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Konservative verlieren 
Die Partei spürt die Folgen von Boris Johnsons Ignoranz 

Stimmungstest eher schlecht als recht bestanden: Premier Boris Johnson bei der Stimmabgabe in London.  
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Wandsworth ist ein Bezirk in London, es gibt ein paar durchaus Instagram-taugliche Strassen dort, aber auch ein berüchtigtes Gefängnis, in dem Boris Becker gerade seine Haftstrafe angetreten hat. Ausserdem steht in der örtlichen High Street ein schönes, altenglisches Council-Gebäude mit teilweise rotem Backstein und blühenden Blumen vor den Fenstern, drinnen regierten in den vergangenen 44 Jahren die Tories. Wandsworth im ansonsten Labour-dominierten Londoner Südwesten ist für die Konservativen «das Juwel in der Krone», wie es Margaret Thatcher einmal formuliert hat. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist das Juwel der Partei weggebrochen. Die Tories haben Wandsworth in den Lokalwahlen an Labour verloren.

Der Londoner Labour-Bürgermeister Sadiq Khan war in Wandsworth auf der Wahlparty, es gibt jetzt viele Fotos von ihm, wie er jubelt und freudig Menschen umarmt. Der Sieg in Wandsworth hat symbolische Bedeutung, zumal Labour ja auch in anderen langjährigen konservativen Councils in London gewann, in Westminster zum Beispiel, oder auch in Barnet.

Von Skandal zu Skandal

Die Abstimmung am Donnerstag galt als erster Stimmungstest seit der Affäre um illegale Lockdown-Partys im Londoner Regierungssitz Downing Street und weitere Skandale der Konservativen Partei. Ravi Govindia, der in Wandsworth in den vergangenen elf Jahren den Gemeinderat für die Konservativen leitete, sagte in einem Fernsehinterview, er habe in den vergangenen Tagen oft gehört, warum die Leute hier nicht mehr die Tories wählen wollten: wegen der Partygate-Sache, wegen des Umgangs der Regierung mit den steigenden Lebenshaltungskosten. Sogar die Geschichte von Neil Parish, dem Tory-Abgeordneten, der Pornos im Parlament schaute, «kam öfter vor», sagte Govindia. Die Regierungspartei stolperte in den vergangenen Monaten von Skandal zu Skandal, und jetzt, am Tag nach den Wahlen, ist die Frage, wie lange sie noch weiterlaufen kann.

Auch jenseits von London verloren die Konservativen viele Sitze in den Councils, bisher steht der Zähler bei einem Minus von mindestens 182 für Boris Johnsons Partei. Der Premier selbst war am Freitag in einer Vorschule in Ruislip, seinem eigenen Wahlkreis. In den Fernsehinterviews dort sagte er in etwa, was er zuletzt oft sagte: Er werde weiterhin «an den Themen arbeiten, auf die es ankommt», und es sei insbesondere in Bezug auf die Energieversorgung viel nachzuholen, was «die vorhergehenden Regierungen versäumt haben». Wobei nicht ganz klar ist, wen Johnson damit genau meinte: Seine Partei regiert das Land schliesslich seit zwölf Jahren.

Labour hat die meisten Bezirke in London gewonnen: Parteichef Keir Starmer im Parlament. 

Die Ergebnisse der Lokalwahlen sind für die Konservativen zwar nicht so verheerend ausgefallen, wie es einige Medien vorhergesagt hatten. Es drohe Johnsons Partei das «schlechteste Ergebnis seit Generationen», schrieb etwa der «Telegraph» Anfang Woche: Mit einem Verlust von bis zu 550 Sitzen müssten die Konservativen rechnen. Realistisch war das nie, viele der zur Wahl stehenden Council-Sitze waren bereits seit Jahren fest in Händen von Labour. Am Freitag nun, da feststeht, dass die Konservativen in England etwa 180 Sitze verloren haben, schrieb der «Telegraph»: «Nur bescheidene Gewinne für Labour».

Der Schaden hätte tatsächlich grösser sein können. Bedenkt man aber, wie schlecht die Oppositionsparteien bei den Wahlen in den vergangenen Jahren abschnitten, dürfte selbst PR-Profi Johnson Mühe haben, die Wähler davon zu überzeugen, dass alles gut ist. Denn das Resultat ist schlecht genug, dass zumindest ein Trend erkennbar war: Manche Wähler entschieden sich, wenn nicht für Labour, dann doch gegen die Tories. Labour hat die meisten Bezirke in London gewonnen, womit die Hauptstadt, wie es der Umfrage-Experte John Curtice ausdrückte, «de facto zu einer Ein-Parteien-Stadt wird».

Die Liberaldemokraten gewannen in England mehr neue Sitze hinzu als alle anderen Parteien.

Landesweit hat die Labour-Partei von Keir Starmer den grössten nationalen Stimmenvorsprung auf die Konservativen seit 2012 geschafft. Allerdings ist das Ergebnis etwas das gleiche wie 2018, als Starmers unpopulärer Vorgänger Jeremy Corbyn Parteichef war. Ausserhalb Londons verbesserte sich die Partei kaum, und davon profitierten die Liberaldemokraten und die Grünen. Die Liberaldemokraten gewannen in England gar mehr neue Sitze hinzu als alle anderen Parteien.

Die Lokalwahlen haben keine Auswirkung auf die Regierungsbildung, aber sie sind für die Parteien eine Zwischenbilanz. Ist Johnson als Premier noch haltbar? Und ist Labour auf dem Weg, die Tories als Regierungspartei abzulösen? Das sind die beiden Fragen, um die es bei der Interpretation der Zwischenbilanz geht. Noch ist die Antwort offen.

Richtungswahl in Nordirland

Gewählt wurde auch in Schottland, Wales und Nordirland, dort allerdings begannen die Auszählungen erst am Freitagvormittag, Ergebnisse werden für Samstag erwartet. In Nordirland wurde ein neues Regionalparlament gewählt, und wenn der Trend der Umfragen sich bestätigt, dann dürfte dort Sinn Féin erstmals zur stärksten Partei erklärt werden. Sinn Féin war einst der politische Arm der militanten IRA, die Partei hat sich zuletzt klar zu ihrem Hauptziel positioniert: ein vereintes Irland.

In Nordirland zweifelt niemand daran, dass Sinn Féins Erfolg auch mit Johnsons Ignoranz zu tun hat, wenn er fortwährend behauptet, der Brexit sei dank ihm erledigt, obwohl es jetzt eine De-facto-Grenze zwischen Nordirland und Grossbritannien gibt.