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27 Tote im Ärmelkanal
Paris und London ringen um härteren Kurs gegen Schleuser

Drei Rettungsschiffe und zwei Helikopter sind m Ärmelkanal zum Einsatz gekommen.
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Nach dem Tod von mindestens 27 Menschen im Ärmelkanal gaben sich zunächst britische und französische Stellen gegenseitig die Schuld an der Katastrophe. Der britische Premierminister Boris Johnson mahnte zwar eine Zusammenarbeit an, zugleich forderte er aber Frankreich zu schärferen Kontrollen auf. Der Vorfall zeige, dass die bisherigen Massnahmen nicht ausreichten, um Migranten von der gefährlichen Überfahrt abzuhalten. Hingegen warf die Bürgermeisterin der französischen Küstenstadt Calais, Natacha Bouchart, Johnson Feigheit vor. Der Premier übernehme keine Verantwortung, sagte Bouchart.

Am Mittwoch war ein Boot mit 33 Migranten, die illegal nach Grossbritannien einreisen wollten, im Ärmelkanal gekentert. Dabei starben 27 Menschen, darunter fünf Frauen und ein Mädchen, wie die französischen Behörden mitteilten. Fünf mutmassliche Schleuser wurden festgenommen. Nach französischen Angaben war es der bisher schlimmste Vorfall mit Migranten in der Meeresenge. Innenminister Gérald Darmanin sagte, das gebrechliche Schlauchboot ähnele eher einem aufblasbaren Swimmingpool für den Garten. Der Ärmelkanal zwischen Dover und Calais gilt als die verkehrsreichste Schifffahrtsstrasse der Welt.

«Banden lassen sich nicht stoppen»

«Dies zeigt, dass die Banden, die Menschen in diesen gefährlichen Gefährten aufs Meer schicken, sich von nichts stoppen lassen», sagte Premier Johnson. Er bot an, die französischen Beamten bei den Kontrollen am Kanal zu unterstützen. In Nordfrankreich warten etliche Migranten und Migrantinnen unter widrigen Umständen auf eine Überfahrt nach Grossbritannien. Wenn den Schleusern nicht deutlich gemacht werde, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniere, würden sie weiterhin die Leben von Menschen aufs Spiel setzen und «mit Mord davonkommen», sagte Johnson.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron verwies auf die gemeinsamen Anstrengungen mit Grossbritannien, seit Jahresbeginn seien an der französischen Küste bereits 1552 Schleuser festgenommen und 44 Schleusernetzwerke zerschlagen worden. «Wenn wir nicht sofort unsere Anstrengungen verstärken, werden sich weitere Tragödien wiederholen.»

Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25’700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind mehr als dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Erst im Juli hatten London und Paris ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England kommen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62,7 Millionen Euro (ungefähr 66 Millionen Franken) zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.

Es sind vor allem drei Gründe, weshalb sich Migranten vom EU-Land Frankreich aus auf die gefährliche Überfahrt auf die Insel machen: Die Sprache, die Jobmöglichkeiten sowie die Tatsache, dass sie von Grossbritannien nicht in ein anderes EU-Land zurückgeschickt würden.

Gemeinsamer Ansatz aus Europa nötig

Der britische Innen-Staatssekretär Kevin Foster sagte am Donnerstag in der BBC, die Regierung sei entschlossen, das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler zu zerstören. Dazu sei ein gemeinsamer europäischer Ansatz nötig. «Wir sind bereit, Unterstützung auf dem Boden zu bieten. Wir sind bereit, Ressourcen zu bieten. Wir sind bereit, Personal zu schicken und den französischen Behörden zu helfen», sagte Foster. Johnson hatte zuvor noch bemerkt: «Ich verstehe die Schwierigkeiten, mit denen alle Länder konfrontiert sind, aber wir wollen jetzt mehr gemeinsam tun – und das ist unser Angebot.»

«Grossbritannien und Frankreich müssen zusammenarbeiten», sagte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin im RTL-Fernsehen. «Wir müssen aufhören die einzigen zu sein, die gegen Schleuser kämpfen.» Belgien, die Niederlande und Deutschland müssten stärker einbezogen werden und die Ermittlungen besser unterstützen. «Der Schleuser, den wir heute Nacht festgenommen haben, hatte deutsche Kennzeichen», sagte Darmanin. «Er hat diese Schlauchboote in Deutschland gekauft.»

Patel unter Druck

Kritik schlug Johnson aber auch im eigenen Land entgegen. Die menschenfeindliche Politik seiner konservativen Regierung sei für die Tragödie verantwortlich, betonten mehrere Politiker der oppositionellen Labour-Partei am Mittwochabend. Anstelle scharfer Asylgesetze müsse die Regierung humane und sichere Wege nach Grossbritannien bieten.

Vor allem die britische Innenministerin Priti Patel steht wegen der wachsenden Zahl an Migranten unter Druck. Konservative Kreise und Medien sprechen von einer «Krise». Allerdings ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Grossbritannien Asyl beantragen, deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Patel hatte angekündigt, die Überfahrten zu beenden. Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Noch aber hat Patel kein Mittel gefunden, die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Zuletzt kündigte sie erneut eine Verschärfung der Asylregeln an.

Am Mittwoch war das Wasser im Ärmelkanal recht ruhig, auch deshalb wagten nach Ansicht von Experten viele Migranten die Überfahrt. Der französische Innenminister Darmanian sagte, 255 Menschen hätten England erreicht, 671 seien noch in Frankreich gestoppt worden. In Frankreich seien 580 Polizisten an der Küste im Einsatz gewesen.

In einer früheren Version des Artikels war von 31 Toten die Rede. Das französische Innenministerium korrigierte die zuvor genannte Zahl später auf 27.