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Analyse zur Tragödie am Ärmelkanal
Die unbrauchbaren Pläne der Johnson-Regierung

Eine Tragödie, die auch in Grossbritannien viele schockiert hat. Gräber von Migranten in Calais. 
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Grosse Erschütterung hat auch in Grossbritannien der Tod von 27 Bootsflüchtlingen am Mittwoch im Ärmelkanal hervorgerufen. Viele Britinnen und Briten hat diese bisher grösste Tragödie, wenige Meilen vor ihrer Küste, zutiefst schockiert. Die grösste Empörung seitens der britischen Regierung, vieler Tory-Politiker und der gesamten Rechtspresse der Insel gilt allerdings gar nicht den skrupellosen Schleppern, sondern den Nachbarn von jenseits des Kanals, die man für die politisch Verantwortlichen hält.

Premierminister Boris Johnson meinte, Paris habe einfach «nicht genug getan», um das Unglück zu verhindern. Stets sorgten die Franzosen für neue «Schwierigkeiten», wenn es Probleme zu lösen gebe, klagte Johnson – statt zum Beispiel Platz zu machen und britische Grenzschutzbeamte auf der französischen Seite des Kanals nach dem Rechten sehen zu lassen.

«Take back control» – ein Trugschluss

Auf der britischen Seite hat der verbale Schlagabtausch zusätzlich zur taktischen eine ideologische Qualität. Im Zuge des Austritts aus der EU hat die Garde der Brexit-Hardliner, die seit zwei Jahren die Regierung in London stellt, den Wählerinnen und Wählern nämlich feierlich versprochen, dass der Brexit es dem Vereinigten Königreich ermöglichen werde, wieder «Kontrolle über die eigenen Grenzen» auszuüben.

Dieses Versprechen vermag man nun offensichtlich nicht zu halten. Man kann nicht einmal mehr unliebsame Ankömmlinge nach Frankreich zurückschicken, weil man nicht mehr der EU angehört. Kein Wunder, dass Innenministerin Priti Patel sich jetzt mächtig unter Druck findet in den eigenen Reihen. Sie hatte immerhin, ebenfalls vor zwei Jahren, gelobt, dass sie die Kanalroute «unbefahrbar» machen werde.

Dabei liegt die Zahl der Asylanträge in Grossbritannien nicht einmal besonders hoch. Sie beträgt gerade mal ein Drittel der Zahl der Antragsteller in Frankreich. Nur kommen eben, teils wegen der inzwischen eingeführten Absicherung des Grenzübergangs von Calais und teils wegen Covid, seit 2018 kaum noch Flüchtlinge auf «traditionellem» Weg, also via Tunnel oder Fähre, nach Grossbritannien. Stattdessen wagen mehr und mehr den gefährlichen und sehr öffentlichen Trip in Kajaks, Nachen und Schlauchbooten über den Kanal. 25’700 waren es allein schon in diesem Jahr.

Ministerin Patel setzt auf verschärfte Abschreckungsmassnahmen.

Um den Betreffenden das enorme Risiko zu ersparen, haben britische Flüchtlingsverbände seit langem die Einrichtung «sicherer Verkehrskorridore» zwischen den beiden Ländern gefordert – britischer Asylprüfstellen auf französischem Territorium also, mit sicherem Transport nach England nach erfolgter Bewilligung. Ein solcher Vorschlag wird aber von der Regierung abgelehnt. Stattdessen setzt Ministerin Patel auf verschärfte Abschreckungsmassnahmen. Einem neuen Gesetz zufolge, das just durchs Parlament geht, sollen alle Bootsflüchtlinge künftig als «illegal» gelten, prinzipiell kein Recht auf Ansiedlung mehr haben und sogar mit Gefängnis bis zu vier Jahren bestraft werden können.

Zugleich hält Patel nach fernen Ländern oder abgelegenen Inseln Ausschau, auf die sie in Britannien angelandete Asylbewerber für die Dauer der Prüfung ihrer Anträge «auslagern» könnte. Und noch immer hält man im Innenministerium fest am Projekt des «Abdrängens» von Flüchtlingsbooten auf hoher See durch Wellenmaschinen und grössere Schiffe. Begreiflicherweise haben gegen diesen Plan aber mehrere Verbände rechtliche Schritte angekündigt.

Und Proteste hat auch ausgelöst, dass manche konservativen Abgeordneten jetzt wegen der Bootsflüchtlinge schon die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrem Land für ungültig erklären wollen. Für diese Politiker hat das Mitleid mit verzweifelten Asylbewerbern klare Grenzen. Ihnen kann der Ärmelkanal nicht breit genug sein.