Wahlen in GrossbritannienTories befürchten Abstrafung wegen Boris Johnson
Obwohl in England, Wales und Schottland nur Kommunalwahlen stattfinden – es geht auch um die Zukunft des britischen Premiers.
Gespannt sieht man in Grossbritannien den landesweiten Kommunalwahlen an diesem Donnerstag entgegen, die so etwas wie Midterm-Wahlen sind auf der Insel – also ein wichtiger Popularitätstest für Regierung und Opposition. Neu gewählt werden sämtliche Gemeinderäte in London, Wales und Schottland sowie Teile englischer Ratsversammlungen überall im Land.
Zentrale Frage ist, ob die britischen Wähler beginnen, sich von Boris Johnson und seiner Tory-Partei abzusetzen. Und ob es Anzeichen dafür gibt, dass Labour, Liberaldemokraten und Grüne im Kommen sind. Konservative Kandidaten, die in den letzten Wochen an viele Türen geklopft haben, warnen jedenfalls, dass die «Boris-Magie» ihre frühere Kraft in der Wählerschaft einzubüssen droht.
Unter den bürgerlichen Wählern im englischen Süden, der alten Tory-Stammwählerschaft, haben nicht zuletzt die Lockdown-Partys in Downing Street, Johnsons offenkundiges Geflunker im Parlament und die Ziellosigkeit der Regierung schweren Schaden angerichtet in letzter Zeit. (Lesen Sie zum Thema die Artikel «Knapp 80 Prozent der Briten halten Johnson für Lügner» und «Partygate holt Boris Johnson immer wieder ein».)
Neue Tory-Wähler sind bereits desillusioniert
In den vielen Arbeitergebieten Nordenglands, die im Zeichen grosser Brexit-Erwartungen 2019 erstmals Tories wählten und Johnson seine damalige satte Unterhausmehrheit sicherten, ist wiederum Desillusionierung zu spüren. Nicht so sehr wegen Brexit. Sondern weil Johnsons Regierung wenig getan hat, um den beispiellosen Anstieg der Lebenshaltungskosten in Grossbritannien in den Griff zu bekommen.
Statt dass sich die Lebensverhältnisse verbessert haben, sind Steuern erhöht und Sozialleistungen gesenkt worden. Immer mehr Briten können ihre Heizkosten und ihre Lebensmittelrechnungen nicht mehr bezahlen. So hatten sich das viele Erst-Tory-Wähler von 2019 im «roten Wall» des Nordens nicht vorgestellt.
Labour-Chef Keir Starmer hat sich offenbar mit den Liberaldemokraten auf einen «stillen» Wahlpakt geeinigt.
Dazu kommt, dass die Labour Party nicht mehr vom Linkssozialisten Jeremy Corbyn geführt wird, der noch 2019 viele Wähler der politischen Mitte abstiess, sondern von dem durchaus moderaten, auf Respektabilität bedachten Sir Keir Starmer. Er kann sich zwar nicht wie Boris Johnson in Szene setzen. Starmer ist aber taktisch versiert – und scheint unter anderem einen «stillen» Wahlpakt mit den Liberaldemokraten ausgetüftelt zu haben, mit dessen Hilfe die Tory-Dominanz in England gebrochen werden soll.
Ein Problem hat die Labour Party damit, dass sie diesmal mit relativ guten Kommunalwahlergebnissen aus der letzten Runde ins Rennen geht – wie etwa in London, wo sich schon beim EU-Austrittsreferendum vor sechs Jahren 60 Prozent der Wähler vehement gegen den Tory-Brexit stemmten. Begehrte Londoner Gemeinden wie Wandsworth oder Barnet, die seit Ewigkeiten Tory-blau sind, hofft man, nun erobern zu können.
Teil der Konservativen will Johnson loswerden
Sollten sich am Freitag, wenn die Wahlergebnisse feststehen, nicht gerade sensationelle Siege der Opposition abzeichnen, gehen Johnson-Loyalisten davon aus, dass sich «der Boss» trotz aller wachsenden Zweifel an seiner Person erst einmal weiter im Amt halten kann.
Johnsons Gegner im eigenen Lager wollen unmittelbar nach Schliessung der Wahllokale den Druck auf ihn neu verstärken. Sie arbeiten auf ein Misstrauensvotum in der Fraktion schon in den nächsten Wochen hin. Angeblich hält sich Ex-Aussenminister Jeremy Hunt als Favorit der gemässigten Tory-Abgeordneten bereit.
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