Leitartikel zum JagdgesetzDie Politiker haben einen kapitalen Bock geschossen
Das neue Jagdgesetz schwächt den Artenschutz, statt ihn zu stärken. Das Parlament muss über die Bücher.

Es wäre falsch, den Wolf zu verteufeln. Ihn zu verherrlichen, ebenso. Der Wolf ist ein Grossraubtier. Eine Gesellschaft sollte so pragmatisch wie möglich mit ihm umgehen; nur so ist ein Zusammenleben auf Dauer möglich.
Genau dieser nüchterne Geist fehlt jedoch dem revidierten Jagdgesetz, das am 27. September zur Abstimmung kommt. Die schlechte Arbeit der Politiker zeigt sich exemplarisch bei der Bestandsregulierung. Heute sind Abschüsse nur erlaubt, wenn der Wolf grossen Schaden angerichtet hat oder Menschen erheblich gefährdet. Neu dürfen Wölfe bereits präventiv aus einem problematischen Rudel geschossen werden, um Schäden an Schafen und Ziegen zu verhindern. Die Kantone müssen den Bund dazu nur noch anhören, eine Zustimmung wie heute brauchen sie nicht mehr.
Zwar dürfen solche Regulierungen gemäss Gesetz den Bestand der Population nicht gefährden. Doch was beruhigend klingt, führt zu einem weiteren Schwachpunkt des neuen Gesetzes: Die Kantone können den Wolfsbestand in ihren jeweiligen Gebieten faktisch eigenständig steuern. Wildtiere wie der Wolf indes kennen keine Kantonsgrenzen.
Der Föderalismus wird hier zum ökologischen Risiko.
So sehr der Föderalismus anderswo seine Berechtigung hat: In diesem Fall wird er zum ökologischen Risiko. Dies gilt umso mehr, als es für kantonale Behörden schwieriger ist als für eine Bundesstelle in Bern, standhaft zu bleiben, wenn die lokale Bevölkerung oder Jäger auf einen unberechtigten Abschuss drängen – man kennt sich, gerade in den Bergkantonen.
Nicht zufällig ist Artenschutz laut Verfassung eine Bundesaufgabe. Der Bund muss sicherstellen, dass Wildtiere wie Wölfe als funktionierende Gemeinschaft überleben und auch regional nicht ausgerottet werden. So hatte es der Bundesrat noch 2012 angemahnt; nun scheint es ihm nicht mehr wichtig: Er steht, wie die Mehrheit des Parlaments, hinter dem überarbeiteten Jagdgesetz (alle Artikel zur Vorlage).
Das neue Gesetz ist nicht nur für den Wolf eine Gefahr. Auch andere geschützte Tiere wie der Luchs können auf der Liste der regulierbaren Arten landen. Dass dafür «sachliche Gründe» vorliegen müssen, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil, der schwammige Begriff – er ist nur einer von vielen im neuen Gesetz – ermöglicht willkürliche Entscheide.
Ein Nein zum Gesetz ist kein Nein zur Jagd auf den Wolf.
Wenn nun der Bundesrat beteuert, es gebe keinen Anlass, andere Tiere auf die Liste zu nehmen, so mag das für den Moment zutreffen. Die Geschichte dieses Gesetzes lässt jedoch Böses erahnen: Das Parlament hat erst davon abgesehen, weitere Tiere wie etwa den Biber ins Visier zu nehmen, nachdem die Umweltverbände mit dem Referendum gegen die Vorlage gedroht hatten. Nach der Abstimmung dürfte deshalb der Druck auf den Bundesrat, die Liste zu erweitern, eher früher als später wieder wachsen.
Man muss kein militanter Jagdgegner oder urbaner Naturromantiker sein, um die Revision guten Gewissens ablehnen zu können. Ein Nein in vier Wochen ist kein Nein zur Jagd auf den Wolf. Mit Recht stellt sich die Frage, ob ein Wolf in Zukunft weniger Nutztiere als heute reissen darf, bis ein Abschuss möglich wird. Die gegenwärtige Lage ist nicht mehr vergleichbar mit 1986, der Zeit der letzten Revision. Inzwischen leben wieder rund 100 Wölfe im Land, das Konfliktpotenzial ist gewachsen.
Im Grundsatz muss aber weiterhin gelten: Für einen Abschuss muss der Wolf vorgängig Schaden angerichtet haben; hier müsste eine Neuauflage der Revision ansetzen.
Ein Nein zum Gesetz eröffnet schliesslich die Chance, eine adäquate Antwort auf die schwindende Biodiversität in der Schweiz zu geben. Bedrohte Arten wie der Feldhase oder das Schneehuhn müssen endlich unter Schutz gestellt werden. Unbestrittene Elemente der aktuellen Vorlage, zum Beispiel die Förderung von Wildtierkorridoren, sollen bestehen bleiben. Alle anderen brauchen eine Überarbeitung. Oberstes Ziel muss es sein, den Schutz wildlebender Tiere zu stärken – nicht zu schwächen.
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