner der beiden gut weg in dem persönlichen Schlagabtausch, auch nicht, als sie über ihre Golf-Handicaps stritten und einander vorwarfen, sich wie Kinder zu verhalten.
Zurück bleibt das Bild zweier unbeliebter Politiker – die Amerikaner haben nur die Wahl des kleineren Übels. Keiner der beiden hat eine überzeugende Vision davon präsentiert, wie die USA vorwärtszubringen wären. Das ist umso bedenklicher, als angesichts der Kriege im Osten Europas und im Nahen Osten sowie der sich zuspitzenden Konfrontation mit China eine starke Führung im Weissen Haus dringend nötig wäre.
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