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Thomas Zurbuchen im Interview
«Die Schweiz hat in der Weltraum-Industrie wirklich viel zu bieten»

Bis Ende des vergangenen Jahres führte Thomas Zurbuchen bei der Nasa 8000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
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Herr Zurbuchen, wie hat die Nasa auf ihren neuen Job bei der ETH Zürich reagiert?

Meine Kollegen haben es sehr positiv aufgenommen. Bei der Nasa verstehen alle, dass Forschung international ist und dass es der ganzen wissenschaftlichen Gemeinschaft hilft, wenn ich eine Stelle in Europa antrete.

Bei der Nasa waren Sie noch bis vor Kurzem für ein Jahresbudget von über 7,6 Milliarden Dollar und 8000 Mitarbeitende verantwortlich, bei der ETH Zürich wird es nur ein Bruchteil sein. Ein Rückschritt?

Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich mein Engagement nach dem Geld bewertet, das mir zur Verfügung stand. Meine Arbeit an der ETH wird anders sein als diejenige bei der Nasa: Es wird mehr um Einfluss gehen als darum, selber Geld auszugeben. Ich werde versuchen, es so gut wie möglich zu machen. Die grosse Frage sind nicht die Mittel, sondern, wie erfolgreich ich in der Schweiz sein kann. Schliesslich habe ich meine ganze wissenschaftliche Karriere in Amerika gemacht.

Sie haben angekündigt, in der Schweiz Weltraummissionen zu entwickeln, die Geschichte schreiben werden. Was müssen wir uns darunter vorstellen: Schweizer Raumschiffe in fremden Galaxien?

Es gab schon sehr erfolgreiche Schweizer Missionen, etwa die Rosetta-Mission der Uni Bern zur Erforschung des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko oder die Insight-Mission der ETH-Zürich auf dem Mars. Künftig werden weitere dazukommen, wie die Lisa-Mission der ESA, bei der es darum geht, das Universum zu beobachten, indem man Wellen aus dem Gravitationsfeld der Sterne oder der Schwarzen Löcher misst. Die Schweizer Beteiligung ist dabei nicht nur wissenschaftlich, sondern auch industriell. Dass nicht nur Studierende den Weltraum erforschen, sondern auch Firmen mithelfen.

In einem Wachstumsmarkt?

Ja, die Industrie wächst weltweit unglaublich schnell. Nicht nur immer mehr Länder wollen den Weltraum erobern, sondern auch immer mehr Firmen wie Blue Origin, Spacex oder wie sie alle heissen. Weltweit geht man davon aus, dass die Weltraumindustrie in den nächsten 20 Jahren um den Faktor drei wachsen wird. Gut, dass die Schweiz da mitmischt.

Wo sehen Sie die Rolle der Schweizer Industrie: als Zulieferin von Nasa, ESA, Jeff Bezos und Elon Musk?

Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, in der Schweiz Raketen zu starten. Dazu ist das Land zu klein, und die Meeresküste fehlt. In der Nachbarschaft Raketen zu starten, würde ich auch niemandem anraten, denn es ist nicht gut für die Gesundheit und für die Umwelt. In einigen Bereichen aber kann die Schweiz eine führende Rolle einnehmen. Sie hat in der Weltraumindustrie wirklich viel zu bieten – auch als Zulieferer, was überhaupt keine Schande ist.

Wo zum Beispiel?

Etwa beim Bau von Satelliten- oder Kommunikationssystemen. Auch die Zeitmessung im All ist enorm wichtig. Für das Galileo-Projekt werden die besten Uhren in der Schweiz gebaut. Die sind kleiner und damit besser als jene, die zurzeit den USA zur Verfügung stehen. Da ist die Schweiz bereits weit voraus und kann ihre Führungsposition weiter ausbauen.

Bei den Uhren wird das langsam schwierig, da ist die Schweiz schon länger top.

Es hört aber nicht mit den Uhren auf. Wann immer es darum geht, anspruchsvolle technische Komponenten nicht nur theoretisch zu entwickeln, sondern auch technisch zu bauen, haben die Schweizer einen Vorteil. Maxon in Obwalden zum Beispiel baut die besten Elektromotoren im Raum. Beyond Gravity, die Weltraumsparte der Ruag, stellt Verkleidungen für Raketen her, die die Amazon-Satelliten ins Weltall schiessen. Wohin man auch schaut, überall sieht man solche Beispiele.

«Es ist wie mit den Holzscheiten im Cheminée: Wenn weitere dazukommen, gibt es ein grösseres Feuer.»

Sie wollen dazu beitragen, dass mehr Firmen in den Wachstumsmarkt im All vorstossen?

Ja. Es ist wie mit den Holzscheiten im Cheminée: Wenn weitere dazukommen, gibt es ein grösseres Feuer. Hoffentlich wird das in den nächsten paar Jahren geschehen. Das muss organisch wachsen. Es gibt bereits Firmen, die es unglaublich gut machen. In zwei Jahren werden es mit Sicherheit noch mehr sein.

Dank staatlichen Forschungsgeldern oder privaten Investoren?

Es braucht beides. Wichtig ist, dass man das sieht und Investoren motiviert. Damit sich Leute, die zum Beispiel ein Start-up gründen und kommerzielle Satelliten herstellen wollen, bewusst sind, dass sie diese auch in der Schweiz bauen lassen können. Das können auch ausländische Niederlassungen von Schweizer Unternehmen sein. Das heisst nicht, dass man nur in der Schweiz produzieren muss.

Wie wird künstliche Intelligenz die Raumfahrt verändern?

Ich gehe davon aus, dass sie den Bau autonomer Satelliten ermöglichen wird, die selber Entscheidungen treffen, ohne dass ihnen jemand von der Erde aus helfen müsste. Ausserdem wird sie aus der Fülle der Daten, welche die momentan mehr als 250 Satelliten in der Erdumlaufbahn sammeln, jene herausfiltern, die der Menschheit wirklich helfen. Bisher kannten wir künstliche Intelligenz im All nur in Ansätzen.

Woran denken Sie?

Zum Beispiel an den Rover Perseverance, der im Moment auf dem Mars rumfährt und als Erster selber Entscheidungen trifft. Er fährt eigenständig, ohne dass wir ihm wie früher sagen müssen: Geh zu dem Stein und warte. Das wird in Zukunft noch viel, viel besser. Generell glaube ich, dass künstliche Intelligenz die nächste grosse Revolution sein wird, die unser Leben genauso verändern wird, wie es das Internet getan hat.

«Wenn wir es richtig machen, sind wir schneller als alle Regierungen.»

Kann Europa im Wettlauf im All die USA einholen?

Teils ist das schon der Fall. Bei Trägerraketen sind zwar die USA zuvorderst, gefolgt von China, das hier – wie überall – am Aufholen ist. Bei erdwissenschaftlichen Satelliten aber gibt es Bereiche, in denen Europa schon voraus ist. Dafür hat Europa kein eigenes Astronautensystem. Dort sind die USA die Nummer 1, China ist Nummer 2, Russland Nummer 3, erst dann kommt Europa.

Russland liegt an dritter Stelle?

Die russische Weltraumindustrie stagniert und droht abgehängt zu werden. Russland blickt auf eine unglaublich stolze Geschichte zurück. Sie haben gute Leute und robuste Systeme. Tatsache ist aber, dass das Budget der russischen Weltraumbehörde Roskosmos fast jedes Jahr gesenkt wurde. Alle anderen Budgets sind gestiegen, jenes von China massiv.

Wie lange, glauben Sie, wird es gehen, bis China im All den Westen überholt hat?

Ich hoffe, dass das nie passieren wird. Das beste Mittel dagegen ist, dass wir schneller Fortschritte machen, als die Chinesen ihren Rückstand aufholen. Auch deshalb macht die Zusammenarbeit mit kommerziellen Unternehmen Sinn. Sie reagieren schneller als staatliche.

Der Staat ist schwerfälliger?

Ja, sehr oft. Ein Grund, warum ich bei der Nasa oft mit Firmen zusammengearbeitet habe, ist die Konkurrenzfähigkeit. Wenn ich das tue, bin ich viel schneller als alle anderen und kann in zwei Jahren Satelliten bauen, nicht in sechs. Spacex kann zweimal wöchentlich eine Rakete starten – eine Verbindung ins All, wie die Fahrt mit dem Zug von Zürich nach Bern. Das kann sonst niemand. Deshalb glaube ich nicht, dass wir eingeholt werden. Wenn wir es richtig machen, sind wir schneller als alle Regierungen.

«Die Zeit bei der Nasa war spektakulär spannend. Eine der besten Zeiten meines Lebens.»

Ihr neuer Arbeitgeber ETH ist keine Privatfirma.

Ich habe bei der Nasa gearbeitet und aus dieser Position heraus Firmenbereiche im Gesamtwert von schätzungsweise 10 Milliarden Dollar entstehen lassen. Wir haben Dienstleistungen bei der Industrie eingekauft, was diese wachsen liess. Obwohl ich bei einer langsameren Organisation war, habe ich die Schnellen losgelassen. So sehe ich auch die Lösung für die Schweiz: Staatliche Stellen spannen mit kommerziellen zusammen, damit es schneller geht. Universitäten sind unglaublich wichtig. Wenn es um Innovation geht, spielen drei Dinge eine Rolle: erstens gute Ideen, zweitens gute Leute und drittens das Geld. Und die guten Leute sind um die Ausbildungsstätten herum.

Mit Ihrem Studium an der Uni Bern sind Sie der beste Beweis dafür, dass die Schweizer Universitäten nicht so schlecht sind.

Absolut, und ich habe eine der besten Ausbildungen von all meinen Kollegen bekommen. In Bern habe ich gelernt, Instrumente zu bauen. Auf der ganzen Welt gibt es nur sehr wenige Universitäten, die das lehren. Dass ich die ganze Ausbildung hatte, ist ein unglaubliches Geschenk.

Eines, das Sie an die Spitze der Nasa gebracht hat. Seit fünf Monaten schauen Sie von aussen zu. Was sehen Sie?

Dass vieles von dem, was ich vorbereitet habe, weitergeht. Der grösste Teil des Teams ist immer noch dort, eine meiner Angestellten hat mich als Chefin ersetzt. Von aussen zuzuschauen, ist viel entspannter, weil ein Teil der Kämpfe nicht sichtbar ist. Es ist wie eine Ente: Sie sieht ruhig aus, unter der Oberfläche aber paddeln ihre Füsse wie wild. Wenn man eine grosse Organisation leitet, ist es ähnlich: Alles sieht ruhig aus, es gibt aber viele Probleme. Trotzdem schaue ich mit einer gewissen Wehmut zurück, denn die Zeit bei der Nasa war spektakulär spannend. Eine der besten Zeiten meines Lebens.

Warum haben Sie die Nasa verlassen?

Wenn man eine Organisation übernimmt, bei der man von der Regierung angestellt wird, sollte man immer daran denken, dass die Organisation, die man leitet, viel wichtiger ist, als man es selber ist. Man soll sich jeden Tag fragen: Bin ich die richtige Person für den Job? Für mich lautete die Frage: Werde ich besser? Lerne ich dazu?

War das nicht mehr der Fall?

Ich hatte das Gefühl, flacher zu werden. Immerhin war ich sechs Jahre lang wissenschaftlicher Direktor, länger als all meine Vorgänger.

«Ab und zu greife ich beim Zählen auf Berndeutsch zurück, aber die meisten mathematischen Aufgaben löse ich auf Englisch.»

Sie ziehen mit Ihrer Frau zurück in die Schweiz. Kommen die Kinder mit?

Nein, nur Hündin Luna. Die Kinder studieren an US-Universitäten. Sohn Lukas wird den ganzen Sommer lang da sein, da er zufällig im Rahmen seines Studiums bei einem Schweizer Start-up arbeitet. Tochter Maria kommt im Herbst zu Besuch.

Werden Sie in Heiligenschwendi im Berner Oberland wohnen, wo Sie aufgewachsen sind?

Nein, in Zürich, weil ich nicht täglich Zeit mit Zugfahren vergeuden will. Sicher werde ich den Zug immer wieder benützen, um mit der Uni Bern und den anderen Hochschulen zusammenzuarbeiten. Mit dem Rektor habe ich schon telefoniert.

Haben Sie noch Familie im Berner Oberland?

Ja, ein Bruder und eine Schwester leben noch dort. Mein Götti wohnt in der Nähe von Luzern. Dazu kommen viele Freunde in der ganzen Schweiz. Ich freue mich unglaublich, sie wiederzusehen und mehr Zeit mit ihnen zu verbringen.

Sie haben Ihre Ausbildung gewinnbringend eingesetzt und kommen jetzt wieder zurück. Schliesst sich der Kreis?

Für mich geht es um etwas anderes: Wo kann ich in der Schweiz etwas Positives bewirken? Ich bin immer ein Schweizer gewesen, wo auch immer ich war, es braucht sich kein Kreis zu schliessen. Ich habe mich nie versteckt. Ich habe unglaublich viel von der Schweiz bekommen, aber auch von Amerika.

Was sind Sie mehr – Schweizer oder Amerikaner?

(denkt lange nach) Es kommt darauf an, wann man mich fragt. Meine ganze Karriere habe ich in Amerika gemacht, meine ganze Ausbildung in der Schweiz. Gelebt habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens in Amerika.

Also sind Sie beides?

Ja, ich bin beides – und beides nicht.

In welcher Sprache rechnen Sie?

Ehrlich gesagt, weiss ich es gar nicht so recht. Ab und zu greife ich beim Zählen auf Berndeutsch zurück, aber die meisten mathematischen Aufgaben löse ich auf Englisch. Wenn ich Enten zähle, dann auf Berndeutsch, wenn es aber um eine quadratische Gleichung geht, ist es für mich auf Englisch einfacher.

Und wie denken Sie?

Ich denke natürlich auf Englisch. Es gibt aber ganze Bereiche, wo mir die Wörter fehlen. Ich kann mich erinnern, als wir Kinder bekamen: Da wusste ich zum Beispiel nicht, was Nuggi heisst. Denn das habe ich in der Schule nie gelernt. Es gibt immer noch Dinge, die ich nicht auf Englisch benennen kann, nur auf Schweizerdeutsch. Und umgekehrt. Das Problem ist, dass ich das erst merke, wenn ich darüber sprechen will. Plötzlich kommt kein Wort heraus.