Tausende Afghanen vertriebenUNO will mehr Flüchtlinge in der Schweiz unterbringen
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hofft auf eine solidarische Geste des Bundesrats. Bislang vergeblich.

Der Appell des UNO-Flüchtlingshochkommissars erfolgte unter dem Eindruck der Bilder am Flughafen Kabul. Es brauche nun dringend mehr Plätze für das Resettlement, sagte Filippo Grandi mit Blick auf die Tausenden Afghaninnen und Afghanen, die ihr Land wegen der Machtübernahme der Taliban verlassen. Resettlement – Neuansiedlung – ermöglicht anerkannten Flüchtlingen, aus einem Erst-Zufluchtsland in ein Drittland zu reisen und dort ein neues Leben zu beginnen.
Abgesehen vom internationalen Aufruf versucht das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auch die Schweiz direkt zur Aufnahme zusätzlicher Resettlement-Flüchtlingen aus Afghanistan zu motivieren. «Das UNHCR würde es sehr begrüssen, wenn die Schweiz eine Erhöhung des bestehenden Resettlement-Kontingents von 1600 Flüchtlingen für die Jahre 2022 und 2023 prüfen würde», sagt Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein.
Justizministerin Karin Keller-Sutter hatte noch vor kurzem gesagt, das UNHCR müsse erst eine Bedarfsanalyse machen. Eine solche liegt nun vor: Mehr als 100’000 Afghaninnen und Afghanen benötigen laut dem UNHCR ein Resettlement. Die meisten von ihnen befinden sich in Pakistan, im Iran und in der Türkei.
«Eine solche Geste der Schweiz wäre ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Erstaufnahmeländern.»
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bleibt jedoch zurückhaltend. Auf Anfrage schreibt es, die Schweiz nehme bereits im laufenden Resettlement-Programm afghanische Flüchtlinge aus der Türkei auf. «Darüber hinaus ist bis anhin kein Gesuch des UNHCR eingegangen.»
Dazu hält das UNHCR wiederum fest, Staaten wie die Schweiz könnten auch ohne formelle Anfrage des UNHCR zügig darüber entscheiden, ob und wie viele Flüchtlinge sie aus Erstzufluchtsländern über die bestehenden Kontingente hinaus aufnehmen wollten.
Eine Aufnahme von Flüchtlingen aus diesen Ländern könne frühzeitig erfolgen, parallel zu den Bemühungen um humanitäre Hilfe in Afghanistan. «Eine solche Geste wäre ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Erstaufnahmeländern und kann deren Bereitschaft fördern, weitere Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen», sagt Anja Klug.
Bald Thema im Parlament
Ob die Schweiz mehr Resettlement-Flüchtlinge aufnehmen sollte, steht demnächst auch im Parlament zur Diskussion: Der Nationalrat wird sich am 22. September mit der Frage befassen, im Rahmen der Frontex-Vorlage über eine stärkere Beteiligung der Schweiz am Schutz der EU-Aussengrenzen. Die Linke beantragt, als Ausgleich die Resettlement-Quote für die Jahre 2022 und 2023 zu erhöhen. Im Ständerat war – noch vor den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan – ein Antrag für eine Erhöhung nur knapp gescheitert.
Daneben wird sich das Parlament in der Herbstsession mit der Frage befassen, ob das Botschaftsasyl wieder eingeführt werden sollte. Dies fordert der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats wiederum hat vor kurzem eine Motion zur humanitären Hilfe in Afghanistan beschlossen.
Sie fordert, dass der Bundesrat seine Bemühungen für Stabilität in der Region und zur Stärkung der Menschenrechte intensiviert. Weiter soll er dem Parlament, falls nötig, einen Nachtragskredit für die humanitäre Hilfe in Afghanistan unterbreiten. Diese ist laut UN-Hochkommissar Filippo Grandi unterfinanziert. Auf EU-Ebene sind ebenfalls Bestrebungen im Gang: Noch im September soll ein hochrangiges Forum zur Diskussion von Resettlement-Lösungen für afghanische Flüchtlinge stattfinden.
Die Schweizer Flüchtlingshilfe bezeichnet die aktuelle Zurückhaltung der Schweiz gegenüber der Aufnahme afghanischer Flüchtlinge als «nicht nachvollziehbar». Der Bundesrat solle nach Rücksprache mit den Kantonen nun umgehend die zusätzliche Aufnahme von möglichst vielen Resettlement-Flüchtlingen beschliessen.
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