Deutschland und NahostkriegBundeswehr steht mit 1000 Soldaten bereit
Berlin hat starke Kräfte nach Zypern und Jordanien verlegt, um auf Evakuierungen und Geiselbefreiungen vorbereitet zu sein. Für die Schweiz könnte das wichtig werden.
Von Zeitenwende zu sprechen, ist leicht, ihr in der Wirklichkeit gerecht zu werden, ziemlich aufwendig. Die deutsche Regierung hat seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober Israel nicht nur ihre Solidarität versichert, sondern viel Präsenz vor Ort gezeigt. Bundeskanzler Olaf Scholz war einer der ersten Besucher in Israel und Ägypten, Aussenministerin Annalena Baerbock war fast ständig zwischen Kairo, Tel Aviv und Amman unterwegs, und Verteidigungsminister Boris Pistorius besuchte ein deutsches Kriegsschiff vor Beirut.
In den vergangenen zwei Wochen hat die Bundeswehr zudem mehr als 1000 Soldaten und Soldatinnen nach Zypern und nach Jordanien verlegt. Es handelt sich vor allem um Kräfte, die Evakuierungen von Landsleuten vornehmen oder bei der Befreiung von Geiseln der palästinensischen Terrorgruppe Hamas mithelfen könnten.
Deutschland zieht mit dem Aufmarsch die Lehren aus den Erfahrungen nach dem überstürzten Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan 2021. Damals mussten unter dramatischen Umständen auf einmal Tausende von Westlern und deren afghanische Helfer aus Kabul ausgeflogen werden – eine Aufgabe, die die Bundeswehr damals zwar bewältigte, auf die sie aber sträflich unvorbereitet war.
Als im April dieses Jahres im Sudan plötzlich eine ähnlich bedrohliche Situation entstand, reagierte Deutschland schon erheblich vorausschauender. Am Ende evakuierte die Bundeswehr in vier Tagen 780 Menschen, nur ein gutes Viertel von ihnen waren Deutsche. In Afghanistan wie im Sudan profitierten auch Schweizerinnen und Schweizer von den deutschen Militärflügen: Die Schweiz verfügt bekanntlich bis heute über keine eigenen Fähigkeiten, um Landsleute aus Kriegsgebieten zu retten.
Sorge um möglichen Krieg im Libanon
Sorge bereitet in Nahost derzeit vor allem der Umstand, dass sich der Krieg um Gaza auf den Süden des Libanon und den Norden Israels ausweiten könnte. Deutschland hat, anders als die Schweiz, Landsleute bereits zur Ausreise aus dem Libanon aufgefordert. Zurzeit halten sich dort aber noch mindestens 1100 Deutsche auf. Im Kriegsfall könnte der Flughafen der Hauptstadt Beirut schnell geschlossen werden und die Ausreise auf konventionellem Weg nicht mehr leicht möglich sein.
Die aktuelle Mission der Bundeswehr in Nahost ist bereits jetzt eine der grössten ihrer Art. Die Luftlandebrigade 1 hat sich mit Dutzenden von Transportflugzeugen, Helikoptern und leicht gepanzerten Fahrzeugen auf Zypern installiert. Drei deutsche Kriegsschiffe werden im östlichen Mittelmeer gerade so rotiert, dass am Ende das Versorgungs- und Lazarettschiff Frankfurt am Main zur Aufnahme von Flüchtlingen oder Evakuierten bereitliegt.
Spezialeinheiten der Marine (KSM) und die Elitetruppe GSG9 der Bundespolizei sind ebenfalls bereits in Zypern stationiert, entsprechende Kommandos des Heeres (KSK) wurden auf den jordanischen Luftwaffenstützpunkt al-Azraq verlegt. Sie alle sind auf die Befreiung von Geiseln oder deren Übernahme in feindlichem Gebiet trainiert. Dass sie, wie manche konservative Politiker in Deutschland nun fordern, tatsächlich in Gaza eingesetzt werden, um etwa Deutsch-Israelis zu befreien, die am 7. Oktober von der Hamas entführt wurden, ist derzeit dennoch ziemlich unwahrscheinlich.
Zypern als militärischer Vorposten für viele
Das israelische Militär und die Geheimdienste verfügen für solche Aufgaben über eigene spezialisierte Einheiten, die das Gelände teilweise von früheren Einsätzen kennen. Zudem ist die Befreiung von Geiseln bei der Offensive der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen nur eines von mehreren militärischen Zielen – und nicht das wichtigste.
Die Mittelmeerinsel Zypern ist in den letzten Wochen nicht nur zu einem vorgeschobenen Militärposten der Bundeswehr geworden, sondern zu einer logistischen Drehscheibe für viele Länder. Neben denen aus Deutschland halten sich derzeit Kontingente von elf weiteren Ländern dort auf, unter ihnen Grossbritannien und die Niederlande. Die USA wiederum benutzen ihren grossen Marinestützpunkt auf Kreta, um allfällige Rettungs- und Evakuationseinsätze vorzubereiten.
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