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Analyse zum Gipfel in Madrid
Die Nato definiert Russland offen als Feind

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg empfängt in Madrid US-Präsident Joe Biden.
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Der Feind sitzt wieder im Osten. Wladimir Putin habe mit seinem Angriff auf die Ukraine den Frieden auf dem Kontinent zerstört und die grösste Sicherheitskrise in Europa ausgelöst, gab Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Ton vor. Das Bündnis hält zwei Tage lang «Kriegsrat» in einem heruntergekühlten Messezentrum am Stadtrand von Madrid, und Wladimir Putin sitzt als unsichtbarer Besucher mit am Tisch. Gleich zum Auftakt haben die Staats- und Regierungschefs der 30 Mitgliedsstaaten das neue strategische Konzept verabschiedet, das der neuen Bedrohungslage gerecht werden soll.

«Die Russische Föderation ist die bedeutendste und direkteste Bedrohung für die Sicherheit der Allianz und die Stabilität in der euro-atlantischen Region», heisst es in dem gut zehnseitigen Papier. Im Lichte der feindlichen Politik und Handlungen könne das Bündnis Russland nicht mehr als Partner betrachten.

Zuversicht ist Vergangenheit

Tatsächlich hatte die Allianz den grossen Nachbarn vor zehn Jahren noch als «strategischen Partner» eingestuft, als die Nato in Lissabon das letzte Mal ihre Doktrin aktualisierte und der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew als willkommener Gast mit am Tisch sass. Obwohl russische Streitkräfte damals schon in Georgien einmarschiert und aus Moldau trotz anderslautenden Zusagen nie abgezogen waren.

Die Nato-Staaten ruhten sich lange auf der Friedensdividende nach dem Kalten Krieg aus. Man traf sich regelmässig zum Austausch im Nato-Russland-Rat, und Moskau hatte über 60 Diplomaten im Nato-Hauptquartier akkreditiert. Die naive Zuversicht ist jetzt Vergangenheit. Diese Zeitenwende ist dramatisch, und der Auslöser dafür sitzt in Moskau. Wladimir Putin hat erreicht, wovor er immer warnte. Er hat die Nato, einst von Emmanuel Macron persönlich für hirntot erklärt, zu neuem Leben erweckt. Eine strategische Fehlleistung ohne Beispiel.

Selbst nach der russischen Annexion der Krim blieb die Nato-Präsenz in den baltischen Staaten und in Polen symbolisch. Die Verbündeten wollten sich an die Nato-Russland-Grundakte halten. Dort hatte die Allianz Moskau 1997 zugestanden, nach der Osterweiterung in den neuen Mitgliedsstaaten keine festen Truppen zu stationieren.

Das «Familienfoto» vom Nato-Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs der 30 Mitgliedsländer.

Russland hat nicht erst mit dem Einmarsch in der Ukraine unzählige internationale Vereinbarungen gebrochen. Die Verbündeten sehen sich jetzt auch nicht mehr an die Nato-Russland-Akte gebunden. Die symbolische Präsenz wird nun deutlich ausgebaut; zusätzlich zu den Battlegroups mit je 1200 Soldaten sollen jetzt Brigaden kommen, etwa 3000 bis 5000 Frauen und Männer.

Das ist noch immer keine Truppe, die einen russischen Einmarsch stoppen könnte. Ein Angriff auf die multinationalen Brigaden wäre aber ein Angriff auf die Nato als Ganzes. Und hier käme die Schnelleingreiftruppe (NRF) der Nato ins Spiel. Bisher standen 40’000 Soldatinnen und Soldaten bereit, die abgestuft innert weniger Tage oder Wochen einsatzbereit sein müssen. Die Nato will die abrufbereiten Streitkräfte nun auf über 300’000 Frauen und Männer ausbauen.

Die 30 Mitgliedsstaaten müssen Truppenteile bestimmen und vollständig ausrüsten. Das kostet viel Geld.

Das ist immer noch viel weniger als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Und ob es mehr als Ankündigungen sind, muss sich auch erst noch zeigen. Konkret müssen die 30 Mitgliedsstaaten Truppenteile bestimmen und vollständig ausrüsten. Das kostet viel Geld, und das ist derzeit knapp. Der Wille scheint allerdings da zu sein, die Demonstration der Geschlossenheit der Verbündeten wirkt überzeugend. Ob die Demonstration Wladimir Putin beeindruckt, ist eine andere Frage.

Tatsache ist, dass die Nato jetzt wirklich näher an Russland heranrückt. Nicht nur im Osten, sondern auch im Norden. Das Bündnis hat Schweden und Finnland am ersten Gipfeltag offiziell eingeladen, Mitglied zu werden. Die Ratifizierung dürfte bis Ende Jahr abgeschlossen sein. Die Norderweiterung ist für beide Seiten ein strategischer Gewinn und für Russland eine schlechte Nachricht. Finnland hat eine 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland. Die Nato gewinnt die Kontrolle über die Ostsee sowie zwei Mitglieder mit modernen Streitkräften und bekommt die strategische Tiefe, um die baltischen Staaten besser verteidigen zu können.

Auch China rückt ins Visier

Eine grosse Frage steht in Madrid unbeantwortet im Raum. Was kann die Nato tun, um den brutalen Krieg in der Ukraine zu stoppen, was sind die Verbündeten bereit zu tun, um Kiew zu helfen? Die Ukraine könne auf die Hilfe der Nato-Verbündeten zählen, «solange dies nötig ist», sagte Jens Stoltenberg. Die Allianz selber liefert keine Waffen, koordiniert aber die Hilfe der einzelnen Mitgliedsstaaten. Klar, jeder Krieg ende irgendwann am Verhandlungstisch. Verhandlungen müssten aber zu den Bedingungen der Ukraine stattfinden, sagte Stoltenberg. Konkret wurde der Nato-Generalsekretär nicht.

Besuch von Freunden: Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) empfängt die Staats- und Regierungschefs Australiens, Japans, Neuseelands und Südkoreas am Nato-Gipfel.  

Gut möglich auch, dass das neue strategische Konzept in zehn Jahren so überholt ist wie die letzte Fassung von 2010 und Russland als «Feind» dann ausgedient hat. Hinweise dazu gibt es in der Doktrin, die am Gipfel verabschiedet wurde. Dort wird ausführlich die wachsende Herausforderung geschildert, die von China aus geht. Das Regime in Peking verfolge Ziele, die im Widerspruch mit den Interessen, der Sicherheit und den Werten der Nato seien. Man sei bereit zu konstruktiver Zusammenarbeit, werde aber die Interessen der Allianz gegen Spaltungsversuche zu schützen wissen.

Klar ist auch, wer die Freunde sind. Neben Finnland, Schweden und Georgien waren auch die Staats- und Regierungschefs Japans, Südkoreas, Australiens und Neuseelands zum Gipfel in Madrid gereist. Die Nato sieht sich immer mehr als globale Allianz der bedrängten Demokratien.