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Juristische Trendwende
Maudet, Kurz und Sarkozy: Die neue Angriffslust der Strafjustiz

Der abgewählte Genfer Staatsrat Pierre Maudet warf einer Richterin vor, die Aufgaben eines Staatsrats nicht verstanden zu haben. 
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Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Staatsanwälte als verlängerter Arm von Regierungen fühlten. Die Strafjustiz in der Schweiz und ihren Nachbarländern ist autonomer geworden. Resistenter auch gegen (partei-)politische Einflussnahmen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, auch wenn Artikel 4 der Schweizer Strafprozessordnung genau das verlangt. Da steht: «Die Strafbehörden sind in der Rechtsanwendung unabhängig und allein dem Recht verpflichtet.»

Die neue Angriffslust der Strafjustiz spüren gerade Spitzenpolitiker. Der abgewählte Genfer Staatsrat Pierre Maudet wehrt sich diese Woche vor Gericht erneut gegen eine Verurteilung wegen Vorteilsannahme. Staatsanwalt Stéphane Grodecki wirft ihm vor, er habe sich 2015 korrumpieren lassen, weil Genfer Immobilienunternehmer ihm und seiner Familie eine Luxusreise nach Abu Dhabi organisierten, die das Königshaus des Emirats bezahlte.

Sieht sich als Justizopfer: Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy.

Schon länger Ärger mit der Justiz hat Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Vor wenigen Tagen wurde er wegen illegaler Wahlkampffinanzierung zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Für Sarkozy war es die zweite Verurteilung in diesem Jahr. Im März kam ein Gericht zum Schluss, dass Sarkozy 2014 versucht hatte, einen Richter zu bestechen.

Die österreichische Staatsanwaltschaft wiederum provozierte diese Woche den Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Sie ermittelt wegen Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung gegen Kurz und wirft ihm vor, 2016 geschönte Umfragen und mit Steuergeld bei Medien wohlmeinende Berichterstattung erkauft zu haben.

Der Österreicher Sebastian Kurz pocht bei seinem Rücktritt als Bundeskanzler auf seine Unschuld.

Von der Justiz bedrängt und in ihrer Machtsphäre gestört, reagieren die drei Regenten Maudet, Sarkozy und Kurz ähnlich. Alle versuchen, die Justiz zu diskreditieren. Maudet warf diese Woche der Richterin der ersten Instanz vor, die Aufgaben eines Staatsrats schlicht nicht verstanden zu haben. Ein Regierungsrat erhalte täglich Einladungen und nutze sie auch, zum Wohl des Staats und ohne korrupt zu sein, so Maudet. In Nicolas Sarkozys Leseart wiederum hat es die französische Justiz auf ihn persönlich abgesehen und wird aus politischen Motiven gegen ihn intrigiert. Kurz seinerseits bezeichnete die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als «falsch» und versprach, er werde das auch aufklären können.

Solche Attacken helfen selten. Sie sind eher Zeichen zunehmender Verzweiflung beim Versuch, die Macht zu erhalten. Zu dieser Entwicklung haben auch Whistleblower und die Medien beitragen. Die Enthüllungen von Wikileaks und die Panama, Paradise und Pandora Papers haben auch Politiker in Erklärungsnot gebracht. Gerade in mitteleuropäischen Staaten erwartet die Bevölkerung heute, dass die Staatsanwaltschaft Fehlbare zur Rechenschaft zieht.

Zögerlicher Kulturwandel

«Das Volk erwartet Transparenz», sagte der Genfer Staatsanwalt Stéphane Grodecki diese Woche über seine Arbeit. In den 1990er-Jahren war die Kultur noch eine andere. 1995 traten Jacques Chirac und Edouard Balladur bei den Präsidentschaftswahlen gegeneinander an. 2010 enthüllte die Zeitung «Le Monde», dass Frankreichs Verfassungsrat von Unregelmässigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung wusste, der Affäre aber nicht nachging.

Trotz des Kulturwandels: Noch sind in der Schweiz nicht alle Staatsanwaltschaften bereit, Affären um Politiker vollständig aufzuklären. So blieben etwa die Politikerreisen der nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) letztes Jahr ohne juristische Konsequenzen. Wenn es kein Korruptionsversuch gewesen sei, so sei es «sehr nahe dran», konstatierte SP-Nationalrat Roger Nordmann damals.

In einer ersten Fassung enthielt dieser Artikel auch eine kurze Passage zu Alt-SVP-Nationalrat Christian Miesch und Ex-Botschafter Thomas Borer.

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