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Interview zu Datenschutz
«Die Bedenken sind absolut gerechtfertigt»

Überwachung am Bahnhof: Die SBB wollen das Pendlerverhalten genau erfassen und dafür an verschiedenen Bahnhöfen Gesichtserkennungskameras einsetzen.
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Frau Ramelet, dass die SBB Kameras mit Gesichtserkennung installieren wollen, sorgt für intensive Diskussionen. Sind Bedenken rund um den Datenschutz gerechtfertigt?

Die Datenschutzbedenken sind absolut gerechtfertigt. Es geht um biometrische Daten, die sehr sensibel und laut Gesetz besonders schützenswert sind. Damit lassen sich Personen fast zu 100 Prozent identifizieren, weil sie für jede Person einzigartig sind. Einmal erfasst, können biometrische Daten eine Person ein Leben lang identifizierbar machen.

Was heisst das?

Es genügt nicht, sich eine neue Frisur verpassen zu lassen oder einen anderen Pulli anzuziehen. Biometrische Daten lassen sich nur durch eine Operation verändern. Hinzu kommen Fragen zum Umgang mit diesen Daten. Wo werden die erhobenen Daten gespeichert? Wer hat Zugriff? Wie werden sie ausgewertet? Es ist also verständlich, dass die Pläne der SBB Diskussionen auslösen. 

Die SBB versprechen, die erhobenen Daten nicht mit einer Person zu verknüpfen, jedoch soll die Person anonym während des Aufenthalts am Bahnhof identifizierbar sein. 

Zum Projekt der SBB kann ich wenig sagen, da ich die Details nicht kenne. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Person bei ihrem Weg durch einen Bahnhof zu verfolgen. Etwa mit einer Ganzkörperanalyse – also mit der Auswertung von Haltung, Gangart, Tempo – oder eben durch Gesichtserkennung. Abgesehen davon, wie diese Daten ausgewertet oder allenfalls mit anderen Daten verknüpft werden: Im Grunde lassen sich aus so persönlichen Daten sehr viele Informationen herauslesen, wenn man die Daten mit der entsprechenden Software auswertet. 

«Bevor Gesichtserkennung eingeführt wird, sollte man fragen, zu welchem Zweck sie eingesetzt werden soll.»

Was kann man aus Gesichtserkennungsdaten alles herauslesen?

Sie können Aufschluss über den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand geben – oder auch über Emotionen. Heisst: Das Gesicht wird analysiert, um zu sehen, wie jemand auf ein Ereignis reagiert. Diese Technologie wird für Bewerbungsgespräche eingesetzt oder für das Marketing. Die SBB werden sehr wahrscheinlich keine solchen Pläne haben, doch rein technisch gesehen wäre es möglich, die Daten von Gesichtserkennungssoftware für solche Zwecke zu benutzen. 

Die SBB erhoffen sich mehr Profit. Sie planen, etwa auch den Shops in den Bahnhöfen Zugriff auf die so erhobenen Kundendaten zu geben. Ist dafür der Einsatz von Gesichtserkennung gerechtfertigt?

Wichtig ist eine Debatte über den Einsatz solcher Technologien. Bevor Gesichtserkennung eingeführt wird, sollte man fragen, zu welchem Zweck sie eingesetzt werden soll. Es gibt einen Unterschied, ob Gesichtserkennung zur Strafverfolgung bei Terrorismus eingesetzt wird oder zu Marketingzwecken. Ich denke, viele Menschen sind sensibilisiert, denn durch die Pandemie ist das Thema Überwachung stärker in den öffentlichen Fokus geraten. 

Gesichtserkennung wird jetzt schon häufig eingesetzt. Viele entsperren ihr Smartphone damit. Warum gibt es gegenüber Kameras an Bahnhöfen eine grössere Skepsis?

Es geht um den öffentlichen Raum, um einen Ort, der – metaphorisch gesprochen – eigentlich allen gehören sollte. Bahnhöfe sind in unserer Gesellschaft ein bedeutender Lebensraum. Sie sind wichtige Treffpunkte und der Ort der öffentlichen Verkehrsmittel. Wer Zug fahren will, muss zum Bahnhof. Wenn dort nun immer mehr Kameras installiert sind: Was will man machen? Auf den Zug zu verzichten, ist für viele keine wünschenswerte Option. 

Die SBB betreiben jetzt schon über 700 Kameras, um die Pendlerströme zu analysieren. Das erinnert an China, wo Menschen laufend überwacht und bestraft werden, wenn sie bei Rot über die Ampel gehen und dabei gefilmt wurden. Ist die Schweiz nun auf dem Weg dorthin?

In westlichen Demokratien stösst die automatisierte Echtzeit-Überwachung durch Gesichtserkennung weitgehend auf Ablehnung. In der Schweiz ist sie unvereinbar mit mehreren Grundrechten. In unserer Studie von TA-Swiss wird gar empfohlen, diese Art der Überwachung zu verbieten. Die Menschen verhalten sich plötzlich anders, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Zudem können solche Installationen die politischen Rechte beeinflussen.

«Die Versammlungsfreiheit kann gestört werden, wenn man weiss, dass am Bahnhof viele Überwachungskameras installiert sind und sogar solche, die Gesichtserkennung ermöglichen.»

Wie?

Die Versammlungsfreiheit kann gestört werden, wenn man weiss, dass am Bahnhof viele Überwachungskameras installiert sind. Würden Sie an einer Demonstration in der Nähe des Bahnhofs teilnehmen, wenn Sie wüssten, dass dort Gesichtserkennungskameras alles permanent filmen? Was würde dies für unsere Demokratie bedeuten? Andererseits setzt die Polizei Gesichtserkennungssoftware ein, damit sie Verbrechen rascher aufklären kann. Sie sehen: Technologie hat Vor- und Nachteile, diese müssen wir als Gesellschaft diskutieren und gegeneinander abwägen. 

Die SBB wollen laut «K-Tipp» die Daten beim US-Konzern Microsoft speichern. Heisst: Die USA können jederzeit Zugriff erhalten. Wie heikel ist das?

Aus meiner Sicht gehört das zu den politischen Fragen, die Gegenstand einer öffentlichen Debatte sein sollten. Unabhängig davon kann es auch sein, dass Daten gestohlen werden, was weitreichende Folgen hätte. Daher ist es wichtig, dass sensible Daten vor dem Zugriff Dritter bestmöglich geschützt sind. Auch wenn es leider nicht immer reicht.

2017 gab es den Skandal um Clearview AI. Die US-Firma hatte vor allem auf Social Media Milliarden von Porträtfotos abgegriffen, eine Datenbank erstellt und diese in ihre Gesichtssuchmaschine eingefügt. Trotzdem gibt es die Firma immer noch. Wo wird diese Software zurzeit eingesetzt?

Verschiedene Klagen führten dazu, dass seit 2020 nur noch Sicherheitsbehörden auf die Clearview-Software zugreifen können. Der Ukraine-Krieg hat die Firma wieder in die Schlagzeilen gebracht, als bekannt wurde, dass ukrainische Behörden die Software verwenden, um gefallene oder gefangene russische Soldaten zu identifizieren und deren Angehörigen zu informieren. In Afghanistan machen sich auch die Taliban die Gesichtserkennung zunutze. Sie erbeuteten bei ihrer Machtergreifung unter anderem Datensätze mit Millionen von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern. Diese nutzen sie nun auf ihrer Jagd nach Personen, die mit Organisationen aus dem Westen «kollaboriert» haben, und nach anderen «Verrätern».

Kann ich mich als Privatperson vor Gesichtserkennung im öffentlichen Raum schützen? 

Sie können am Bahnhof die Kapuze oder eine Mütze tief ins Gesicht ziehen. Oder eine Atemschutzmaske tragen. Die Umfrage, die wir von TA-Swiss gemacht haben, zeigt aber, dass dies für die Befragten keine gangbare Option wäre. 

Und juristisch?

In diesem Bereich ist die Rechtsdurchsetzung oft eine Herausforderung. Wir empfehlen, Massnahmen zum Schutz der Rechte der Bevölkerung in eine gesetzliche Grundlage zu verankern, etwa Transparenzvorschriften und unabhängige Evaluationen. Dabei geht es aber nicht nur um Recht, sondern auch um die Akzeptanz der Bevölkerung und um die Gewährleistung einer demokratischen Debatte.